Don’t Look Up: Der Wille zum Nichtwissen

Eine Film- und Gesellschaftsinterpretatio

Warum schafft es eigentlich der Mensch nicht, allgemein bekannte Krisen effektiv anzugehen? Wenn man auf den Klimawandel, Flüchtlingsrettung oder auf Corona schaut, dann scheint Krisenpolitik an allen Ecken und Enden zu scheitern. Adam McKay versucht genau dieser Frage in seinem neusten Film Don’t Look Up mittels einer Parabel nachzugehen, was bisweilen zu pointierten Beobachtungen unserer Gesellschaft führt, doch an anderen Stellen ins Leere läuft.

Als Metapher für (vor allem) den Klimawandel dient bei McKay ein Komet. Zwei Astronomen ( DiCaprio und Jennifer Lawrence) entdecken ihn und berechnen, dass die Erde in sechs Monaten mit ihm kollidieren wird. Sie wenden sich zunächst an die zuständigen Behörden und werden, nachdem ihre Berechnungen bestätigt wurden, durchgereicht bis ins Weiße Haus. Doch der von Meryl Streep gespielten, trumpesken Präsidentin passt ein Kometeneinschlag gerade nicht in den Wahlkampf und so will sie sich erst nach der Wiederwahl mit dem Thema beschäftigen. Da die Zeit drängt, wenden sich DiCaprio und Lawrence an die (analogen) Medien. Doch auch da bleibt die erwartete Reaktion aus. Die Fernsehmoderatoren (Cate Blanchett und Tyler Perry) witzeln vor sich hin, bis Lawrence schließlich herausschreit, dass die Menschheit bald sterben werde – I want you to panic! Im Internet machen sich die Leute nun über sie lustig, während andere sich über DiCaprios Aussehen austauschen. Da nun aber die Wahrheit draußen ist, muss die Regierung handeln. Eine Mission zur Sprengung des Kometen wird auf den Weg gebracht, doch in letzter Sekunde abgebrochen, als man seltene Rohstoffe auf ihm findet.

Der Film ist voller Charaktere, die die Bedrohung wortwörtlich nicht sehen wollen. Doch man sollte es sich nicht so einfach machen und sagen, der Film wolle darauf hinaus, dass die Menschheit an ihrer eigenen Ignoranz verrecke. Vielmehr gilt es zu begreifen, warum die Menschen die Wahrheit nicht erkennen wollen. Die Politiker und die Medien, die McKay uns hier zeigt, sind wichtige Akteure in Berufen, in denen Wissen ein entscheidender Faktor von Macht ist. Gleichzeitig sind sie aber auch Vertreter des Kapitalismus, also jener Gesellschaftsform, die den Grundgedanken der Aufklärung Lügen straft Erkenntnis verändert nicht länger das Verhalten der Menschen und vielleicht hat es das auch noch nie getan. Damit Erkenntnis tatsächlich eine Wirkung entfalten kann, muss sie mit einem unmittelbaren Zuwachs an Macht oder Reichtum verknüpft sein. Mit anderen Worten ist Erkenntnis darauf reduziert, ein Werkzeug der kurzfristigen Nutzenmaximierung zu sein. Lange vor den öffentlichen Diskussionen über den Klimawandel erklärte der holländische Philosoph Peter Sloterdijk bereits den Aufklärungsgedanken für überholt. Er schrieb:

,,Der heftige antirationalistische Impuls in den Ländern des Westens reagiert auf einen geistigen Zustand, in dem alles Denken Strategie geworden ist; er bekundet einen Ekel vor einer bestimmten Form von Selbsterhaltung. Er ist ein sensibles Zusammenzucken vor dem kalten Hauch einer Realität, in der Wissen Macht ist und Macht Wissen.“ (Sloterdijk, 1983, S. 12)

