Meine Top Ten Filme 2023 | Ruben’s Cinematic Universe

Brennende Leinwände, epische Geschichten, mitreißende Figuren, vollkommene Gegensätze und die besten Filme des Jahres!

Dieses Mal ist nicht nur das Jahr 2023 schon eine ganze Weile vorüber. Auch meine Kolumne wird mit diesem Artikel ihr Ende finden. Wie schon ein großer Visionär einst sagte: „It’s like poetry, sort of, they rhyme.“ Dementsprechend endet diese Kolumne, wie sie begann. Hier ist mein letzter Artikel für Ruben’s Cinematic Universe und meine leicht verspätete Top Ten der besten Filme 2023!

Übersicht

10. Anatomy of a Fall
9. Sonne und Beton
8. Roter Himmel
7. Spider-Man: Across the Spider-Verse
6. John Wick: Chapter 4
5. Babylon
4. Killers of the Flower Moon
3. Decision to Leave
2. The Banshees of Inisherin
1. Oppenheimer

Platz 10
ANATOMY OF A FALL

Das deutsch-französische Ehepaar Sandra und Samuel lebt mit ihrem elfjährigen sehbehinderten Sohn Daniel in den französischen Alpen. Sandra ist erfolgreiche Romanautorin; Samuel ist Dozent an einer nahegelegenen Universität. Als Daniel von einem Spaziergang mit seinem Blindenhund zurückkehrt, findet er seinen regungslos im Schnee liegenden und blutüberströmten Vater. Handelt es sich um einen Unfall, hat Samuel Suizid begangen oder wurde er von Sandra gestoßen? Ein Prozess vor Gericht soll den Fall klären.

Die verschneiten französischen Alpen bieten nicht nur einen passenden Schauplatz für einen blutigen Tod, sondern auch eine Kulisse für weite Aufnahmen. Und doch wird die Kamera von Simon Beaufils in ANATOMY OF A FALL hauptsächlich an engeren Schauplätzen im Haus oder Gerichtssaal aufgestellt. Der Teufel steckt in diesem Film schließlich im Detail und die Details in den Figuren. Aufgrund der unzureichenden Beweislage muss Sandra vor Gericht ihr gemeinsames Leben mit ihrem verstorbenen Mann und ihrem Sohn sezieren lassen. Dabei ist der Film von Regisseurin Justine Triet kein Thriller, obwohl er es bei seiner Prämisse sein könnte. Vielmehr ist er ein zugleich großes und kleines Drama, das sowohl gesellschaftliche Fragen aufwirft als auch einen intimen Blick in komplizierte zwischenmenschliche Beziehungen gewährt. Er thematisiert die Subjektivität und die verschiedenen Perspektiven der Wahrnehmung in Film und Realität. Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld wird schließlich, ebenso wie Kameraeinstellungen und Schnitt, bestimmt von Entscheidungen. Seinen Höhepunkt findet der Film in einem minutenlangen Streit. Die Zuschauenden bekommen den Streit des Ehepaars zu sehen, werden Zeugen des grandiosen Schauspiels von Hauptdarstellerin Sandra Hüller, nur um dann zurück in den Gerichtssaal geworfen zu werden, in welchem lediglich die Tonaufnahme zu hören ist. Wie lassen sich nun der Krach, die Ausbrüche, die Ehe, der Fall deuten? 

(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 9
SONNE UND BETON

Gropuisstadt, Bezirk Neukölln, Berlin: Lukas, Julius, Gino und Sanchez verbringen den Sommer in der Schule oder auf den Straßen. Lukas’ Vater ist arbeitslos, Julius wohnt ohne jegliche Möbel bei seinem deutlich älteren Bruder, Ginos Vater trinkt und misshandelt seine Mutter und Sanchez’ Mutter muss die beiden mit mehreren Jobs über Wasser halten. Nachdem sie mit einer Gruppe Dealern aneinandergeraten, müssen die vier Jugendlichen schnell irgendwie 500 € auftreiben. Da kommen die neuen Computer der Schule gerade recht …

