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Neues Semester, neue Themen | Warum wir Campusmedien brauchen

Meinung. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft. Als Studierende sind wir in der Universität durch das StuPa (Legislative) und den AStA (Exekutive) repräsentiert, wir bestimmen in Gremien und Ausschüssen oder als Angestellte von Professor:innen den Weg dieser Institution maßgeblich mit. Während die Leuphana die Konstante darstellt, sind wir das Blut, welches den Organismus, die Organisation am Leben erhält. Unsere Entscheidungen, unsere Interessen, der Zeitgeist unserer Generation. Doch Mitbestimmung hat ihren Preis.

Demokratie lebt von einer lebendigen Öffentlichkeit. Dies bedeutet nicht nur, dass wir uns eine eigene Meinung bilden, für das eigene Weltbild einstehen, sondern es auch stets hinterfragen.

Universitäten sind ein Ort der Konfrontation.

Studium bedeutet nicht nur sich intensiv mit bestimmten Themen auseinander zu setzen und sie zu durchdringen. Vielmehr bedeutet Studium seine eigene Welt zu erweitern und Vorstöße zu wagen. Das wissenschaftliche Prinzip basiert auf Evidenz. Das stärkste Argument versammelt durch wiederholte Bestätigung (Evidenz), bis es die aktuell stärkste Theorie ist oder wiederlegt wird (Falsifikationismus, Karl Popper). Eine Theorie zu bestätigen oder ein gesuchtes Ergebnis zu finden, ist einfach – die Herausforderung liegt in der Bereitschaft, das eigene Ego einzudämmen und sich den Argumenten der Gegenseite zu öffnen.

Konfrontation bedeutet dabei nicht gleich Konflikt, vielmehr ist es der Anspruch an sich selbst die Meinung des anderen unvoreingenommen anzuhören. Dennoch sehen wir gerade an Universitäten viel mehr das Deplatforming[1], wie der Fall von Alessandra Asteriti an der Leuphana zeigt. Wenn Aktivist:innen der Universität mit der Polizei drohen:

Schon 2019 war die Universitätsleitung in mehreren Mails aufgefordert worden, Asteriti wegen „transphober“ Ansichten zu entlassen, andernfalls man sich an die Polizei wenden würde. (Thiel, 2022).

wie die FAZ schreibt. Dann ist es nicht die Schuld der Leuphana, wenn sie einknickt, sondern die ihres Studienkörpers. Die Uni lies Asteriti allein, die Studierenden distanzierten sich:

Am 8. Dezember 2020 forderte eine öffentliche Erklärung des AStAs gemeinsam mit LGBTQ-Organisationen von der Universitätsleitung eine öffentliche Distanzierung von den „transfeindlichen Äußerungen“ Asteritis. (Thiel, 2022).

Warum jemanden halten, der nicht repräsentiert ist? Jemanden, dessen Stimme schweigt? Juniorprofessorin Asteriti forscht zu kulturellem Erbe und Menschenrechten (Leuphana Universität, 2022). Der Vorwurf der Transfeindlichkeit steht auch im Gegensatz zu ihrer Forschung. Auf die Frage, was für sie das wichtigste Menschenrecht sei, antwortete sie: „Für mich und im Allgmeinen, ist der Schutz der Menschenwürde, ohne Differenzierung, von besonderer Wichtigkeit.“ (Dankers & Gulli, 2016).

Das Ende des Interviews der Landeszeitung wirkt ironisch und naiv, wo sie sich doch heute in eben Jener Situation befindet:

Der Westen hat oft im Sinne der Menschenrechte interveniert – mit zum Teil verheerenden Ergebnissen – Libyen, Irak, Afghanistan. Kann man das westliche Konzept der Menschenrechte nicht exportieren?