Doch was ist mit dem Volk? Warum gerät da keiner in Panik, angesichts des nahenden Ablebens aller Menschen? Diese Frage wird oft auch von Klimaaktivisten gestellt und verkennt, dass gerade die Untätigkeit Ausdruck von Panik sein kann. Wenn der Mensch unmittelbar bedroht wird, verfällt er in automatische Schutzreaktionen. Während die einen ohne vorherigen Evaluationsprozess die Flucht ergreifen, gehen andere zum Kampf über. Doch gibt es noch eine dritte Form der automatischen Reaktion auf Gefahr. Manche Menschen tun einfach gar nichts. Sie erstarren – Wer nun erwartet, dass die Menschen alle vor dem Pentagon für Maßnahmen demonstrieren müssten, so sie in Panik geraten, unterliegt einem schwerwiegenden Denkfehler. Implizit setzt diese Vorstellung nämlich die Panikreaktion, die die Tatsächlichkeit der Gefahr anerkennt, mit einem praktischen Lösungsansatz gleich. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Diejenigen, die den Klimawandel leugnen sind diejenigen, die Tunbergs Aufforderung zur Panik tatsächlich nachgekommen sind. Geleugnet werden kann nur, was bereits als wahr anerkannt wurde. Das soll hier keine semantische Spielerei von mir sein. Der springende Punkt ist vielmehr, dass Verdrängung ein Mechanismus ist, der den Geist vor einer tiefgreifenden Traumatisierung bewahren soll. In der Psychoanalyse liegt der Grundgedanke der Verdrängung darin, dass es zu einem Auseinanderklaffen von Bewusstsein und Unbewussten kommt. Dabei haftet die Triebenergie nach wie vor dem Inhalt an, der durch den Akt des Verdrängens unbewusst geworden ist. In der Tat kann man aus der Sicht heutiger psychologischer Forschung einige Bedenken gegen diesen Aspekt erheben. Doch der tatsächlich interessante Gedanke von Freud ist der, dass meist immer der Inhalt verdrängt wird, der nicht mit den eigenen Wertvorstellungen (also dem Über-Ich) in Einklang zu bringen ist. Diese sind oft identisch mit den Es’schen Trieben (Freud, 1917). Ist das denn nicht genau das, was der Film uns zeigen will und was wir auch in der Klimakrise beobachten können? Der fundamentale, menschliche Trieb zum Überleben muss im Akt der Verdrängung zensiert werden, da er nicht mit unserer Moralvorstellung kompatibel ist, die durch primär kapitalistische Werte strukturiert wird. Nirgendwo wird das im Film so deutlich, wie im Abbruch der Mission, die den Kometen voller seltener Erden einfach zerstören würde. Doch auch bei der Bevölkerung lässt sich dieses Phänomen beobachten, als die Aktien des Tech-Konzerns ansteigen und die Medien die Begeisterung über die Jobs ankurbeln, die durch den Kometen entstehen…

Die erste Stunde des Films ist in der Tat recht pointiert. Sie arbeitet vieles heraus, was man in den politischen und medialen Diskussionen zum Klimawandel und zu Corona auch beobachten kann. Doch in der zweiten Hälfte wirkt der Film verloren. Er scheint sich nicht vorstellen zu können, wie die Entwicklung weitergeht. Quo Vadis? Ja, darauf weiß er nicht so richtig eine Antwort und so scheint der Film sich in überflüssige Beziehungsgeschichten zu flüchten: DiCaprios gerät in eine Ehekrise, Lawrence hat eine Liebesbeziehung mit Timothée Chalamet und dann zeigt man uns nochmal die große amerikanischen Familienidylle. Wenn man schon im Dunkeln tappt, dann doch lieber hinter einem knutschenden , die fordert, endlich etwas gegen den Astroiden zu unternehmen. Die Kritik, dass diese Bewegung eher deswegen so gut von jungen Menschen rezipiert wird, weil sie in den sozialen Netzwerken einen hohen Replikationswert bietet und einen gewissen Eventcharakter hat, ist sicher nicht ganz falsch, doch schießt sie über das Ziel hinaus. Don’t Look Up ist zwar zu großen Teilen eine Satire auf die Massenmedien, doch kommen die Massen schlicht nicht vor. Während Fridays For Future dafür sorgt, dass bestimmte Themen prominent in der Öffentlichkeit stehen und sich deshalb die Politik positionieren muss, scheint die Asteroiden-Bewegung überhaupt keinen öffentlichen Einfluss zu haben. So etwas wie Demonstrationen werden uns nicht gezeigt; das Volk ist abwesend. Weder kommt es zu massiven Panikkäufen durch eine rasant wachsende Prepperbewegung noch werden die Finanzmärkte durch Panikverkäufe oder -käufe wirklich erschüttert, wie man sie in der Dotcom-Krise oder bei der Lehmann-Pleite beobachten konnte (Schiller, 2000). Nein, die Menschen kommen noch nicht mal auf die Idee, ganz viel Geld, was sie eigentlich nicht haben, auszugeben, um nochmal eine Reise machen. Mit Ausnahme einer, von Lawrence ausgelösten, winzigen Randale, wartet das amerikanische Volk gesittet und ruhig auf den Weltuntergang.