Die Sonne prallt auf den Beton der Plattenbauten; die Hitze steht auf dem Asphalt der Straße und dringt in die Zimmer der Wohnungen; der Schweiß läuft über die Gesichter. In SONNE UND BETON sorgt ein gelber Farbfilter für eine passende Hitze der Bilder und einen starken Kontrast zur dunkelblauen Kühle der Nacht. Abkühlung während des Tages verspricht nur das Freibad, doch dafür haben Lukas, Julius, Gino und Sanchez kein Geld. Überraschend direkt, authentisch und ehrlich blickt der Film auf einen Brennpunkt in Deutschland und die ökonomischen, sozialen und familiären Probleme seiner Protagonisten, statt sich wie in anderen deutschen Filmen oberflächlich auf die augenscheinliche Dummheit und mangelnde Bildung der Jugendlichen und ihrer Sprache zu beschränken. Deshalb treffen im Soundtrack Rap und Hip Hop auf Klassik; kann der Anführer einer Gruppe wie der Bösewicht in einer Comicverfilmung in Stellung gebracht werden, um sich dann ebenfalls als Jugendlicher ohne Perspektive zu entpuppen;  wird der Diebstahl in der Schule als der jugendlich amateurhafter Heist inszeniert, der er nun mal ist; beherrschen Chaos und Beleidigungen den Alltag. Der Staat tritt hingegen überall nur als repressive Instanz auf, in Form der Polizei, des Arbeitsamtes und der Lehrer, und das nicht erst seit gestern. Probleme werden von Generation zu Generation weitergegeben, aus denen sich in Verbindung mit Neid, Stolz und Vorurteilen eine immer wieder hochkochende Mischung ergibt. Lukas und seine Freunde mögen den Umständen entsprechend zwar nicht die beste Bildung genossen haben, aber sie erkennen ihre geteilte Perspektivlosigkeit und finden sich als Gruppe lieber aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten zusammen, als sich wegen ihrer Unterschiede gegeneinander aufbringen zu lassen. Auch wenn der Weg dahin einige komische und tragische Momente bereithält …

(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 8
ROTER HIMMEL

Felix und Leon verbringen den heißen Sommer an der Ostsee im Ferienhaus von Felix’ Eltern. Felix will dort an seiner Bewerbungsmappe mit Fotographien für die Kunsthochschule arbeiten, während Leon, von einem bevorstehenden Besuch seines Lektors gestresst, sein Skript für einen neuen Roman fertigstellen muss. Für Komplikationen sorgen Nadja, die als Saisonarbeiterin ebenfalls in dem Ferienhaus untergebracht ist, und die unkontrollierten Waldbrände in der Umgebung.

Brennende Wildschweine rennen durch den trockenen Wald und Helikopter fliegen in Richtung des titelgebenden roten Himmels. Die Katastrophe ist bereits von Beginn an spürbar und wird im Film immer wieder sichtbar. Trotzdem wird ROTER HIMMEL scheinbar von einer gewissen unbeschwerten Atmosphäre getragen, erzeugt durch die sommerlichen Bilder, das idyllischen Haus im Wald und die sonnigen Strände. Dieser Stimmung steht Leon mit seiner hauptsächlich genervten Einstellung konträr gegenüber. Seine und auch die anderen Figuren zwingen die Zuschauenden immer wieder dazu, sich in Beziehung zu ihnen und dem Film zu setzen. Gleichzeitig werden auch die Figuren im Film gefordert, sich zu ihrer Umgebung zu verhalten. Während Felix bei seinen Fotographien ein offenes Auge für die Menschen und ihr Verhältnis zu ihrer Umgebung offenbart, geht Leon mit geöffneten Augen durch sein Leben, ohne etwas zu sehen. Er ist blind für die Anziehung zwischen den Menschen um ihn herum, hat keinen Blick für deren Konflikte oder Probleme und richtet seine Aufmerksamkeit nur auf sich. Muss er als Autor und Künstler völlig ungestört und zurückgezogen arbeiten können oder ist es nicht gerade seine literarische Verarbeitung der Realität, die seine Werke zur Kunst werden lässt? Unterdessen versucht die Kamera fortwährend, die Figuren und ihre inneren und äußeren Einstellungen in schlicht anmutenden, aber doch komplexen Bildern einzufangen. Ein genervter und gleichzeitig sehnsüchtiger Blick hier und eine ablehnende und im selben Zug einladende Geste dort vertiefen auch dank des grandiosen Spiels von unter anderem Thomas Schubert und Paula Beer die vielen großartigen Ebenen des Films. Wie äußern sich Liebe und Kunst, auch im Angesicht der nahenden Katastrophe? ROTER HIMMEL blickt mit großen, aber unaufdringlich gestellten Fragen, uneindeutigen Antworten und lebensnahen Figuren auf Gegenwart und Zukunft. 

