Ein Rachethriller mit Humor und Herz auf der Höhe der Zeit. Klingt vielversprechend? Ist es auch!
Inhalt
Cassie ist eine junge Frau mit einer eigentlich vielversprechenden Zukunft. Doch statt ihr Medizinstudium abzuschließen, wohnt sie mit 30 Jahren immer noch bei ihren Eltern und arbeitet in einem kleinen Café. Ihre Nächte verbringt sie damit, sich augenscheinlich vollkommen betrunken von übergriffigen Männern in deren Wohnungen abschleppen zu lassen, um dort den Spieß in gewisser Weise umzudrehen. Als sie den netten Ryan kennenlernt, scheint sie ihre nächtlichen Ausflüge an den Nagel hängen zu wollen. Doch kann sie ihre Vergangenheit wirklich ruhen lassen?
Rache trifft Drama trifft Humor
Regisseurin Emerald Fennell liefert mit PROMISING YOUNG WOMAN ihr beeindruckendes Regiedebüt ab. Zusätzlich steuerte sie auch das Drehbuch für den Film bei, für das sie 2021 verdient mit einem Academy Award ausgezeichnet wurde. Das Erstlingswerk hat es nicht umsonst auf Platz 2 meiner Top-Ten-Filme 2021 geschafft. Denn PROMISING YOUNG WOMAN ist ein auf vielen Ebenen fesselnder und faszinierender Film. Während er sich im Großen und Ganzen als Rachethriller bezeichnen ließe, so geht er gleichzeitig stellenweise auch als bissige Satire durch. An wiederum anderen Stellen ist er vielmehr ein Drama und zwischendurch sogar eher eine romantische Komödie mit viel Herz und Humor. Darüber hinaus behandelt er schwierige gesellschaftliche Themen, die lange nach dem Abspann im Gedächtnis bleiben. Wie kann dieser Film überhaupt funktionieren und dabei auch noch so unverschämt gut sein?
Eine vielversprechende junge Frau
Die Raffinesse von PROMISING YOUNG WOMAN liegt zum einen am Drehbuch von Emerald Fennell, die einen unglaublichen Sinn für merkwürdige, aber trotzdem realitätsnahe Figuren beweist. Sie lässt diese in spannenden und vor allem passenden Situationen aufeinander treffen. Die Dialoge sind dabei messerscharf und pointiert. Gleichzeitig verliert sie sich nicht in Nebensächlichkeiten, die auch erzählt werden könnten, sondern konzentriert sich weiterhin auf ihre Hauptfigur. Sie und alle anderen Figuren werden in angemessener Zeit etabliert, zusammen mit ihren jeweiligen Charaktereigenschaften und Lebenssituationen. Hier spielt das Drehbuch geschickt mit typischen Klischees, zeichnet Figuren eher schablonenhaft, nur um sie dann doch in wenigen Szenen äußerst sympathisch darzustellen oder ihnen eine tragende Rolle zuzuschreiben. Zum anderen weiß Emerald Fennell als Regisseurin ihr Drehbuch wirkungsvoll und stilsicher in Szene zu setzen. Das Szenenbild ist beinahe schon zu bunt und schrill, aber gerade deshalb genau richtig. Die Inszenierung greift auf totale Bilder, die manche Szene wie in einem Gemälde wirken lassen, oder auf leicht versetzte Kamerawinkel, die das Unwohlsein der Figuren transportieren, oder auf langsame Kamerafahrten, die langsam Spannung aufbauen, zurück. Durch das sorgfältige Ausarbeiten der Figuren können die berührenden, lustigen aber auch spannungsgeladenen Momente des Films angemessen zum Leben erweckt werden.
