Kritische Berichterstattung ist gewollt, ABER…

Eine Sitzung, zwei Fotos und drei E-Mails reichen aus, damit der Vorsitz des höchsten beschlussfassenden Gremiums der Studierendenschaft und eine kleine studentische Initiative am Campus in einen Streit verfallen, der bei höchster Eskalationsstufe in Rauswürfen und rechtlichen Verfahren gipfelt. In diesem Streit geht es um die Löschung von Fotos und Beiträgen, und die Deutungshoheit über die politische Berichterstattung auf dem Campus. Hier ist unsere Sicht auf den Konflikt.

Wie ist denn das passiert?

Uni-Präsident Spoun kam am 04.03.2019 zu Besuch ins Student*innenparlament. Es war die erste Fragestunde vor studentischem Publikum seit der Wiederwahl. Es gab viele Gäste, die Sitzung war wesentlich besser besucht als sonst. Im Voraus sammelten die Listen des StuPas Fragen an den Präsidenten und der Vorsitz teilte darauf aufbauend die Fragen in Themenblocke ein. Die anwesenden Gäste bekamen am Ende der Fragestunde einen Themenblock für sich. Einer unserer Autoren war ebenfalls als Reporter auf der Sitzung, nicht zum ersten Mal. Das Ziel war ein Bericht über die Fragestunde. Während dieser Fragestunde kam es zu einem kleinen Eklat. Der Vorsitz verkündete, dass nur noch der Öffentlichkeitsausschuss des StuPas Bilder machen dürfe. Alle anderen Gäste sollten sofort mit dem Fotografieren aufhören. Am Ende der Fragestunde kam es am Rande zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen unserem Autoren und dem Vorsitz: Der Auffassung des Vorsitzes nach dürfen keine Bilder gemacht werden. Der Auffassung unseres Autors schon. Wir haben uns redaktionsintern daraufhin entschieden, erstmal kein Bild der Sitzung zu veröffentlichen. Als Titelbild nahmen wir das StuPa Logo, auf dem als Schriftzug „Fotos Verboten“ montiert war. Der Bericht erschien. Es war im Großen und Ganzen eine Zusammenfassung für alle, die nicht an der Sitzung teilnehmen konnten. Unserer Auffassung nach war der Besuch des Uni-Präsidenten im höchsten Gremium der studentischen Selbstverwaltung ein Ereignis von öffentlichem Interesse, da Präsident Spoun unserer Meinung nach eine Person des öffentlichen Lebens ist. Als Hinweis vermerkten wir, dass der StuPa Vorsitz uns das Fotografieren untersagte und wir unsere rechtliche Auffassung und die des Vorsitzes prüfen werden. Der Justiziariat bestätigte uns per Mail die Auffassung des Vorsitzes: Das StuPa ist hochschulöffentlich, aber nicht öffentlich für die Allgemeinheit. Die hochschulöffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten sei Aufgabe des Vorsitzes. Fotos von der StuPa Sitzung sind somit tatsächlich nicht gestattet. Diese Entscheidung respektieren wir: In dem Bericht gab es von Anfang an keine Fotos von der Sitzung zu sehen, es befinden sich keine Fotos von der Sitzung auf unseren Servern. Damit sei die Sache geklärt, zumindest dachten wir das.

Kritische Berichterstattung ist unzulässig. Pressefreiheit in Gefahr?