(verfügbar bei MUBI und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 7
SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE

Nach seinem Abenteuer mit diversen anderen Inkarnationen von Spider-Man muss Miles Morales sein Privatleben aus Familie und Schule mit seiner geheimen Identität als Superheld unter einen Hut bekommen. Als dann seine Freundin Gwen Stacy aus einem Paralleluniversum erneut bei ihm auftaucht, verspricht er sich von dem Weg in ein anderes Universum die Flucht vor seinen eigenen Problemen. Dort lernt er weitere Spider-Men und die Spider-Society kennen. Doch der Bösewicht Spot ist ihm auf den Versen und im Spider-Verse hat jede Handlung schwerwiegende Konsequenzen …

Animationsfilme bringen immer wieder neue technische Höchstleistungen ins Kino. Und doch sehen sich viele Filme von Disney oder Illumination trotz unterschiedlichster Welten relativ ähnlich. Mit SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE knüpft Sony an den Vorgänger von 2018 an und zeigt, was in einem Animationsfilm alles möglich ist. Hier werden in den verschiedensten Stilen Welten, Figuren und Szenen erschaffen, die sich auf erfrischende und aufregende Weise vom visuellen Realismus sonstiger Hollywoodproduktionen entfernen. Das Sounddesign und die Musik sind dabei ebenso präzise wie mitreißend. Und nicht nur das Design der Figuren und deren Welten macht sie einzigartig, sondern auch ihre Synchronisation. Diverse Stars, darunter Shameik Moore und Hailee Steinfeld, leihen den Figuren ihre Stimme und verschwinden stimmlich hervorragend in dessen Charakter. Der Film ist aber nicht nur einer der besten und kreativsten Animationsfilme überhaupt. Zusammen mit seinem Vorgänger ist er auch einer der besten Comicverfilmungen der letzten Jahre und der beste Film über die titelgebende Comicfigur seit den ersten Filmen von Sam Raimi aus den frühen 2000er Jahren. Im ersten Film von 2018 ging es noch darum, dass Miles seine eigene Identität und Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten lernen musste, konfrontiert mit Schicksalsschlägen und unterstützt von anderen, die sind wie er. Nun muss Miles sich mit seiner Identität in sein sonstiges soziales Umfeld integrieren. Wie passt er in eine Gesellschaft, die nichts von seinem Doppelleben wissen darf, oder in die Spider-Society, in der jeder und gleichzeitig niemand ist wie er? Der Film schafft es, das Spider-Verse und die Spider-Society nicht nur für unzählige Witze, obligatorische Anspielungen, kreative Animationen, spaßige Figuren und irrwitzige Action zu nutzen, sondern sich dadurch auch bewusst in die Reihe bisheriger Filme über die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft zu stellen. Ohne die ähnliche Geschichte auf bekannte Weise zu wiederholen, stellt der Film die Frage nach dem scheinbar unveränderbaren Schicksal eines jeden Spider-Man und konfrontiert Miles (sprich)wörtlich mit sich selbst. Wird er aus den Netzen, die das Spider-Verse gesponnen hat, ausbrechen können? Welche Konsequenzen seine Entscheidungen haben, deutet SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE bereits an. Wie die Geschichte weitergeht, werden wir dann allerdings erst in SPIDER-MAN: BEYOND THE SPIDER-VERSE erleben können. Die Vorfreude könnte nicht größer sein!

