Univativ Filmkritik: The Northman

Fantastische Bilder und historische Details erschaffen in diesem Film eine Geschichte voll Mythologie und Rache.

Inhalt

Nachdem sein Vater König Aurvandill von dessen Bruder ermordet wird, flieht der junge Amleth aus seiner Heimat. Er schwört, seinen Vater zu rächen und seine Mutter zu befreien. Im Exil wächst er im Laufe der Jahre zu einem erwachsenen Mann und brutalen Krieger heran. Als er eines Tages an seine Vergangenheit erinnert wird, kehrt er zurück, um seinen Schwur zu erfüllen.

Historie

Wikinger sind in den letzten Jahren vor allem in erfolgreichen Serien wie VIKINGS oder THE LAST KINGDOM zu sehen gewesen. Während sich darüber streiten lässt, inwiefern diese Serien nun historisch korrekt sind oder welche kreativen und dramatischen Freiheiten sie sich herausnehmen, kommt mit THE NORTHMAN der neue Film von Robert Eggers auf die große Leinwand. Mit seinen ersten Filmen THE WITCH und THE LIGHTHOUSE hat er eine Vorliebe für historische Stoffe offenbart und seine Fähigkeiten als Regisseur und Co-Drehbuchautor unter Beweis gestellt. Der Fokus in diesen beiden Filmen lag vor allem auf einer möglichst historisch akkuraten Darstellung der Lebensumstände der Figuren. So wurden nicht nur die Sets und Kostüme penibel errichtet und ausgewählt, sondern auch die Sprache und Denkweise der Menschen eingefangen. Daran anknüpfend behandeln die Filme die Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer harten, mitunter lebensfeindlichen Umwelt. Der Glaube der Menschen, welcher fundamental ihre Realität ordnet, gerät im Angesicht der Lebensumstände in Konflikt mit diesen. Schließlich können sowohl die daraus resultierenden Ängste als auch die natürlichen Wünsche der Figuren nur im Wahnsinn enden. Auf faszinierende Weise verknüpft Robert Eggers so in seinen Filmen eine historische Geschichte mit mystischen Elementen. Doch wie reiht sich nun THE NORTHMAN in seine Filmographie ein? 

Eine Frage der Perspektive

Es ist kein Zufall, dass sich die Handlung von THE NORTHMAN wie eine Version von William Shakespeares HAMLET liest. Denn die Sage von Amleth stellt tatsächlich die historische Vorlage für die Tragödie des englischen Dramatikers dar. Während die Sage in den überlieferten Stücken aus dem 13. Jahrhundert in Jütland spielt, wird vermutet, dass sie ursprünglich Teil eines Gedichts aus Island aus dem 10. Jahrhundert gewesen ist. Von diesem Gedicht ist allerdings nichts erhalten geblieben, was sich wissenschaftlich auswerten ließe, so dass Robert Eggers und sein Co-Drehbuchautor Sjón verschiedenste Elemente in den Film einfließen lassen. Sie verlagern beispielsweise die Handlung zurück nach Island und übernehmen einige Elemente aus William Shakespeares berühmten Theaterstück.

THE NORTHMAN kombiniert eine klassische Rachegeschichte mit neuen interessanten Perspektiven und Narrativen. Denn anders als vielleicht zu erwarten wäre, versammelt der von Alexander Skarsgård verkörperter Amleth keine große Armee und fährt dann auf einer ehrenvollen Mission Richtung Island. Vielmehr schleicht er sich dort ein, um anschließend das Dorf seines Onkels langsam Stück für Stück zu terrorisieren, ehe er seine Rache nimmt. Der Film setzt dabei nicht unbedingt auf einen klassischen Spannungsbogen, sondern teilt die Handlung in einzelne Strophen wie bei einem Gedicht ein. Insgesamt stehen die Bildgewalt der Geschichte sowie die Mythologie, Lebensweise und auch Brutalität der Wikinger im Vordergrund. Die Rachegeschichte ist somit nicht geprägt von klassischen dramaturgischen Momenten, sondern bewegt sich bei aller Größe auf einer immer intimer werdenden Ebene. Am Ende kann diese Rache gar nicht heldenhaft sein. Stattdessen verfolgt der Film einen Serienmörder, der seinem Glauben nach Rache auf einen äußerst brutalen Weg folgt und zu einem Monster wird.

