Technik ist überall. Lernen, kommunizieren, Informationen beschaffen – nichts geht mehr ohne Internet. Als Teil einer netzsüchtigen Erlebnisgesellschaft können wir nicht mal mehr aufs Klo gehen, ohne dabei unseren Instagram-Reach zu checken.
So weit so kulturpessimistisch. Bei vielen regt sich dadurch das Bedürfnis einen Schritt zurück zu machen, mal wieder back to the roots. Das zeigt sich zum Beispiel an merkwürdigen Trends, wie der Paleo-Ernährung. Mehr back to the roots als das geht nicht.
Aber es zeigt sich auch darin, dass Dinge, wie der Poetry Slam zum Beispiel, der am 9.11 seinen Weg in Hörsaal 1 gefunden hat, nicht verloren gehen. Poetry Slam ist ein Phänomen, das zwar oft dokumentiert und auf Youtube gestellt wird, dessen ursprüngliches Event sich aber immer noch großer Beliebtheit erfreut. Denn hier kommen Poetinnen und Poeten zu einem, wie meine alte Deutschlehrerin sagen würde, „Dichterwettstreit“ zusammen. Das Publikum bestimmt basisdemokratisch, wer den besten Text des Abends vorgetragen hat. Wer den Abend als Siegerin oder Sieger verlässt, wird nicht, wie in der Antike, mit einer Krone gerühmt. Stattdessen gibt es Umarmungen von allen Seiten und eine Flasche regionstypischen, nicht allzu teuren Alkohol. Dafür werden bei der neumodischen Version Ruhm und Ehre allen Kandidierenden zu Teil. Ein Moderator erklärt bei jedem Poetry Slam kurz die Regeln und testet das Applausbarometer, das häufig Grundlage der finalen Abstimmung ist. Davor, in der ersten Runde, bewerten einzelne Gäste mit Punktekarten den Text. Zehn Punkte, wenn man sich selbigen am liebsten auf den Rücken tätowieren lassen möchte; null Punkte, wenn man das Bedürfnis hat, den Raum zu verlassen, weil die Poetin oder der Poet 20 Minuten lang in einem Kostüm Texte aus der Feder von jemand anderem vorgesungen und dazu Gitarre gespielt hat. All das ist nämlich nicht erlaubt. Gefällt einem der Text persönlich nicht klatscht man trotzdem, schließlich hat jemand viel Zeit, Mühe und Mut investiert, um seine innersten Gedanken einem fremden Publikum preiszugegeben. Und genau deswegen ist hier auch kein Platz für Handys und Multitasking, denn wer vorne steht hat vollste Aufmerksamkeit verdient. Und bekommt sie auch. Fast so, als hätten wir alle kein Handy mit 13 neuen WhatsApp Nachrichten in der Hosentasche.
Fünf Poetinnen und Poeten aus Lüneburg und Umgebung kamen am 09.11.2015 auf dem Campus im Rahmen der Aktionswoche Gesellschaft – macht – Geschlecht zusammen. Diese Aktionswoche gegen Homophobie und Sexismus wird, auf Initiative des freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften hin, deutschlandweit an Hochschulen durchgeführt. Deswegen standen alle Texte des Poetry Slams im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtern und allem, was sich daraus ergibt.
Dazu gehört zum Beispiel sich erst mal zu fragen, was eigentlich noch normal ist, und, ob da nicht noch viel mehr sein kann zwischen „Steine schmeißen und keine Meinung haben“, wie es Hannes Maß tat. Maria Victoria hat uns gezeigt, wie lächerlich es im Grunde ist zu sagen, wir bräuchten keinen Feminismus, weil wir selbst ja noch nie Einschränkungen erlebt hätten. Ein Plädoyer für den Fußball hielt Bente Varlemann, rechnete gleichzeitig mit seiner Instrumentalisierung für Ideologien ab und zitierte Rosa Luxemburg: „Unpolitisch sein heißt politisch zu sein, ohne es zu merken“. Außerdem hörten wir eine Rittergeschichte über Drachen, Kaugummiautomaten und den Kampf gegen Unterdrückung von Fabian Navarro. Schließlich fragte sich Jörg Schwedler, warum Homophobie eigentlich entstanden ist. Von einem Angriff militanter Schwuler oder bissiger Lesben habe man ja noch nie etwas gehört. Auch wenn das Lüneburger Umland dazu der perfekte Ort wäre, denn „in Uelzen hört dich niemand schreien“. Stammmoderator David Friedrich durfte natürlich auch nicht fehlen. Seine Aufgabe war es am Schluss die Intensität des Applauses zu werten, damit eine Siegerin oder ein Sieger bestimmt werden konnte. Das Applausbarometer war jedoch mehr als unklar, denn alle Poetinnen und Poeten hatten wundervolle Texte vorgetragen und das Publikum würdigte das gebührend. Daher gab es einiges Zögern, bis der Sieger Fabian Navarro bestimmt war. „Ist ja eigentlich auch egal!“, so der Moderator.
Autorin: Leonie Habisch