(verfügbar bei Netflix und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 6
JOHN WICK: CHAPTER 4

John Wick hat mit seinen Taten der Hohen Kammer den Krieg erklärt. Der Marquis de Gramont soll ihn mit allen Mitteln zur Strecke bringen, jagt ihn dafür über den gesamten Globus und zwingt selbst alte Verbündete zum Kampf gegen ihn. Doch dadurch ergibt sich für John Wick auch die Gelegenheit, sich endgültig von der Hohen Kammer loszusagen. Wird er nach all den Toten endlich einen Ausweg und seinen Frieden finden?

Nach drei Filmen und mehr als dreihundert getöteten Gegnern bedarf John Wick, erneut mit einer beachtlichen Physis und noch weniger gesprochenen Worten ikonisch von Keanu Reeves verkörpert, wohl keiner weiteren Vorstellung. Seines Lebens des Tötens und der Flucht müde sucht er nun endgültig nach dem Frieden, den das Leben mit seiner verstorbenen Frau abseits der Hohen Kammer ihm einst versprach. Der Killer in Schwarz bleibt auch in seinem vierten Kapitel im Fokus des Geschehens, wird aber weiterhin eher von außen betrachtet. Gerade deshalb erweist sich die Einführung mehrerer tödlicher Gegenspieler, die ähnlich wie John Wick selbst in seinem ersten Film mit wenigen Worten und einer mysteriösen und bedrohlichen Aura vorgestellt werden, als kluge Ergänzung. Aber wer nach einer abwechslungsreichen Handlung und tiefen Figurenzeichnungen sucht, saß spätestens mit dem zweiten Film der Reihe um den tödlichsten aller Auftragsmörder im falschen Film. Wer allerdings auf der Suche nach den besten Actionfilmen der letzten Jahre ist, wird in dieser Reihe definitiv fündig. Und auch der neueste Eintrag reiht sich dort nahtlos ein und setzt wie schon seine Vorgänger neue Maßstäbe in Sachen Action. Bögen und Schwerter in Osaka machen nur den Auftakt, ehe Äxte in Berlin und explorierende Munition und der Stadtverkehr in Paris folgen. Die Choreographien bleiben physisch, dynamisch und mit klarem Spannungsbogen, das Licht spiegelt sich in den Wassertropfen, die Bilder funkeln im Licht der Neonfarben und die Städte erstrahlen im rötlichen Licht der Sonne. Regisseur Chad Stahelski scheint seine Bildsprache mit jedem weiteren Film der Reihe immer weiter verfeinert zu haben. „How you do anything is how you do everything“, wird eine der Figuren im Film sagen. Wenig verwunderlich steht Perfektion sowohl für den titelgebenden Protagonisten bei der Ausführung seiner blutigen Taten als auch bei der Kameraarbeit und im Schnitt an oberster Stelle. JOHN WICK: CHAPTER 4 präsentiert einen blutigen audiovisuellen Rausch, entfremdet die Gewalt von der Realität, um sie in ein ästhetisches Mittel zu verwandeln, und bietet vielmehr ein sich bewegendes Kunstwerk als einen dramaturgischen Film. Ein episches Meisterwerk des Actionkinos! 

(verfügbar bei WOW von Sky und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 5
BABYLON

Manny Torres, Sohn mexikanischer Einwanderer, träumt von einer Karriere im Hollywood der 1920er Jahre. Auf seinem Weg begegnet er unter anderem dem alten Star des Stummfilms Jack Conrad und der aufstrebenden Schauspielerin Nellie LaRoy. Sie alle müssen um ihren Platz in einer Industrie kämpfen, die tiefgreifende Veränderungen erlebt. 