Asteriti: Ich glaube, dass alle Kulturen ein Wertesystem haben und, dass es nicht unmöglich ist, sich auf bestimmte Grundwerte zu einigen. Menschenrechte als Ausrede für Militärinterventionen zu benutzen, die wenig mit der Verteidigung der Rechte zu tun haben, hat einen doppelten Nachteil: Ihr Wert wird untergraben und ein Dialog auf der Grundlage einiger Kernrechte sowie die Entwicklung der internationalen Beziehungen, wird unmöglich gemacht. (Dankers & Gulli, 2016).

Am Ende kam es zum Gespräch der verfeindeten Parteien, welches im Desaster endete, ähnlich wie Afghanistan. Welche Wahl hatte das Präsidium? Welche Werte wurden hier verteidigt? Hier wurde die Universität als Schlacht verstanden, abweichende Meinungen werden nicht zugelassen.  Der Fall erzeugte bisher kein Echo, es fand keine öffentliche Debatte statt, es ist nicht mal genau klar, um welche Äußerungen in welchem Kontext es geht. Vielmehr erinnert das ganze Schauspiel an die mediale Meinungsmathematik aus Die Anstalt (Uthoff & von Wagner, 2015). Nur hinter verschlossener Tür.

Was die Tragikomödie überschattet: Es geht hier um die akademische Freiheit (Freiheit von Forschung, Wissenschaft und Lehre), welche in Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit) verankert ist. Der selbe Artikel, der uns freies Denken erlaubt, der die Presse beschützt, uns als Studierende, Lehrende und vor allem: die Pluralität unserer Demokratie. Wie Schwer kann eine Meinung wiegen? Welches Grundrecht könnte sie Einschränken? Sollten wir das nicht Diskutieren?

Der Preis der Demokratie

Meinungen müssen repräsentiert und ernst genommen werden. Es reicht nicht, sie zum Ausdruck zu bringen, zu drohen, seine Meinung durchzusetzen. Ein so rücksichtsloses Verhalten kann nicht den Studienkörper repräsentieren, oder sind wir wirklich so barbarisch? Wollen wir abweichende Meinungen nicht öffentlich diskutieren? Woher kommt diese Angst vor Konfrontation? Die Angst davor, eine abweichende Meinung oder unangenehme Vereinfachung zu tolerieren?

Vor einigen Tagen war ich Teil einer Diskussion über die Medienöffentlichkeit. Als der Satz „Die Gleichschaltung der Medien […]“ fiel, stoppte die Diskussion. Einer der Teilnehmer verabschiedete sich mit dem Verweis darauf, dass er nicht bereit, ist eine Diskussion zu führen, bei der „Nazi-Vokabeln“ verwendet werden. Diese Haltung ist sein gutes Recht. Verlässt man jedoch immer wieder den Diskurs, verkümmert dieser. Eine lebendige Öffentlichkeit diskutiert, ist resilient genug, sich abweichenden Meinungen zu stellen und einen Diskurs zu führen – nicht den Diskurs zu beschneiden, indem man die eigenen Standpunkte moralisch überhöht. Kommunikation und Information soll uns dazu dienen, Zugang und Verständnis zur Lebensrealität unseres Gegenübers zu finden. Hierfür braucht es transparenten Austausch.

Univativ | A watchdog on campus?

Die Rolle der Campusmedien ist es, Studierenden und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen, Diskussionen auszulösen. Wir sind Teil der Studierendenschaft und existieren seit 1995 – doch Initiativen sind nur so gut wie ihre Mitglieder. Mitbestimmung und Demokratie fordern öffentliche Diskussion ein, Transparenz und kontroverse Standpunkte. Der Fall Asteritis zeigt uns vor allem eines: Wir sind als Studierendenschaft nicht lebendig genug. Vielmehr suchen wir den Konsens in der eigenen Gruppe (die dann geschlossen in die Schlacht zieht), als aktiv den Dissens zu suchen und unsere Theorien zu testen. Wir erzeugen Druck, ohne wirklich zu wissen, ob der Druck gerechtfertigt ist. Ohne Diskussion und mit solch niedrigen Wahlquoten stellt sich auch die Frage der Legitimation einer demokratischen Vertretung.