Dazu tragen allerdings auch die wunderbaren Schauspieler:innen mit ihren Leistungen bei, deren Casting auch nicht besser gewählt sein könnte. Während Carey Mulligan noch in THE GREAT GATSBY eine lediglich durch Männer definierte Rolle verkörperte, geht sie hier vollkommen in Cassie auf und spielt diese mit allen erdenklichen Nuancen. Sie verkauft ihre manchmal gleichgültige und dann wieder dominante Rolle hervorragend. In Gesprächen und Konflikten übernimmt sie in Sekunden allein mit ihrer Körpersprache und ihrem Auftreten die Kontrolle, kehrt das vorherige Rollenverhältnis um oder lässt ihr Gegenüber ins Messer laufen. Gleichzeitig zeigt Carey Mulligan die nötigen inneren Konflikte ihrer Figur, welche die Zuschauenden langsam erkunden, die den anderen Figuren aber verborgen bleiben. Auch das Casting von beispielsweise Bo Burnham oder Christopher Mintz-Plasse, die sonst eher nette und lustige Rollen bekleiden, trifft im Spiel der Klischees den Nagel auf den Kopf.
Männer sind Schweine!?
PROMISING YOUNG WOMAN gelingt zu guter Letzt noch ein gewaltiger Spagat zwischen der persönlichen Geschichte von Cassie und der Behandlung sexualisierter Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft. Der Film greift dabei die Komplexität der Probleme und Konflikte auf, die in den letzten Jahren vor allem durch die Bewegung #metoo präsent geworden sind. Einerseits sind sexuelle Übergriffe und Verbrechen nach wie vor Alltag vieler Frauen, denen häufig die nötige Unterstützung fehlt und deren Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, die sie brauchen, um ihre Anklagen erfolgreich vorzubringen. Andererseits lassen sich schwerwiegende Urteile bei mangelnder Beweislage schwer fällen und vor Gericht gelten Angeklagte solange als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen wurde. Der Film zeigt nun aber, wie leicht eine Gesellschaft und die Menschen in ihr sich auf letzterer Grundlage der Rechtsprechung ausruhen können, statt eine Balance zwischen der Perspektive der Ankläger:innen und der Angeklagten zu schaffen. Solche Grundsätze funktionieren in einer Gesellschaft nur so gut, wie die Menschen bereit sind sie umzusetzen und genau hinzuschauen. Geschieht das nicht, dann ist das nicht etwa der „benefit of the doubt“, sondern vielmehr Faulheit, Arroganz oder Absicht durch gesellschaftlichen Druck oder für den eigenen Profit.
Obwohl der Film aufgrund seiner Thematik und seiner Perspektive aus der Sicht einer Frau häufig mit Schablonen für Figuren und besonders für Männer arbeitet, erhebt er nie einen moralischen Zeigefinger, will endgültige Antworten liefern oder stellt immer alle Männer unter Generalverdacht. Letzteren dürfte der Film aber trotzdem angemessen auf die Füße treten. Insgesamt stellt er jedoch vielmehr einen unangenehmen Spiegel auf, der viele kritikwürdige Teile der gesamten Gesellschaft zeigt. Zum wiederholten Mal werden hier die Schablonen hervorragend eingesetzt, um das stereotypisierte Bild der Figuren und der Zuschauenden erst zu bestätigen, um es anschließend zu dekonstruieren. Auch in Bezug auf die Charakterisierung von Cassie werden erneut Erwartungen in gewisser Weise unterlaufen. Denn Cassie muss keine brutale, mörderische Gewalt anwenden, um ihre Rache an den Männern zu üben. Die zerstören sich mit ihrer Gewalt schon ganz von selbst. Gewaltvolle Rache ist ein viel zu leichter Weg, den PROMISING YOUNG WOMAN mit seinem cleveren Drehbuch schlichtweg nicht zu gehen braucht.
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime oder Apple TV und im Stream bei WOW von Sky)
Übersicht
Erscheinungsjahr: 2020
Regie: Emerald Fennell
Drehbuch: Emerald Fennell
Cast: u. a. Carey Mulligan, Bo Burnham, Laverne Cox
Trailer
Der Film läuft am Dienstag, den 21. Juni um 19 Uhr im Unikino in HS 2 im Original mit englischen Untertiteln.
Der Einlass beginnt um 18:30 Uhr. Es gilt die Maskenpflicht bis zum Einnehmen des Sitzplatzes.
Der Autor dieser Kritik ist Teil des Unikinos.
Weitere Informationen und das Programm für das Sommersemester unter Unikino – AStA Universität Lüneburg.
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Foto: ©Ruben Schmidt