Die Simpsons als Wahrsager | Auferstehung der Sowjetunion

Glosse. Wie kann es sein, dass Zeichentrickserien so oft unsere Zukunft vorhersagen? So manche Folge South Park oder Die Simpsons vermittelt retrospektiv diesen Eindruck. Aber so ist es doch recht tragisch, wenn ironisch überzogene Schwarzmalerei Realität wird. Ein Witz funktioniert nur mit einem Körnchen Wahrheit. Man stelle sich vor: ein superreicher, sexistischer Egomane würde auf seine alten Tage die Idee bekommen Präsident der USA werden zu wollen. Und das Land wählt ihn ins Amt!

Zugegeben, das war abzusehen und dennoch ein Schock. Ganz ähnlich dem Schock beim Einmarsch Russlands in die Ukraine. Ein Schock – Krieg in Europa! Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg!

Also, naja, sieht man beispielsweise von folgenden ab:

    • Bergkarabach-Konflikt 2020
    • Georgienkrieg 2008
    • Jugoslawien-Kriege 1990er Jahre
    • Tschetschenienkriege 1994-1996 und 1999-2009
    • Transnistrien-Konflikt 1992

Mehrere Monate nach den Kriegshandlungen ein zweiter, genauso überraschender, Schock: Russland will wieder Großmacht sein und mochte es so gar nicht als Regionalmacht bezeichnet zu werden [2014 durch Obama]. Zugegeben, dass die Eurasische Großmacht – oder eher ihre Spitze, Vladimir Putin – gekränkt war spürt man zielsicher seit der Münchner Sicherheitskonferenz [2007].

Aktuell sieht man in Russland eine Propagandamaschinerie sondergleichen. Nicht nur werden gezielt Desinformationen im Ausland verbreitet – auch im inneren wirkt es als sei die Sowjetunion nie weggewesen. Sowjet-Art 2.0. Sicher, es gab ein stiltechnisches Update – doch der inneren Linie blieb man sich treu. Es gibt wieder zwei Arten von Kunst: erlaubte und verbotene. Künstler:innen werden schikaniert und die (Kunst)Freiheit wird ein Politikum oder vielmehr selbst Instrument der Politik. Denn ein Politikum wird im öffentlichen Raum diskutiert – heute diskutiert man im Verborgenen aus Angst vor Denunziantentum. Einfache Bürger:innen werden zu Volksheld:innen verklärt: Kinder die Soldaten grüßen zieren Schokoladen – Großmütter mit Roter Flagge im Donbass werden zum Symbol für die Befreiung, die Entnazifizierung des Bruderstaats. Nur scheint es, immer wenn eine Großmacht von Befreiung oder Befriedung spricht, meine sie Unterdrückung. Ganz gleich ob die USA, Russland oder China. Und wenn Russland von Entnazifizierung spricht ist es drauf und dran einen demokratisch gewählten jüdischen Präsidenten abzusetzen.

“Power tends to corrupt and absolute power corrupts absolutely.” – Lord Acton

So zieht man Bilanz und muss feststellen: weder Vasall des Einen noch Protektorat des Anderen ist eine Lösung. Der Einzige Weg in den Frieden ist der Weg in die Selbstbestimmtheit. Doch ist eine unabhängige Ukraine so unvorstellbar? Wie ist es mit dem Baltikum, dass eine ähnliche Geschichte teilt? Keiner würde heute Auf die Idee kommen Lettland einem seiner ehemaligen Regenten zuzusprechen.

Völker haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Nur leider müssen wir dieses Recht von Zeit zu Zeit verteidigen. Wir müssen uns auch Fragen, wo unsere eigene Grenze liegt. Was möchte Europa in Zukunft sein? Wenn wir dauerhaften Frieden wollen müssen wir alle an einen Tisch. Wenn Russland die Ukraine als Spielball sieht, dürfen wir sie nicht als solchen behandeln. Sie darf nicht durch westliche Autorität befriedet werden, nicht von uns zum Puffer erklärt werden. Sie muss sich ihrer eigenen Rolle bewusstwerden, sie bewusst wählen und wir müssen diesem eigenständigen Charakter auf Augenhöhe begegnen.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen sieht es aber so aus als haben die Simpsons einen weiteres Mal Recht behalten. Nicht ganz mit dem Auslöser, aber beim Outcome Russlands betreffend.

Sieben Achtel der russischen Streitkräfte sind im Ukrainekonflikt involviert. Das gesamte Land musste über Jahre hin umgebaut werden. Das bedeutet engere Handelsbeziehungen zu den Chinesen, sowie Einbindung in deren Zahlungssystem. Weshalb eine schrittweise Sanktionierung des SWIFT Abkommens auch keine nennenswerte Wirkung erzielte. Generell sind weitere Sanktionen wenig hilfreich, da Russland ohnehin schon stark sanktioniert war – vielmehr konnte man die Sanktionen nutzen, um das Narrativ des Feindes im Westen weiter zu stärken. Doch das Ergebnis unserer vereinten Anstrengungen, von Ost und West, haben es geschafft einen Totgeglaubten wiederzuerwecken.

So gut wie neu ist eben doch nicht neu. Eine enorme Leistung, Dekaden der Vorbereitung, 85 Prozent der Truppen im Einsatz und der Westen im Schock. David gegen Goliath in Reinform. Man fragt sich wie sich Goliath wohl fühlt. Aber ich sollte ruhig sein, in einem Land, dass im Verteidiungsfall keine zwei Tage durchhält.

Für mehr Einblicke zum Thema empfehle ich den Beitrag der Kolleg:innen von Arte TRACKS East: as Erbe der Sowjetunion


Photo by Steve Harvey on Unsplash

Marco Janoschka

Schweizer Taschenmesser. Sprache ist etwas Wundervolles: Mit ihr beschreiben wir unsere Umwelt, vermitteln Ideen & Wissen oder lassen uns in ferne Welten & ganz eigene Realitäten entführen. Die Sprache ist das mächtigste Werkzeug eines Menschen.

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