Univativ Filmkritik: The Card Counter

Karten zählen im Casino als Flucht vor der Schuld der eigenen Vergangenheit. Mehr dazu in dieser Filmkritik.

Inhalt

In seinen Jahren im Gefängnis hat William Tell gelernt Karten zu zählen. Nach seiner Entlassung zieht er nun durch die großen Städte und kleinen Casinos und hält sich mit kleinen Gewinnen beim Black Jack und Poker über Wasser. Auf seiner Reise nimmt er eines Tages einen jungen, orientierungslosen Mann unter seine Fittiche. Doch dieser hegt düstere Gedanken, so dass sich William wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert sieht.

Klassische Gangster. Oder?

THE CARD COUNTER ist die neueste Regiearbeit von Paul Schrader, der damit sein eigenes Drehbuch verfilmt. Paul Schrader war unter anderem bekannt geworden für seine Drehbücher zu frühen Filmen von Martin Scorsese, wie etwa TAXI DRIVER, nahm jedoch bereits davor selbst auf dem Regiestuhl Platz. So verwundert es nicht, dass sein neuester Film unter anderem von Martin Scorsese produziert wurde. Man füge diesen Zutaten noch einen einsamen Protagonisten mit düsterer Vergangenheit und eine ordentliche Portion Glücksspiel hinzu und fertig ist ein waschechter Gangsterthriller. Doch so einfach macht es sich THE CARD COUNTER nicht. Und das ist einerseits enttäuschend und andererseits überaus sehenswert.

Dämonen der Vergangenheit

Dreh und Angelpunkt des Films ist der titelgebende Kartenzähler William Tell. Der Film baut seine Hauptfigur als einen passenden Protagonisten für eine reißerische Gangstergeschichte auf. So ist er ein ehemaliger Häftling mit dunkler Vergangenheit. Seine schwarzgrauen Haare sind stets perfekt nach hinten gelegt und meist ruht eine schwarze Sonnenbrille vor seinen Augen. In seinen einsamen Nächten führt er eine Art Tagebuch und seine Stimme führt die Zuschauenden durch seine Gedanken. Wenn er zu Beginn des Films in einem Motel das Zimmer komplett und mit äußerster Präzision in graue Tücher einhüllt, schleicht sich der Gedanke ein, dass dieser Mann da gerade ein Verbrechen vorbereitet. Und auch seine ständigen Besuche von Casinos und das Spielen am Tisch könnten etwas mit seinen kriminellen Aktivitäten zu tun haben.

Doch auch wenn William Tell sicherlich ein Verbrecher ist beziehungsweise war, zählt er doch verbotenerweise Karten beim Spielen und verbrachte eine lange Zeit im Gefängnis, so ist er dennoch nicht derjenige, der er zu sein scheint. Um nicht aufzufallen, bleibt er beim Black Jack lieber bei den kleinen Spielen, statt seine Fähigkeiten für große Gewinne einzusetzen. Und auch das Einhüllen seiner Zimmer hat einen anderen Grund, welcher sich erst im Laufe des Films und darüber hinaus enthüllen lässt. Er ist ein Mann mit düsterer Vergangenheit. Traumatisiert von dieser Vergangenheit wird er von ihr verfolgt und gezeichnet. Seine schrecklichen Taten, ohne an dieser Stelle zu verraten um was es sich dabei handelt, und die Konsequenzen, die er dafür hinnehmen musste, sind der Grund für seine zurückhaltende Art. Wie kann er jemals wieder jemandem nahe sein, wenn diese Menschen wissen was er getan hat? Wie können andere ihm jemals vergeben und wird er sich selbst vergeben können?