Damit verkommen aber auch die Massen im Internet, eine potenziell aufbegehrende Meute, zu sehr zum Rudel zahnloser Tiger. Es scheint fast so, als stamme das Drehbuch von jemandem, der soziale Medien doch eher aus Soziologiejournals kenne. Der Film schaut ein bisschen zu sehr auf analoge und etwas zu wenig auf digitale Medien. Man hätte es ja auch so erzählen können, dass die Präsidentin in ihrem Kurs von einer gut organisierten, rechten Internetbewegung vor sich hergetrieben wird, die nicht unerhebliche Teile der Republikaner überrollt hat. Doch schaut McKay lieber aufs analoge: Die Kursänderung der Präsidentin kommt somit nicht deswegen zustande, dass sie irgendwie (und sei es auch nur mit Symbolpolitik) auf eine öffentliche Forderung reagieren muss, sondern weil bei einer Wahlveranstaltung vor ihr einer ihrer Anhänger doch in den Himmel schaut.

Der Film macht es sich damit arg einfach, denn eigentlich macht er hier eine Schein-Opposition auf. Die Botschaft hier lautet, dass der Klimawandel nur deswegen nicht adäquat bekämpft wird, weil die Politik korrupt ist und die Wirtschaft daran kein finanzielles Interesse hat. So sehr, dass in bestimmten Bereichen auch stimmen mag, umgeht es die eigentliche Frage: Ist eine Krise überhaupt auf demokratischen Wegen bekämpfbar? Oder anders: Msste die Krise nicht auch verdrängt werden, um eine Traumatisierung demokratischer Werte zu verhindern? Es wäre doch sehr viel spannender gewesen, einen Film zu drehen, in dem tatsächlich der Wille sehr groß ist, gegen den Asteroiden vorzugehen, nur kann man sich nicht darauf einigen, auf welche Weise. Man hätte das Szenario ja auch so spinnen können, dass jede Lösung zur Rettung des Planeten mit erheblichen Schäden oder Sterben von ganzen Ländern oder Ressourcengrundlagen verbunden wäre. Wie soll man da noch Interessen austarieren? Das wäre die tatsächliche Krise, wenn die Rettung bedeuten würde, dass alle mitsprechen dürfen, aber klar ist, dass am Ende die Interessen vieler Menschen und Gruppen hintenüberfallen werden. Auch hätte man das Szenario so spinnen können, dass die Politik zwar zu handeln versucht, doch der Widerstand der Bevölkerung (sei es aus Fehlinformationen heraus oder um den eigenen Besitz zu schützen) so groß wird, dass die Politik gewaltsam oder mittels einer Wahl daran gehindert wird. Und tatsächlich gibt es eine solche Satire auf den Konflikt zwischen Bekämpfung einer akuten Krise und demokratischen Interessensausgleich schon. Geschrieben wurde sie bereits 1882 von dem norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen und heißt Ein Volksfeind. Das ist ein Drama, dass man vor dem Hintergrund des Klimawandels unbedingt wieder lesen sollte…

Literatur:

Blanchard, D. C., Hynd, A. L., Minke, K. A., Minemoto, T., & Blanchard, R. J. (2001). Human defensive behaviors to threat scenarios show parallels to fear- and anxiety-related defense patterns of non-human mammals. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 25, 7-8.

Freud, S. (1917). Widerstand und Verdrängung. In: Freud, S. (1940). Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 226-239

Schiller, R. J. (2000). Irrational Exuberance. Princeton University Press, Priceton.

Sloterdijk, P. (1983). Kritik der zynischen Vernunft, Erster Band. 1. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1983, 7-33


Photo: ,,Gas Masks, WW2. Prague“ by Nikoli Afina on Unsplash

Johann Alexander Betker

Student der Kognitiven Neurowissenschaften. Seit 2022 ist er Mitglied der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung. Seine Texte haben nicht den Anspruch einer politische Positionierung zu dienen, ebensowenig wollen sie die Gesellschaft transformieren. Vielmehr dienen sie dazu, neue Perspektiven in bestehenden Debatten aufzutuen. Seine Artikel finden also in dem Rahme dessen statt, was Marx als rücksichtslose Kritik bezeichnet: ,,Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikt mit den vorherrschenden Mächten.” (Marx, 1843, MEW 1).

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