Das Leben einer Rolle

Und wie ein Monster wird Amleth auch verkörpert. Alexander Skarsgård spielt hier ein absolutes Biest von einem Wikinger. Sein großer und hagerer, aber dafür umso muskulöserer Körper verleiht ihm eine bedrohliche Figur. Er sieht wahrhaft aus wie ein Wikinger, der ständig auf einem der Schiffe rudert oder mit seiner Axt im Krieg Menschen erschlägt. Bei seinem ersten Auftritt als Amleth wird dann auch gleich eine historische Vermutung über die Krieger der Wikinger auf der Leinwand dargestellt. Zusammen mit anderen halbnackten Männern kleidet er sich in Wolfspelze und tanzt sich um ein Feuer in Trance, wodurch er sich in einen Berserker verwandelt. Bei dem anschließenden Überfall auf ein Dorf klettert er ohne große Mühe die Mauer hinauf und tötet wie ein wildgewordenes Tier jeden Mann, der sich ihm in den Weg stellt. Doch auch abseits dieser Körperlichkeit liefert Alexander Skarsgård zwischen lautem Brüllen und stillem Entsetzen eine wahnsinnige Performance ab.

Die Nebenrollen sind mit Ethan Hawke und Willem Dafoe ebenfalls hervorragend besetzt. Doch es sind vor allem Anya Taylor-Joy und Nicole Kidman, die in ihren Rollen zu überzeugen wissen. Die versklavte slawische Seherin Olga wird von Anya Taylor-Joy mit der nötigen mystischen Aura gespielt. Sie wirkt zwar vertrauenswürdig, offenbart aber auch dunkle Seiten, die an ihrer Loyalität zu Amleth zweifeln lassen. Während sie im Vergleich zum Hauptdarsteller zwar klein und verletzlich wirkt, geht sie auf andere, beinahe übernatürliche Weise dennoch ähnlich brutal vor. Die von Nicole Kidman dargestellte Königin Gudrún ist zu Beginn eher wenig oder nur abseits zu sehen. Wenn sie dann in einem unfassbar fesselnden Monolog den sonst so bedrohlich wirkenden Alexander Skarsgård klein und unschuldig wirken lässt, dann ist das einfach nur hohe Kunst.

Wiederauferstehung

Noch beeindruckender als die schauspielerischen Leistungen ist nur noch die gesamte Produktion des Films. Bei einem geschätzten Produktionsbudget von 75 Millionen US-Dollar kamen vor Veröffentlichung des Films Zweifel auf, ob Regisseur Robert Eggers, der bei seinen vorherigen Filmen nur ein Bruchteil dieses Budgets zur Verfügung hatte, weiterhin an seinem Auge für Details festhalten würde. Glücklicherweise ist THE NORTHMAN trotz seiner stolzen Produktionskosten nicht zu einem typischen Film von der Stange geraten. Ganz im Gegenteil. Denn das meiste Geld dürfte sicherlich in die aufwendigen Sets geflossen sein, welche die Dörfer und Siedlungen aus 895 n. Chr. wieder auferstehen lassen. Unterstützung bekam die Produktion dabei von einem Archäologen der Universität Uppsala. Das Produktionsdesign von Craig Lathrop und das Design der Kostüme von Linda Muir orientiert sich deshalb soweit es eben geht an historischen Vorbildern. Die Krieger tragen dementsprechend kaum Rüstungen und auch keine Helme mit Hörnern, sondern Haarreifen, Pelze oder sogenannte Spangen- oder Vendelhelme. Die Häuser in Island sind mitunter in die Erde gebaut und von Gras bedeckt. Außerdem wird an manchen Stellen des Films versucht die Sprache der Wikinger einfließen zu lassen und auch in den übrigen Dialogen kommen sprachliche Gepflogenheiten zum Ausdruck.

