*(große Spoilerwarnung für Indiana Jones und das Rad des Schicksals)
Knapp 15 Jahre sind seit Indys Rendezvous mit interdimensionalen Alienwesen und einer sowjetischen Elitefechterin vergangen. Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels gilt bis heute in den Augen vieler Nostalgiker*innen und Kritiker*innen als ein Schandfleck auf der sonst so makellosen Lederjacke der Original-Trilogie aus den 80ern, was nicht zuletzt an einem schon damals stark in die Jahre gekommenen Harrison Ford gelegen haben könnte. Was Disney und Paramount nun über ein Jahrzehnt später dazu veranlasst hat, eine schon 2008 stark angestaubte Reihe erneut aus dem Massengrab des Lizenzdschungels zu exhumieren, der braucht sich für eine Erklärung nur die Disney-Produktionen der letzten Jahre zu Gemüte führen. Halbgare Pre-/Sequels, wie der 2022 veröffentlichte Pixar-Film Lightyear oder die vor kurzem im Mai heiß diskutierte Realverfilmung von Arielle The Little Mermaid, sowie die Fortsetzung der Skywalker-Saga und eigentlich der gesamte Marvel Katalog seit Avengers: Infinity War sind ausreichende Beweise für Disneys aktuelle Firmen- und Lizenzpolitik. Das, was Disney bis Anfang der 2000er noch ausgezeichnet hat, und zwar neue und (meist) fantastische Geschichten zu erzählen, ist mit zunehmender Zeit und einem potenzierten Wachstum des Vermögens immer weiter in die Ferne gerückt. Disneys Marktdominanz wird für die Filmlandschaft immer mehr zu einem Problem, denn fantasievoll und neuartig dürfen deren Filme schon lange nicht mehr sein. Stattdessen versucht das Studio lieber den Zeitgeist der Jugend einzufangen, möglichst divers und weltoffen möchte man sich präsentieren. Dass diese krampfhaften Versuche nicht nur beim allgemeinen Kinopublikum, sondern inzwischen auch in verschiedensten Communities anecken, scheint den Konzern weiterhin wenig zu stören. Zu sehr begreift man in den kapitalistischen Gemäuern der Disney-Festung die wiedererstarkte Awareness von Frauen, der queeren Communities und allgemeinen Minderheiten als einen Trend, den es auszuschlachten gilt. Anstatt bestimmte Merkmale zu naturalisieren, als selbstverständlich zu präsentieren und, darauf basierend, neue Geschichten zu erzählen, konzentriert man sich lieber darauf, alten Klassikern das Korsett des neuen Zeitgeists überzustülpen, meist ohne Rücksicht auf Verluste. Dass Kritiken zur Hautfarbe des neuen Arielle-Films auftreten, liegt in den meisten Fällen nicht an der Ethnie von Halle Bailey, sondern umgekehrt daran, wie Disney versucht, solche Botschaften an alte Filme anzuheften. Natürlich ist Disney bemüht daran, seine Weste reinzuwaschen, gerade die rassistische Vergangenheit älterer Werke möchte man wahrscheinlich durch eine Hypersensibilität in den neueren Produktionen retuschieren und somit vergessen machen.
Indiana Jones und das Rad des Schicksals hat nun genau diese Chance, eben als ein neuer Film in einem Franchise, welches schon fast für seine überspitzten Klischees, wie der Damsel in Distress oder rassistischen Motiven (Temple of Doom darf bis heute nicht in Indien gezeigt werden aufgrund der falschen Darstellung der Essgewohnheiten. Stichwort: Affenhirn auf Eis.), bekannt ist, zu überarbeiten und den antiquierten Idealen der damaligen Zeit den Rücken zu kehren. Also nicht nur einem alten Franchise ein Korsett überzustülpen, sondern, gleich mit neuem Regisseur an Bord, einen neuen Körper zu schaffen, Altlasten zu pensionieren und Neues natürlich mit einzuweben. Vielen würde nicht zuletzt die Idee kommen, die Hauptquelle „allen Übels“ zu beseitigen, Harrison Ford. Dies wäre wohl der einfachste Schritt, quasi Indiana Jones aus Indiana Jones herausstreichen, denn kaum eine Persona steht für die verkörperte Macho-Maskulinität wie der 80er Jahre Antiheld Harrison Ford in seinen Rollen sowohl des Indiana Jones, Han Solo oder auch Rick Deckard. Das Ende des vierten Films ließ einen solchen Richtungswechsel erahnen, wenn zugleich die Lizenzen damals noch nicht bei Disney lagen. Ob nun Shia LaBeouf, in der Rolle als Indys Sohn, wirklich als Indiana Jones-Nachfolger geplant war oder nicht und ob dies einen Eigenschaftswechsel mit sich gebracht hätte, spielt Stand jetzt aber keine Rolle mehr. Denn Harrison Ford ist zurück, noch älter, denn je und mit ihm: Seine Vergangenheit. Die Vergangenheit stellt sich in dem Falle aber als zweiteiliges Problem dar, denn zum einen hat Indy am Ende des vierten Teils erneut Marion Ravenwood geheiratet (der übrigens einzige Lichtblick hinsichtlich einer emanzipierteren Rolle der Frau im gesamten Franchise). Problematisch ist dies insofern für den Nachfolger, dass der Regisseur Mangold einen Grund finden musste, damit Indy sich noch einmal in ein Abenteuer stürzt. Denn eigentlich schien der sich bereits als sein letztes Abenteuer das normale Familienleben vorgenommen zu haben. Die Notlösung seitens Mangolds dafür: Eine erneute Scheidung der beiden, mitverursacht durch den Tod ihres Sohns im zweiten Weltkrieg (zugleich die einfachste Methode, einen abgestürzten Schauspieler aus Hollywood fernzuhalten), womit beide auf ihre Art nicht zurechtkamen und sie sich daraufhin zerstritten.