Hanna Ahrendt postulierte: Wo keine Macht ist, entsteht Gewalt. Die Grundlage der Macht ist Legitimität, Gewalt hingegen kann nie legitim sein. Legitimität entsteht im Diskurs, in der gemeinschaftlichen Willensbildung, nicht in der Exekution einer Meinung.

Wir haben nicht über den Fall unserer Juniorprofessorin für Wirtschaftsjura berichtet. Es zog schlicht an uns vorbei. Die Campusmedien haben denselben journalistischen Auftrag wie alle journalistischen Medien. Wir sollen zur Bildung einer öffentlichen Meinung beitragen, dafür brauchen wir mehr Meinungsvielfalt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es dafür Pluralität, Dissens und Steine des Anstoßes braucht. Unsere Aufgabe ist es nicht, den Finger zu zeigen oder die Studierenden zu verteidigen. Im Gegenteil, wir sind ein Medium der Transparenz. Wir ermöglichen es euch, gehört zu werden. Euren Standpunkt darzulegen, ein argumentatives Gefecht auszutragen oder zu informieren.

Wenn euch ein Thema interessiert, interessiert es garantiert auch einen weiteren!

Ich lade euch alle ein, eure Gedanken zu teilen und zu recherchieren. Egal ob ihr ein Kochrezept für Spaghetti Carbonara teilen, euch mit Sexualität auseinandersetzen oder andere mit euren Ideen begeistern wollt. Ihr seid frei. Univativ bietet euch die Chance aktiv zu werden, euren Anliegen Sichtbarkeit zu schaffen. Wir bieten euch eine Plattform zur öffentlichen Diskussion. Bitte teilt eure Standpunkte und bitte konfrontiert einander, greift Artikel mit eigenem Gegenentwurf an. Nur wer handelt, schafft Veränderung und Veränderung ist die Grundlage des Lebens. Seid bereit, auch euren eigenen Standpunkt zu überdenken und führt eine öffentliche und transparente Diskussion!

 

Wenn ihr Lust habt, Teil von univativ zu werden, selbst zum Akteur der Uniöffentlichkeit werden wollt oder euch einfach für Journalismus interessiert, freuen wir uns von euch zu hören. Gerne jederzeit via Instagram oder E-Mail (univativ@leuphana.de). Persönlich sind wir am 21. Oktober auf dem Markt der Möglichkeiten anzutreffen und am 25. Oktober findet unser Vorstellungsabend um 19:00 Uhr im Raum C3.104 statt.


[1] Dem (politischen) Gegner systematisch öffentliche Plattformen rauben, um ihm Sichtbarkeit zu nehmen.

Quellen

Dankers, A., & Gulli, E. (2016). Menschenrechte sind eine bleibende Verpflichtung. Landeszeitung. https://www.landeszeitung.de/lueneburg/30605-menschenrechte/

Leuphana Universität. (2022). Prof. Dr. Alessandra Asteriti | Publikationen. Leuphana Webpage. http://fox.leuphana.de/portal/de/persons/alessandra-asteriti(bc5684f7-8e78-4da7-8541-4724bfc4151c)/publications.html

Thiel, T. (2022). Ende einer Treibjagd. Eine Wirtschaftsjuristin wird an der Universität Lüneburg Opfer einer Rufmord-Kampagne. Die Universitätsleitung schaut zu. FAZ. https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/cancel-culture-rufmord-kampagne-an-der-universitaet-lueneburg-18328668.html

Uthoff, M., & von Wagner, C. (2015). Jeder macht Fehler, auch amerikanische Kampfdrohnen | Die Anstalt. Die Anstalt. https://www.youtube.com/watch?v=x0fv3So5Rkc

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Marco Janoschka

Schweizer Taschenmesser. Sprache ist etwas Wundervolles: Mit ihr beschreiben wir unsere Umwelt, vermitteln Ideen & Wissen oder lassen uns in ferne Welten & ganz eigene Realitäten entführen. Die Sprache ist das mächtigste Werkzeug eines Menschen.

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