Ausnahmsweise ist der deutsche Untertitel von BABYLON mit „Rausch der Ekstase“ passend gewählt. Von der ersten Sekunde an geht es auf einen temporeichen, wilden und abwechslungsreichen Ritt durch die verschiedensten Seiten der jungen Traumfabrik. Bei den diversen Partys trifft die Ekstase des überbordenden Prunks eines Jay Gatsbys auf den Rausch der ungehemmten Freizügigkeit eines Jordan Belfort. Dahinter spielt sich immer wieder ein treibender Soundtrack in den Vordergrund, der auch nach Ende des Films noch tagelang durch den Gehörgang tanzt. In den ruhigen Momenten, die nichtsdestotrotz häufig voller Spannung und Energie sind, sorgt die musikalische Untermalung für eine nachdenkliche Stimmung und der Film zeigt seine erzählerische Tiefe. So gelingt Regisseur und Drehbuchautor Damien Chazelle der Spagat zwischen erstaunter Faszination, berührender Tragik und angeekeltem Kopfschütteln. Die für die Statisten äußerst brutalen Dreharbeiten an einem Monumentalfilm mit mittelalterlicher Schlacht inszeniert er so zum Beispiel auch wie eine tatsächliche Schlacht als blutiges, unübersichtliches und sogar tödliches Durcheinander. Mit seinem Titel spielt der Film, der dann die Einführung des Tonfilms Ende der 1920er und Anfang der 1930er thematisiert, natürlich auf die biblische Sprachverwirrung beim Bau des Turms zu Babel an. Die Euphorie der ersten Tonfilme weicht schnell den damit verbundenen nervenaufreibenden Herausforderungen für Cast und Crew. Alle Details sind auf einmal nicht mehr nur sichtbar, sondern auch hörbar. Durch die Inszenierung mit schnellen und präzisen Schnitten und die vielen Wiederholungen vor der Kamera zerren diese Szenen auch an den Nerven der Zuschauenden. Aufgrund ihrer Lautstärke wird die Kamera eingesperrt. In BABYLON schwebt sie nun frei durch die verschiedensten Schauplätze und zeigt, wozu sie knapp ein Jahrhundert später fähig ist. Ihr Blick auf die Industrie, der sie sich ansonsten ekstatisch hingibt, ist durchaus ambivalent. Welche falschen Geschichten werden auf der Leinwand erzählt und welche wahren Schicksale bleiben dahinter verborgen? Die einzelnen Schicksale der Figuren erzählen von Aufstieg und Fall, von Akzeptanz und Ablehnung, von Arbeit und Ausbeutung. Damit geht es am Ende auch um das große Ganze, den Film, das Kino, die Bewahrung von Momenten für die Ewigkeit und eine sich trotzdem ständig verändernde Maschinerie. Wie viele Träume mag die Traumfabrik produziert haben und wie viele dieser Träume mögen in Erfüllung gegangen und wie viele zerbrochen sein?

(verfügbar bei WOW von Sky und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 4
KILLERS OF THE FLOWER MOON

Auf dem Gebiet des Reservats der Osage werden riesige Ölvorkommen entdeckt, weshalb die Bewohner*innen des Reservats zwischenzeitig zu den reichsten Menschen der Welt gehören. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrt Ernest Burkhart zu seinem Onkel William Hale zurück, der eine große Ranch in dem Gebiet besitzt, und heiratet die Osage Molly. Zusammen mit seinem Onkel und anderen Weißen arbeitet er fortwährend daran, sich das Vermögen der Osage durch Heirat, Mord und Erbschaft langsam und heimlich anzueignen.

