Werdender Vater auf Abwegen

Eine Aufforderung zu mehr Diskussion über das Private. Das Titelthema „Unterwegs“, mein Schreibauftrag „Werdender Vater“. Als ich diesen, ich nenne es mal salopp „Erlebnisbericht“, anfing zu schreiben, gingen meine Gedanken in so unterschiedliche Richtungen, dass ich mittlerweile genügend Stoff für mindestens drei Texte habe. Geschlechterrollen, Männlichkeit(en), Vater sein, Partnerschaft, Familienpolitik(en), hilfloses Schreien, Liebe, Schlafen (?), Tragetuch oder doch Kinderwagen – eine schier endlose Liste an Gedanken, und das nach acht Monaten Vater sein.

Nun stelle ich dir, liebe_r Leser_in die Frage, ob du dich eher für einen Artikel über Wickeln nachts um 3 Uhr und Lachkrämpfe kriegen durch „Buuhrufen“ (Erschrecken) interessierst? Oder darf ich dich mit meiner politischen Sichtweise der Dinge beglücken? Da es gerade schwierig ist, mit dir in einen Dialog zu treten, übernehme ich diese Entscheidung dann doch und halte es mit der „Politik der ersten Person“¹, denn das Private, das Familiäre, das Individuelle, das Persönliche, ja, sogar das Wickeln ist politisch und braucht daher Öffentlichkeit. Im Folgenden zwei Fragmente aus meiner Vaterwerdung:

Warum ist Wickeln politisch? „50 % der deutschen Väter finden es schwierig, die Windeln ihres Babys zu wechseln“ und sind damit Spitzenreiter in einer Studie, welche die Vaterrolle in fünf europäischen Ländern vergleicht. Die Wickelkunst betrifft dabei natürlich die „klassische“ Wegwerfwindel, deren Schwierigkeitsgrad sich durchaus mit dem Öffnen und Schließen eines Klettverschluss-Schuhs vergleichen lässt. Nun wickele ich meine Tochter mit waschbaren Stoffwindeln (sparen Ressourcen und beeinflussen zugleich das frühere Trockenwerden), was dann im direkten Vergleich wohl eher der Komplexität der Bedienung eines Mobiltelefons entspricht. Spannenderweise ist das für uns „Männer“ eine ganz normale Sache. Warum also Wickeln nicht? Das hat sicherlich etwas mit Prioritätensetzung und Normalität in unserer Gesellschaft zu tun. Ist es nicht eigentlich wichtiger, dass wir unseren Kindern die ihren Bedürfnissen entsprechende Aufmerksamkeit geben, als beispielsweise mit dem Kumpel über die Bundesligatabelle zu simsen?

In Gedanken nun bei Geschlechterrollen angelangt, wurde ich jäh unterbrochen, denn plötzlich klingelte das Telefon: „Frau Maier*, Kita Kaltenmoor, ich darf Ihnen die Zusage für einen Krippenplatz für Ihre Tochter Nora übermitteln.“ Sofort sprangen meine Gedanken in alle möglichen Richtungen. Wow, wir haben tatsächlich einen Krippenplatz bekommen. Nur warum ausgerechnet in Kaltenmoor (ja, das ist dieser Lüneburger „Problembezirk“), der Kita, die am weitesten vom Wohnort entfernt ist? Und wenn ich ganz ehrlich bin, durchaus der Selbstreflexion fähig, die Öko-alternativ-Kita „Rübe“ wäre dann doch die erste Wahl. Wäre es aber nicht eigentlich besser, würde ich meine Tochter in eine kommunale Kita geben und dort durch meinen Lebensstil Veränderungen anregen, als den „sicheren“ Rückzugs- und Sammelort für Öko-Alternative zu wählen? Durch meine neue Rolle spüre ich plötzlich umso stärker die Schwierigkeit, zwischen meiner Einstellung und meinem Handeln zu vermitteln.

„Unterwegs“ also im Sinne von „Auf zu neuen Ufern“ – eine Reflexion der Vaterrolle in neoliberalen Zeiten.

Von Sebastian Heilmann
(Der Autor schreibt an seiner Diplomarbeit und versucht sich neuerdings in der Vaterrolle)

¹ Die Politik der ersten Person geht auf die Frauenbewegung zurück, lehnt eine Stellvertreterpolitik ab, fordert eine Politisierung der Privatsphäre.

* Name geändert