Am 5. April landete in unserem E-Mail-Postfach eine Nachricht von einem der beiden Vorsitze. Unser Bericht sei weder mit ihm noch mit der Pressestelle abgesprochen. Unser Autor habe „Mutmaßungen“ und „Spekulationen“ getätigt, ohne diese absegnen zu lassen. Da die Sitzung hochschulöffentlich und nicht öffentlich sei, gälte unsere Berichterstattung als unzulässig: Wir hätten der breiten Öffentlichkeit durch unser Magazin Inhalte geteilt, welche nur für die Mitglieder der Studierendenschaft vorgesehen seien. Dies sind laut Satzung der Studierendenschaft alle eingeschriebenen Student*innen an der Leuphana. „Die Berichterstattung auf der Webseite, in der dieser Artikel veröffentlicht wurde, ist unzulässig und vorerst sofort einzustellen.“, hieß es zudem in der Mail. Um was für „Falschdarstellungen“ es sich handelte, blieb vorerst unbegründet, der Vorsitz nannte uns in der ersten Aufforderung kein einziges Beispiel. Als studentische Initiative des Dachverband der Studierendeninitiativen (DSi) sind wir dem Vorsitz redaktionell nicht verantwortlich. Wir „gehören“ weder dem AStA, noch dem StuPa. Wir wählen unsere Redaktionsleitung selbst.
Daraufhin schrieben wir dem Vorsitz, dass sich keines der Fotos von den Sitzungen auf unserer Seite befinde, woraufhin uns der Vorsitz entgegnete, dass dies nicht ausreiche und wir alle Bilder von unseren Endgeräten löschen sollen. Zudem fragten wir, um was für „Falschdarstellungen“ es sich handle. Die Antwort: Mit dem Schriftzug „Fotos verboten“ würden wir negativ Stellung beziehen und durch unseren Hinweis auf das Fotografie-Verbot „diffamieren“. Das Fotografieren während der Sitzung sei bereits seit Ewigkeiten verboten. Das stehe in der Satzung. Daran haben wir uns gehalten und keine Fotos der Sitzung veröffentlicht. Das ändert nichts daran, dass der Vorsitz uns das Fotografieren verbot. Sollen wir schreiben, dass uns der Vorsitz das Fotografieren erlaubte? Das wäre dann definitiv eine Falschdarstellung.
Zudem behaupte unser Artikel, jeder Themenblock in der Fragestunde hätte aus 15 Minuten bestanden. Es erscheine negativ, dass es zu Kürzungen in der Zeit für die Themenblöcke Selbstverwaltung und Naturschutz gegeben habe.
In unserem Bericht steht Folgendes:

„Dabei ging es um den Platzmangel und Zentralgebäude, der Studierendenservice und die Studiengänge, die Studentische Selbstverwaltung, der Naturschutz und Umweltverantwortung und zum Schluss Publikumsfragen. Jeder Teil selber hätte 15 Minuten behandelt werden sollen, jedoch kam es zu der Kürzung bei der Selbstverwaltung und Naturschutz auf jeweils 5 Minuten. Am Ende wurden es 15 Minuten länger als geplant.“

Dass diese Ausführung negativ erscheine, ist die Interpretation des Vorsitzes. Wie die Kürzung zustande kam, bleibt im Text offen. Es steht nicht explizit dort, dass der Vorsitz diese Kürzung vorgenommen habe.
Weiterhin sei die Behauptung falsch, dass 90% der Fragen von StuPa- und AStA Mitgliedern kamen. Ob diese Behauptung tatsächlich falsch sei, lässt sich überprüfen, wenn das Protokoll genehmigt und veröffentlicht wird. Solange halten wir an unserer Schätzung fest.
Wenn es zu falschen Zahlen oder Ungenauigkeiten kommt, waren und sind wir stets bereit, diese zu prüfen und im Falle anzupassen. Die Kommunikation hat bisher immer geklappt, wir konnten stets mit den Parteien eine Einigung erzielen. Sowohl mit dem AStA, als auch den bisherigen StuPa-Vorsitzen, für die wir in einem Streitfall einmal eine Gegendarstellung veröffentlichen. Für die aktuelle Debatte boten wir dem Vorsitz an, ebenfalls eine Gegendarstellung auf unserer Seite zu veröffentlichen. Dies lehnte er ab. Er halte weiterhin an seiner Forderung fest, dass unser Bericht zu löschen sei und wir unsere Berichterstattung aus dem StuPa einstellen müssen.
„Sollte Sie der Aufforderung nicht nachkommen, verstoßen Sie gegen die Satzung und Geschäftsordnung, was zum Ausschluss aus den Sitzungen führen kann. Rechtliche Schritte behalten wir uns vor.“

Die Paragraphenschlacht

Der Vorsitz verwies in seinen Mails an uns oft auf die Geschäftsordnung des StuPas, wie auch auf die Satzung der Verfassten Studierendenschaft. Letztere ist quasi die „Verfassung“ der Student*innen der Leuphana. In der Satzung steht zur Öffentlichkeit folgendes:

