Univativ Filmkritik: Contra

Die junge Migrantin rettet den alten, verbitterten, weißen Mann. Wieso das Narrativ hinter dem Film Contra problematisch ist.

Erst einmal scheint der Film Contra den Nerv der Zeit getroffen zu haben: ein alter, weißer Professor greift eine postmigrantische Studentin rassistisch und öffentlich in seiner Vorlesung an. Der Vorfall wird mit dem Smartphone gefilmt und landet im Netz. Nun muss sich die Hochschulleitung mit dem Fall auseinandersetzen.

Doch anstatt tatsächlicher Konsequenzen soll der Jura-Professor seine Studentin auf einen bundesweiten Rhetorik-Wettbewerb vorbereiten, um allen zu zeigen, dass er kein Rassist ist. Damit verabschiedet sich der Film von Schlüssigkeiten. Es fehlen die Förderung nach Konsequenzen vonseiten der Studierenden oder gar eine Demonstration, wie beispielsweise nach einem fremdenfeindlichen Tweet von Jura-Professor Thomas Rauscher 2017 in Leipzig passiert ist. Nach dem Videopost haben die Studierenden im Film den Vorfall schnell vergessen und kehren zum Alltag zurück.

Paternalismus par excellence

Die Studentin, Naima Hamid [Nilam Farooq], bleibt mit dem Professor, Richard Pohl [Christoph Maria Herbst], alleine zurück. Während der Privatstunden zur Vorbereitung für den Wettbewerb wird sie weiterhin von ihm rassistisch beleidigt. Anscheinend dient das jedoch ausschließlich der Anstachelung der Studentin und soll sie in ihren Fähigkeiten bestärken. Während der Bekanntschaft werden die rassistischen Aussagen des Professors in immer amüsantere Kontexte gepackt und tauchen am Ende nur noch als Witz getarnt auf.

Auch so hat Naima kaum Entscheidungsgewalt über die Inhalte und Lernmethoden. Das Lesen einer unglaublich hohen Anzahl an Skripten während einer Nacht ist noch vertretbar. Aber die Vorstellung von Goethes Faust auf einem sehr belebten Platz und das Tragen einer Glocke am Hosenbund hinterlassen einen faden Nachgeschmack. Beide Male sollen die Aktionen Naimas Selbstvertrauen stärken. Doch sind es beide Male Handlungen, die Naima auf keinen Fall machen will und auf die Richard Pohl besteht. Sogar ihre Kleidung ändert sie, um adretter auszusehen. Damit untergräbt der Professor die Selbstautonomie seiner Studentin.

Der Professor, seine Vereinsamung und Naima als Vorzeigemigrantin

Im Laufe des Filmes sollen die Zuschauer*innen Empathie und Mitgefühl für den rassistischen Professor entwickeln. So sehen wir ihn jeden Tag alleine in seinem Stammlokal essen und erfahren, dass seine Tochter bei einem Autounfall gestorben ist. Naima dagegen ist in ihrem Viertel diejenige, die auf dem Weg ist, aufzusteigen. Während ihre Freunde zwischen der Plattenbausiedlung auf dem Spielplatz chillen, ihre Mutter trotz Biochemie-Studium Regale einräumt und ihr Bruder durch Schlägereien den Aufenthaltsstatus der Familie aufs Spiel setzt, ist sie das Positiv-Beispiel. Doch dahinter steckt ein sozio-politisches Kalkül: Wenn ein Individuum aus einer unteren sozialen Schicht, dann noch mit migrantischem Hintergrund, den Aufstieg schafft, ist dieses ein Beweis für die Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit des demokratischen Systems. Studien zeigen jedoch, dass dies nicht der Lebensrealität von Migrant*innen und Postmigrant*innen entspricht. So stellt die Soziologin Vera King fest, dass ein sozialer Aufstieg nur in seltenen Fällen zu beobachten ist und zumeist mit einer hohen psychischen Belastung einher geht.

Wieso ist dieses Narrativ nun so problematisch?

Dabei reiht sich Contra in eine Reihe Filme ein, die immer nach dem gleichen Schema ablaufen: Migrant*innen treten in das Leben einsamer, dem Aufnahmeland eindeutig zugehöriger Menschen, welche Migration ablehnen. Auch die kanadische Kulturwissenschaftlerin Boonie Honig schreibt über dieses popkulturelle Phänomen. In diesen Filmen gelingt es den Migrant*innen, die Einsamkeit durch ihren Sinn von Gemeinschaft und die von der anderen Nation mitgebrachten kulturellen Werte zu vertreiben. Gleichzeitig bekennen sich Migrant*innen mit dem bewussten Wunsch nach der Staatsbürgerschaft zu der politischen Identifikation des Staates. Dadurch wird der demokratische Nationalstaat immer wieder mithilfe von Migrant*innen legitimiert. Übrigens wollen Naima und ihre Familie gerne die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen, welche aber durch die Taten des Bruders gefährdet ist. Naimas Freund Mo [Hassan Akouch] dagegen erhält im Verlauf des Filmes die deutsche Staatsangehörigkeit und feiert eine Kartoffelparty. Eine der wenigen Momente des Filmes, die einfach nur durch den Begriff realitätsnah sind.

Am Ende erkennt Naima zwar, dass der Professor ihr nur zum Eigenzweck hilft. Jedoch ändert es letztlich nichts am Narrativ, denn Naima, die Migrantin, hilft dem Professor trotzdem aus seiner misslichen, selbstverschuldeten Situation. Ihre Hilfsbereitschaft gegenüber dem Professor verschafft ihr ein Praktikum in einer angesagten Kanzelei. In der letzten Szene sehen wir sie als junge Richterin vor ihrer ersten Verhandlung. Mit diesem Narrativ wird Migrant*innen eine hohe Verantwortung auferlegt: das Aufstreben wider aller Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen. Das mag für einzelne Individuen funktionieren, verschleiert aber die strukturellen Missstände. Der einzige überzeugende Charakter ist Naimas Bruder Junis [Mohamed Issa], welcher Naima im Streit vorwirft, es nie zu schaffen. Auch wenn sich Naima im Laufe des Filmes hocharbeitet, ist die Realität für viele (Post-)Migrant*innen eine andere: eine Verwehrung des Aufstiegs durch systematische und strukturelle Nachteile. Der Film öffnet keinen Dialog, sondern verharrt in einem typisierten Narrativ.

Foto: (c) Constantin Film Verleih GmbH

Der Film erschien am 28. Oktober 2021. In Lüneburg läuft der Film im SCALA Programmkino oder im Filmpalast. Die Spielzeiten sind durch den jeweiligen Link abrufbar.

Ema Jerkovic

Masterstudentin der Kulturwissenschaften und begeisterte Schreiberin - wissenschaftlich, journalistisch und schriftstellerisch.

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