Bereits mit seinem vorherigen Film arbeitete Martin Scorsese an der Dekonstruktion der von ihm selbst erschaffenen Figurentypen und Bilder. In diesem Film knüpft er nun grandios daran an. Natürlich hat auch schon in seinen berühmten Klassikern eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Hauptfiguren und ein Blick auf die Schattenseiten des kriminellen Daseins stattgefunden. Doch in KILLERS OF THE FLOWER MOON fehlen die bösen und doch charismatischen Figuren, die mit ihrem Charakter die Zuschauenden trotz ihrer abstoßenden Taten in ihren Bann zu ziehen wissen, und die bis zum Anschlag spannungsgeladenen Auseinandersetzungen zwischen Verbrechen und Gesetz. Mit seiner epischen Laufzeit von 206 Minuten und einer vergleichsweise langsamen und nüchternen, statt aufregenden Inszenierung, angelehnt an große Bilder des klassischen Hollywood, zehrt der Film an den Zuschauenden wie die langsame Vergiftung an Molly, großartig gespielt von Lily Gladstone, zehrt. Ihr Ehemann Ernest Burkhart, verkörpert von Leonardo Di Caprio, widert einerseits mit seinem Opportunismus an und hält andererseits den Zuschauenden so den Spiegel vor. In Zeiten unzähliger True Crime Shows stellt sich der Film der effekthascherischen und kommerzialisierten Darstellung grausamer Verbrechen ausdrucksstark entgegen. Der Regisseur und Co-Drehbuchautor ist sich bewusst, aus welcher Perspektive er diese Geschichte überhaupt erzählen kann. Zum Meisterwerk wird der Film durch den kontinuierlich durch die Handlung treibenden Schnitt und die immer wieder exzellent konzipierten Kameraeinstellungen, etwa wenn eine Figur zugleich von anderen Figuren und der Kamera eingekreist wird, ehe sich die Schlinge im Film und metaphorisch zuzieht. Insgesamt zeigt KILLERS OF THE FLOWER MOON auf eindrucksvolle und erschreckend unaufgeregte Weise, welchen Schaden Hass im Mantel von Zuneigung anrichten kann. Welche schwerwiegende Folgen können Habgier und Gleichgültigkeit haben? In einer Szene bringt William Hale, grandios banal und böse von Robert De Niro gespielt, die fatale Natur der Geschichte auf den Punkt: im Laufe der Zeit wird etwas anderes die kurzweilige Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen, so dass sich niemand an diese grausamen Morde und Verbrechen erinnern wird, und so die Leidtragenden vergessen werden. Nun wirkt dieser Film dieser traurigen Wahrheit zumindest ein Stück weit entgegen. 

(verfügbar bei Apple TV+ und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 3
DECISION TO LEAVE

Der an Schlaflosigkeit leidende Kommissar Jang Hae-joon untersucht den Fall eines gestürzten Hobbykletterers. Dessen Frau Song Seo-rae hat zwar ein Alibi, aber da er sich sicher ist, dass sie etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat, observiert er sie. Dabei fühlt er sich zunehmend von ihr angezogen und die beiden kommen sich näher. Doch als der Fall schließlich abgeschlossen scheint, kommen neue Details ans Licht. 

Welche Perspektive vermittelt uns die Kamera in einem Film? In DECISION TO LEAVE, dem neuesten Streich des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook, geht sie immer wieder auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ein, nur um sich dann auf unkonventionelle Weise von den Figuren zu distanzieren. Welche Informationen vermittelt uns der Schnitt? In einer Einstellung werden Tropfen in Augen getröpfelt, in der nächsten krabbeln Ameisen über die Augen einer Leiche. Beobachten und beobachtet werden, Leben und Tod, Distanz und Nähe, Spielräume und Grenzen menschlicher Interaktionen werden immer wieder kreativ visuell dargestellt. In den Beziehungen des Ermittlers macht der Film einen Gegensatz zwischen wissenschaftlicher Präzision und gefühlvoller Kultur aus, wodurch der Kommissar immer wieder in Konflikt mit sich selbst und seinem Umfeld gerät. Seine Arbeit verlangt von ihm eine neutrale Betrachtung der Gegebenheiten, nimmt ihn aber durch seine ungelösten Fälle und durch das notwendige Verlassen auf sein Bauchgefühl immer wieder emotional mit. In seiner Ehe, in der seine Frau als Naturwissenschaftlerin sogar ihren Sex zu einer rein gesundheitlichen Sache erklärt, fehlt ihm zunehmend die Leidenschaft. Selbst seine Passion für das Kochen wird auf Nährwerte heruntergebrochen. Dann spendiert er der Verdächtigen zunächst ausgefallenes Sushi im Verhörraum und später kocht er ein chinesisches Gericht für sie. Die Anziehungskraft zwischen den beiden wird ab der ersten Sekunde förmlich greifbar, wozu natürlich auch Park Hae-il und Tang Wei mit ihrem grandiosen Spiel der Blicke beitragen. Aufgrund ihrer Herkunft ist ihre sprachliche Ausdrucksweise hin und wieder unkonventionell, fast schon poetisch. Die Vieldeutigkeit der Sprache und die dadurch mögliche Erregung kollidiert mit der notwendigen Eindeutigkeit von neutralen wissenschaftlichen oder rechtlichen Definitionen, die Grauzonen möglichst verschwinden lassen sollen. Wird er aufgrund seiner inneren Gefühle seinen Blick nach außen immer weiter schließen? Sein Pendeln zwischen der einen und der anderen Seite wird natürlich Konsequenzen haben. Am Ende ist DECISION TO LEAVE eine tragisch schöne Liebesgeschichte im Gewand eines verworrenen Kriminalfalls, geprägt von Misstrauen, Verlangen, Mord, Hingabe und Unsicherheit, die trotzdem immer wieder unerwartet und angenehm humorvoll geraten ist. 