„§ 6 Öffentlichkeit
(1) Die Sitzungen der Organe sind grundsätzlich hochschulöffentlich, es sei denn, es handelt sich um Angelegenheiten gemäß § 8 Absatz 2. Die Hochschulöffentlichkeit ist auf die Mitglieder der Studierendenschaft beschränkt.
Nicht-Mitglieder können zu Sitzungen zugelassen werden. Die Öffentlichkeit kann auf Antrag ausgeschlossen werden, hierfür wird eine Mehrheit von zwei Dritteln (2/3) der anwesenden Mitglieder benötigt.
(2) Ein Organ kann Gästen die Teilnahme an den Sitzungen gestatten. Es kann ihnen Rede- und Antragsrecht gewähren.
(3) Näheres regelt die jeweilige Geschäftsordnung, die für weitere Angelegenheiten einen Ausschluss der Öffentlichkeit vorsehen kann.“

Paragraph 6 beschreibt, wer zur Hochschulöffentlichkeit gehört, nämlich alle Mitglieder der Studierendenschaft. Die Mitglieder unserer Initiative und unseres Vereins müssen nach unserer Satzung ebenfalls eingeschriebene Student*innen an der Leuphana sein. Von daher sind alle unserer Reporter*innen befugt, an den StuPa Sitzungen erst einmal teilzunehmen.

Was die Inhalte auf diesen hochschulöffentlichen Sitzungen angeht, regelt §8 Absatz 2:

„Mitglieder in Gremien der Studierendenschaft sind verpflichtet, Angelegenheiten, soweit sie ihrem Wesen nach nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, vertraulich zu behandeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn es zur Wahrung des Persönlichkeitsrechtes erforderlich ist. Vertraulich sind insbesondere auch solche Gegenstände, die in nicht öffentlicher Sitzung behandelt worden sind. Dies gilt auch, wenn Gremienmitglieder aus ihrem Amt ausgeschieden sind oder wenn die Aufgaben beendet wurden.“

Welche Angelegenheit ihrem Wesen nach nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, scheint Auslegungssache zu sein, wenn es nicht explizit um persönliche Daten geht. Es gab auf derselben Sitzung drei Tagesordnungspunkte, die nicht öffentlich waren, und von denen wir auch nicht berichtet haben. Wenn sich das StuPa und der Vorsitz entscheiden, dass die Fragestunde zwischen Präsident und Student*innen vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, gut. Aber warum postet der Öffentlichkeitsausschuss des StuPas Bilder der Fragestunde auf Instagram und Facebook?

Ist die Fragestunde doch eine Angelegenheit für die Öffentlichkeit? Es legt den Verdacht nahe, dass die Fragestunde doch nach außen hin beworben werden sollte, aber nur aus eigener Feder.
Es hat nicht nur die Univativ von den Geschehnissen der Sitzung berichtet. Die Juso-Hochschulgruppe (Juso HSG) und die Kritisch-Unabhängige Liste (KUL) führten einen Live Ticker auf ihrer Facebook Seite. Nach der Argumentation des Vorsitzes dürften die das auch nicht. Wir fragten daraufhin den StuPa Vorsitz, ob er die beiden Listen ebenfalls zur Löschung ihrer Beiträge aufgefordert habe.
Als Antwort kam: „(Dazu) wird Ihnen keine Auskunft erteilt. Die Univativ stellt keine Instanz dar.“.

Die erste Mail mit der Forderung zur Löschung eines Artikels verschickte der Vorsitz auch an den Dachverband der Studierendeninitiativen (DSi). Dort forderte der Vorsitz des StuPas vom DSi, dass dieser zwischen der Univativ und dem Vorsitz vermitteln sollte, wenn die Univativ den Bericht nicht löschen sollte. Diese Forderung begründet er mit §3 Punkt 2 der Geschäftsordnung des DSi. Ein Blick in die Geschäftsordnung des DSi zeigt aber, dass dort nichts über eine Vermittlung zwischen Initiativen und Gremien steht. Im besagten Paragraphen steht Folgendes:

3.2. Der DSi-Lüneburg darf nicht unaufgefordert in die Aktivitäten einzelner
Studierendeninitiativen eingreifen.

Paragraph 3 beschäftigt sich mit den Aufgaben des Verbandes, der zweite Punkt beschreibt eine Einschränkung. Also eine Betonung dessen, was der DSi nicht einfach dürfte: In die Aktivitäten einzelner Studierendeninitiativen eingreifen. Somit stellt sich die Frage, warum der Vorsitz auf Paragraphen verweist, die seine Forderungen gar nicht stützen.