Nüchtern am Spieltisch

Wer trotzdem eine berauschende Inszenierung der Szenen am Spieltisch und in den Casinos erwartet, wird trotz der Menge dieser Szenen gewissermaßen enttäuscht. Statt sich, wie vielleicht zu erwarten wäre, zu sehr auf eine Handlung mit spannenden Ereignissen festzulegen, wählt THE CARD COUNTER eine eher nüchterne Erzählweise mit Fokus auf seiner Hauptfigur. Durch eine ruhige, unaufgeregte Inszenierung wird dem Glücksspiel seine eigentlich berauschende Wirkung entzogen. Die Kameraarbeit und Stimmung des Films spiegeln so das Innenleben von William Tell, der sich nach Unauffälligkeit und Ordnung sehnt. Zwei unwirkliche Welten treffen aufeinander. Dass eine der wichtigsten Szenen für den Protagonisten dann eine der buntesten des ganzen Films ist, obwohl sie nicht wie viele andere Szenen in den so überbunten Casinos spielt, unterstreicht die hervorragende visuelle Gestaltung des Films in Verbindung mit seiner Geschichte.

Ein Film wie ein Kartenspiel

Die Geschichte verzichtet jedoch auch nicht komplett auf Spannung. Zwar stehen hier ein Mann und die Dämonen seiner Vergangenheit im Mittelpunkt. Doch sobald William Tell auf diesen anderen jüngeren Mann trifft, der voller Schulden, ohne Lebensziel und mit düsteren Gedanken durch die Welt irrt, sieht er die Möglichkeit etwas zu ändern. Die beiden haben eine Verbindung und er möchte dem Jungen helfen auf einen anderen Pfad zu gelangen. Dieser wiederum möchte William eigentlich in seine finsteren Pläne einspannen. Diese Entwicklung sorgt nicht in erster Linie für die Spannung, bildet jedoch einen langsamen und ruhigen Aufbau für spätere Ereignisse. Bei all diesen Ereignissen muss schließlich irgendwann etwas passieren. Der Film ist dabei ähnlich aufgebaut wie die Hauptfigur den Ablauf eines Kartenspiels im Casino beschreibt. Sobald alle Spieler:innen am Tisch sich offenbart haben, geht es zur Sache. An dieser Stelle steht außer Zweifel, dass der Film bei aller Zurückhaltung auch äußerst brutal sein kann. Zwar gibt es nur wenige gewaltvolle Momente im Film, doch dadurch verlieren diese nicht an ihrer Wirkung. Ganz im Gegenteil. Die gezeigten Szenen brennen sich durch die Thematiken, aber auch durch die spezielle Inszenierung in die Köpfe der Zuschauenden.

Zurückhaltend, aber wirksam

Die treibende Musik des Films trägt darüber hinaus ungemein zur teilweise mysteriösen, teilweise bedrohlichen Atmosphäre des Film bei. Auch Oscar Isaac vermag es mit wenigen Worten und einfachen Blicken, die schwarzen Gedanken seiner Figur William Tell nach außen zu bringen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass er zwischendurch eine schwarze Sonnenbrille trägt, die wie ein Schatten über seinem Gesicht liegt. Und wenn er dann einmal seine Vergangenheit zum Vorschein bringt, ist er eine absolute Wucht. Tiffany Haddish weiß außerdem als gewiefte Strippenzieherin hinter den Kulissen des Glücksspiels zu überzeugen. Sie braucht ebenfalls nicht viele Worte zu wechseln, um den Charakter ihrer Figur zu vermitteln. Und auch Tye Sheridan als heruntergekommener und vor allem naiver junger Mann macht eine glaubhafte Figur.

Fazit

Durch seine zurückhaltende, langsame Art und die nüchterne Darstellung mag THE CARD COUNTER trotz seiner Ausgangslage für Fans von klassischen Gangsterfilmen eine Enttäuschung sein. Wer aber bereit ist, die Darstellung in Verbindung mit der Geschichte, den Bildern und der Musik auf sich wirken zu lassen, bekommt einen ernsten, subtilen und düsteren, teilweise aber auch sympathischen Film zu sehen.


Am 3. März 2022 erschien der Film in Deutschland. Aktuell läuft der Film im Scala Programmkino Lüneburg in der deutschen Synchronisation oder im Original mit deutschten Untertiteln. Weitere Informationen zum Film und Tickets hier.

Der Autor dieser Kritik konnte den Film im Rahmen einer Kooperation mit dem Scala Programmkino kostenlos sehen.

Foto: ©ThorstenF auf Pixabay