Jedes Bild ein Gemälde

Einige wenige Filme der letzten Jahre wie vor allem MACBETH von Justin Kurzel oder BLADE RUNNER 2049 von Denis Villeneuve zeichneten sich durch eine besonders künstlerische visuelle Gestaltung aus. Nahezu alle Einstellungen in diesen Filmen sind so detailliert komponiert in ihren Farben und Formen, dass man behaupten könnte, jedes einzelne gefilmte Bild sei ein Gemälde. Nun ließe sich auch THE NORTHMAN in dieser Reihe von Filmen aufzählen. Die Bilder auf der Leinwand entfalten einen regelrechten Sog hinein in diese wunderschön dreckige, düstere und brutale Welt. Während der Film bei Nacht häufig auf schwarze und weiße Bilder setzt, erblicken die Zuschauenden bei Tag die verschiedensten natürlichen Farben, die hervorragend akzentuiert aufeinander abgestimmt sind. Das grüne Gras trifft auf die braune Erde. Das kalte und dunkle Blau des Himmels streitet mit dem Rot der Kleider und des Blutes. Und die schwarze Erde des Vulkans wird von der Lava aufgebrochen wie die schwarze Nacht durch leuchtende Fackeln. Der Einsatz der Drehorte in Irland und Island zahlt sich in weiten Landschaftsbildern aus. Doch die Gemälde der Bilder entstehen eben auch durch das detaillierte Produktionsdesign des Films. Hinter der Kamera fängt Jarin Blaschke das Geschehen und die Umgebung häufig in langen Einstellungen ein. Zu Beginn lässt er die Kamera meist in einer Einstellung ruhen, in der viele Dinge in der Umgebung zentriert angeordnet sind, ehe sich die Kamera nach links und rechts oder nach vorne in den Raum bewegt. Die Zuschauenden können so viele Details und die dadurch vermittelte Atmosphäre des Films in angemessener, beinahe epischer Ruhe in sich aufnehmen. Diese Ruhe beweist die Kameraführung und der Schnitt von Louise Ford auch in den doch recht wenigen Kampfszenen. Hier folgt die Kamera den Bewegungen der Figuren und der Brutalität der Hiebe und Stiche, ohne dabei hektisch zu schneiden.

Doch auch die auditive Gestaltung des Films erschafft Klangwelten auf mehreren Ebenen, die diese düstere Welt erfahrbar machen. Das Sounddesign unterstützt in vielen Fällen die Bilder auf der Leinwand, so dass beispielsweise die Brutalität einen noch größeren Eindruck macht. Außerdem fügt es manchen Elementen im Film die passende mystische Note hinzu, die in der Verbindung mit der Musik das Ganze episch wirken lässt. Die Musik von THE NORTHMAN stammt unterdessen von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough, die sich für ihre Arbeit Unterstützung beim dänischen Musiker Poul Høxbro holten. So gesellen sich bei der Musik zu einem großen Streicherensemble, einem Chor und Schlaginstrumenten auch einige mittelalterliche Instrumente, wodurch der Film vollkommen in eine fabelhafte Welt der Wikinger gleitet.

Realität, Angst und Mythologie

Robert Eggers versucht, wie auch in seinen vorherigen Filmen, vollkommen die Perspektive seiner Figuren einzunehmen. Durch sein Wissen über die historischen Fakten und die mythologischen Sagen, mit seinem Sinn für audiovisuelle Filmproduktion und mit Hilfe seiner Fantasie erschafft er ein beeindruckendes Erlebnis. Dabei nimmt er die Welt seiner Figuren zu jederzeit überaus ernst, selbst wenn sie aus heutiger Sicht etwas merkwürdige Rituale vollführen. Damit wendet er sich von den klassischen Bildern der Wikinger ab. Natürlich werden sie auch als raubende Krieger gezeigt, aber eben auch als Händler mit Verbindungen in ganz Europa, als eingeschworene Gemeinschaft, als einsame Landwirte und als gläubige Geschöpfe. Dabei wird die Detailverliebtheit des Regisseurs nie zu einem Selbstzweck. THE NORTHMAN ist nämlich kein historisches Drama, sondern ein von realen Begebenheiten gestütztes, fantastisches Märchen. Mit dem möglichst realitätsnahen Umfeld der Figuren kontrastiert der Regisseur mitreißend die Mythologie und den Glauben der Menschen. Letztere sind erneut ordnende Stützen im Leben und sollen die Angst vor den Gefahren der Welt binden. Doch wo diese übernatürliche Mythologie das natürliche Leben ordnen soll, entwickelt sie in den Köpfen der Menschen ein Eigenleben. Erschaffen die Kraft des Glaubens oder die Ängste eigene Realitäten?

Fazit

Mit THE NORTHMAN kann Robert Eggers nahtlos an seine bisherigen Filme anknüpfen. Mit seinem Interesse für die Menschen der Vergangenheit, für ihre Lebensumstände, für ihren Glauben und für ihre Ängste schafft er ein historisch angehauchtes mythologisches Wikingerepos. Sein Film ist detailliert und doch groß, exzellent ausgestattet, gespielt und fotografiert und bietet eine erschlagend brutale und düstere Rachegeschichte.


Am 21. April 2022 erschien der Film in Deutschland. Aktuell läuft der Film im Filmpalast Lüneburg in der deutschen Synchronisation. Weitere Informationen zum Film und Tickets hier.

Foto: ©Meik Schmidt auf Pexels