Soziale Medien in der politischen Berichterstattung

Soziale Medien erlauben es Außenstehenden, direkte Einblicke in das politische Geschehen zu bekommen. Politiker*innen können direkt mit ihren Followern auf Facebook, Twitter, Instagram und Co. in Kontakt treten. Das kann dazu führen, dass mehr Menschen einen Zugang zur Politik bekommen, die vorher keinen hatten. Das Problem ist jedoch, dass die redaktionelle Verantwortung der Postings die Politiker*innen selber tragen, der externe Filter fehlt. Die Bundeskanzlerin z.B. führt einen eigenen Podcast. In vielen Folgen stellen ihr junge Menschen Fragen zu verschiedenen Themen. Diese Fragen kommen nicht von Journalist*innen, welche vorher Recherchen anstellen und Widersprüche aufdecken, sondern direkt aus der eigenen PR Abteilung. Das kann zu einseitiger und unkritischer Berichterstattung führen. Wenn in unserem Fall nur noch das StuPa selbst entscheidet, was es nach außen kommuniziert, werden Recherchen schwierig und die Student*innen am Campus werden nur noch eine Sicht der Dinge bekommen: Die eigene Sichtweise.

Wenn Artikel abgesegnet werden müssten – Die Causa Spoun.

Die kontroverse Wiederwahl des Präsidenten Ende Januar zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Es kam zu Protesten und das StuPa, der AStA und die studentische Vollversammlung bezogen klar Stellung auf die nicht erneut ausgeschriebene Wiederwahl Spouns. Häufig zitierten Mitglieder des StuPas aus einem Artikel der Landeszeitung, welcher sich auf die Protokolle der Senatssitzungen der Leuphana stützte. Auch der AStA teilte diesen Artikel. Nun sind die Protokolle des Senates hochschulöffentlich. Außerhalb des Uni Netzwerkes kommt man ohne VPN-Zugang nicht einmal an die Geschäftsordnung. Die Berichterstattung der LZ müsste nach strenger Einhaltung der Geschäftsordnung und der Argumentation des StuPa-Vorsitzes auch unzulässig sein. Deswegen fragten wir den Vorsitz, wie denn die Aufarbeitung der Wiederwahl aussähe, wenn die LZ ihren Artikel erst durch den Senat hätte genehmigen müssen. Die Antwort des Vorsitzes: „Dazu wird es von uns keine Stellungnahme geben“.

Auf dem Markt der Möglichkeiten haben wir gegen die Forderungen des Vorsitzes Protest eingelegt. (c) Univativ

Wie es weitergeht

Der Vorsitz entzog uns rückwirkend die Nutzungsrechte des StuPa-Logos. Veränderungen seien nicht gestattet. Daraufhin tauschten wir das bearbeitete StuPa-Logo gegen unser bearbeitetes Logo aus. Den Bericht als Ganzes nehmen wir jedoch nicht runter. Die Vorwürfe zur Falschdarstellung werden wir weiterhin prüfen. Aber selbst, wenn es zu Veränderungen kommen sollte: Ein platter Reifen rechtfertigt kein neues Auto. Der Forderung zur vollständigen Löschung des Berichtes und der Einstellung unserer hochschulpolitischen Berichterstattung kommen wir nicht nach, unsere Aufgabe ist es, Aufklärung zu betreiben.
Wir haben einen offenen Brief an das StuPa geschrieben und auf dem Markt der Möglichkeiten über 20 Unterzeichner*innen gefunden. Diesen Brief schicken wir an das StuPa und bitten die Mitglieder und Gäste, auf der nächsten Sitzung über die Forderungen des Vorsitzes zu diskutieren.


Dies ist die Sichtweise der Redaktionsleitung. Da der Vorsitz kein Interesse an einer Gegendarstellung auf unserer Seite zeigt, können wir lediglich aus dem E-Mail-Verkehr zitieren. Sollte der Vorsitz seine Meinung ändern und um eine Gegendarstellung auf unserer Seite bitten, kommen wir dem nach. Über die kommenden Geschehnisse dieses Streites werden wir weiterhin berichten und dann auch um Stellungnahmen beteiligter Organisationen und politischer Listen bitten.

Aus Transparenzgründen hier noch weitere Hinweise: Der Autor ist Mitglied der Liberalen Hochschulgruppe und war bis zur ersten E-Mail des Vorsitzes im Öffentlichkeitsausschuss des StuPas tätig, unter anderem bei der Einrichtung der Facebook- und Instagramseite.

Titelbild: (c) Univativ

Jan Gooß

Hat an der Leuphana Politikwissenschaft studiert und will nicht die Welt retten. Sowas soll's ja auch geben.

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