Zum anderen besteht das oben beschriebene Problem, unbedingt Altes mit Neuem verbinden zu müssen. Wie soll das gelingen bei einer solchen Vorgeschichte, wie sie Indiana Jones mitbringt? James Mangold gilt in Fachkreisen als sehr guter Regisseur und hat in der Vergangenheit mit Logan und Todeszug nach Yuma bewiesen, dass er Hollywood-Action mit Geschichten erzählen verbinden kann. Hier scheitert er aber kläglich an der Mammutaufgabe, den Stil Steven Spielbergs zu imitieren und dabei gleichzeitig noch seine Note mit aufzutragen. Gerade weil in vielen Teilen des Films darauf beharrt wird, den alten Charme der Indy-Trilogie auf die Leinwand zu bringen, bleiben der Hauptantagonist und zahlreiche Nebenfiguren lediglich austauschbare Abziehbilder. Womit wiederum genau das passiert, was Disney momentan am liebsten gar nicht in ihren Filmen hätte: veraltete Stereotypisierung. Der neue Sidekick, das Patenkind Helena Shaw, soll als emanzipierte Frau dem alten Haudegen die Stirn bieten. Bis auf ein paar Wortgefechte auf Augenhöhe und die ein oder andere Actioneinlage, liefert der Charakter jedoch wenig Neues, zumal der Film auch ohne Indiana funktioniert hätte, da sie vom Mysterium des Rades des Schicksals sowieso schon genau so viel wusste, wie Jones. Mats Mikkelsen in der Rolle des Alt-Nazis Dr. Voller, der die kriegsentscheidenden Fehler Hitlers wieder rückgängig machen möchte durch eine Zeitreise mit dem Rad des Schicksals, spielt seine Rolle gewohnt aalglatt und gelassen, was den Charakter aber nicht weniger klischeebehaftet zurücklässt. Am skurrilsten jedoch bleibt der neue junge Sidekick, Teddy, im Gedächtnis. Der Marokkaner, welcher durch mehrere Umstände mit in das Abenteuer hingerissen wird, fällt einzig in der Rolle des Auto- und Taschendiebes auf und bleibt den restlichen Film über mehr nerviges Anhängsel als eine wirkliche Bereicherung für die Handlung. Hier steht so viel in Kontrast zueinander, sodass nichts so richtig stimmig wirken möchte. Unzählige lose Puzzleteile, die in eine Handlung eingeführt werden müssen, die sich auch alle am bereits vorhandenen Source-Material bedienen, dabei aber noch unausgereifter wirken als die damaligen Schablonen. Das Problem hierbei: Zwar ist es immer noch Indiana Jones und da ist nun mal nicht viel mit detailliert ausgeschriebenen Charakteren und Hintergrundgeschichten. Und das muss es auch gar nicht, denn Abenteuerfilme funktionieren meist eher über das aufgebaute Mysterium und die Action. Aber wenn die beiden Kernelemente, wenn sie dann mal vorhanden sind, nicht so richtig zünden wollen, dann hat ein Film dieses Genres ein großes Problem.
Und allen voran ist Harrison Ford eben ein behäbiger alter Mann geworden. Man merkt nicht nur dem Charakter Indiana Jones, sondern auch Harrison Ford selbst den ganzen Film über lang an, dass er gerade lieber egal wo sein würde, nur nicht wieder in dieser Situation. Vor allem die actionreicheren Szenen, die fast nur in motorisierten Fahrzeugen oder festen Kamerabildern stattfinden, um Fords körperlichen Verschleiß zu kaschieren, generieren beim Zuschauer eher Mitleid als euphorisches Mitfiebern. Wo soll da noch der Entdeckerdrang Platz finden in der Mimik, wenn er aufgrund seines Alters sichtlich erstmal andere Dinge verbergen muss? Dass Indy wider Willen in diesen Plot durch seine Patentochter Helena gezogen wird und dieser sich das erste Drittel des Films nur gegen eine Involviertheit auflehnt, trägt nur allzu gut zu dem Gesamteindruck bei, den Harrison Ford auf der Leinwand hinterlässt. Er ist es leid, dem Vergangenen nachzueifern, das merkte man zuletzt eindrücklich in Das Erwachen der Macht. Die Interviews, die Ford in den letzten Jahren zu seinen alten Figuren und zu Hollywood im Allgemeinen gab, zeugten von einer Person, die mit all dem am liebsten gar nichts mehr zu tun gehabt hätte. Was ihn dann dazu bewegt hat, doch noch ein letztes Mal die legendäre Peitsche zu schwingen, lässt sich schwer nachvollziehen.
Totgesagte leben bekanntlich länger, aber in manchen Fällen sollte man die Scheintoten in den Lizenzgräbern lieber in der Vergangenheit schwelgen lassen, anstatt sie erneut zu wecken. Denn Indiana Jones und Harrison Ford sind Relikte aus einer vergangenen Zeit, sie stehen gut da im Kontext des Überholten und vor dieser Prämisse machen die alten Abenteuer des Henry Jones Jr. auch heute noch großen Spaß. Aber sind sie nicht als das, was sie sind, ein Relikt, besser hinter einer Glasfront aufgehoben? Wie Indy selbst sagen würde: Relikte gehören in ein Museum und nicht in die Hände von Disn… des Bösen.
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