(verfügbar bei MUBI und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 2
THE BANSHEES OF INISHERIN

Die Freunde Pádraic und Colm leben 1923 zur Zeit des Irischen Bürgerkriegs schon ihr ganzes Leben auf der einsamen Insel Inisherin. Eines Tages entscheidet Colm, dass er nicht mehr länger mit Pádraic befreundet sein möchte. Sollte sich Pádraic weiterhin mit ihm unterhalten, droht Colm damit, sich nach und nach die Finger abzuschneiden. Doch damit kann sich Pádraic einfach nicht abfinden. 

Bereits in seinen vorherigen Filmen bewies Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh ein Händchen für bodenständige und doch absurde Geschichten, skurrile Figuren, zufällige Entwicklungen und komische Situationen, deren Komik sich allerdings immer erst aus der eigentlichen Tragik der Geschichte ergab. In THE BANSHEES OF INISHERIN treten erneut Brendan Gleeson und Colin Farrell als ungleiches Duo auf. Mit ihren schauspielerischen Leistungen veredeln sie das ohnehin schon meisterhafte Drehbuch. Die kurzen alltäglichen Dialoge wirken authentisch und charakterisieren trotzdem äußerst elegant die Figuren, ihre Lebensumstände und ihre Geschichte. Während eine Situation zunächst noch ein Lachen hervorruft, stimmt sie aufgrund ihrer unterschwelligen Tragik kurz danach nachdenklich. Der Film nimmt seine Figuren ernst und offenbart vor dem wahrhaftigen Hintergrund des Bürgerkriegs ein tiefes Verständnis für die Konflikte innerhalb ihrer Lebensrealität und die Hürden der Zwischenmenschlichkeit. Worum geht es in diesem Kampf eigentlich? Sowohl für den Bürgerkrieg auf dem Festland als auch für den Konflikt zwischen den einstigen Freunden ist die Antwort zugleich einfach und komplex. Die existenzialistische Frage nach dem Sinn und der Art seines eigenes Lebens steht wie ein kleiner Esel im Raum. Welchen Sinn hat mein Leben und braucht es überhaupt einen? Will und kann ich mein Leben selbstbestimmt gestalten? Was bleibt von meinem Leben nach meinem Tod? Ist ein Ausbruch aus den bestehenden Verhältnissen der einzige Ausweg für meinen Frieden mit mir selbst und mit anderen? Unterdessen fängt die Kamera das einfache Leben auf der Insel in simplen Einstellungen ein, die trotzdem ein virtuoses Bild von der malerischen Schönheit und melancholischen Weite zeichnen. Der Wind streicht über die Felsen der Küste und die untergehende Sonne taucht die mit grünem Gras bewachsenen Hügel in sanftes Licht. Vor der Einsamkeit der Natur werden die Figuren mit sich selbst konfrontiert und Elemente der mystischen Folklore den vermeintlich zivilisatorischen Errungenschaften gegenübergestellt. Großes Kino braucht nicht unbedingt große Bilder. THE BANSHEES OF INISHERIN ist der beste Beweis.

(verfügbar bei Disney+ und als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)

Platz 1
OPPENHEIMER

Im Jahr 1942 wird J. Robert Oppenheimer die Leitung des Manhattan-Projekts anvertraut. Unter strengster Geheimhaltung wird er mit der Entwicklung und dem Bau einer Atombombe beauftragt und zieht sich dafür mit den Wissenschaftler*innen des Projekts in die Abgeschiedenheit von Los Alamos in New Mexico zurück. Im Jahr 1954 versucht J. Robert Oppenheimer vor einem Ausschuss seine Sicherheitsfreigabe durchzusetzen, die ihm aufgrund seiner Vergangenheit vor dem Krieg und seiner Beziehungen zu kommunistischen Kreisen verweigert worden war. Im Jahr 1959 strebt der Politiker Lewis Strauss einen Posten im Kabinett der US-Regierung an und wird deshalb von einem Ausschuss zu seiner Arbeit mit J. Robert Oppenheimer in der Atomic Energy Commission nach dem Zweiten Weltkrieg befragt. 

Über OPPENHEIMER ließe sich schwerlich schreiben, ohne Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan zu erwähnen. Im Laufe der letzten 15 Jahre hat er sich als einer der interessantesten Filmemacher im Blockbusterkino etabliert, der historische und fiktionale Geschichten nicht nur mit großen Namen, Bildern und Tönen, sondern auch mit einem Gespür für innovative Erzählweisen zu inszenieren weiß. Nun widmet er sich erneut einem historischen Stoff und formt daraus eine mitreißende Geschichte, die trotz ihres Hintergrunds des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs aktueller nicht sein könnte. Das Resultat ist aufwühlendes Charakterdrama, spannender Justizthriller, historische Lehrstunde und intellektuelle Diskussion zugleich. Statt sich zu sehr in den wissenschaftlichen und technischen Details des Baus der Atombombe zu verlieren, konzentriert sich der Film vielmehr auf die Figur des J. Robert Oppenheimer, die Auswirkungen der Verantwortung auf ihn und sein persönliches Umfeld, die Handlungen der Agenten des Staates und die ideologischen und moralischen Konflikte im Umgang mit der zerstörerischsten Macht, die die Menschheit bis dahin gesehen hatte. Und so ist die Denotation der ersten Atombombe beim Trinity Test auch nur ein Höhepunkt des Films. Auch davor und danach brennt, vibriert, bebt die Leinwand förmlich. Der zentrale Protagonist ist mit seiner Rolle in der Entwicklung einer Massenvernichtungswaffe und seinem anschließenden Einsatz für Abrüstung eine äußerst widersprüchliche Figur der Historie. Zunächst motiviert durch eine mögliche Entwicklung einer ähnlichen Waffe durch die Nationalsozialisten, kommen ihm nach und nach Zweifel an dem Einsatz der Bombe. So wie sein Leben vor dem Ausschuss auseinandergenommen wird und wie Atomkerne bei einer Kernspaltung aufgesprengt werden, so nimmt auch Christopher Nolan die Struktur seines Films auseinander. Immer wieder springt er entweder in der Zeit oder in der Perspektive, die zwischen Bildern in Farbe und in Schwarz-Weiß unterscheidet. Dadurch setzt er Ereignisse, die eigentlich Jahre auseinander liegen, in einen unmittelbaren Bezug zu einander und offenbart dadurch immer wieder neue Blickwinkel auf die Rolle von Wissenschaft und Staat und überraschende Motivationen, fragwürdige Entscheidungen und ambivalente Charakterzüge der Figuren. Verkörpert werden diese von einem großen Ensemble an namhaften Darsteller*innen, angeführt vom großartigen Cillian Murphy, die sich trotz ihrer großen Namen, ähnlich wie der übergroße Soundtrack von Ludwig Göransson, zu einem einzigen großartigen Kunstwerk zusammenfügen. All das macht OPPENHEIMER zum Film des Jahres!

(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV)


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Foto: ©Ruben Schmidt