Univativ Filmkritik: Tiger Girl

In „Tiger Girl“ trifft die anfangs brave Margarethe auf die harte Tiger. Zusammen ziehen sie durch die Stadt und testen ihre Grenzen aus.

Vanilla und Tiger (gespielt von Maria Dragus und Ella Rumpf) / Bild: Jakob Lass © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Fogma

In „Tiger Girl“ (geschrieben und gedreht von Jakob Lass) begegnen sich zwei junge Frauen à la „cute meet“ mehr oder weniger zufällig – wohl damit die Geschichte in Gang kommt – um zusammen die Großstadt unsicher zu machen: Die brave Blonde Margarethe „Maggie“ mit Pferdeschwanz und hellblauem Handtäschen (Maria Dragus) trifft auf die freche, geheimnisvolle. dunkelhaarige Obdachlose mit krimineller Energie – die coole und harte Tiger (Ella Rumpf).

Die Kamera verfolgt die beiden immer rasant, wackelig beim Rennen, dann wieder in krasser Nahaufnahme, immer auf dem Sprung, wie die beiden Frauen selbst, erinnern diese Momente ein wenig an den Steady-Cam-Moment von „Victoria“.

Ungewöhnlich ist die Handlung durchaus: die blonde „Vanilla“ wie sie neu getauft wird, ist durch die Polizeiprüfung gefallen und macht zur Überbrückung eine Ausbildung bei einer Sicherheitsfirma. Nachdem Tiger sie aus einigen brenzligen Situationen rettete, ändert sich schließlich auch Vanillas Attitüde. Im Schutz der Sicherheitsuniformen ziehen die beiden auf einen irren Pöbel- und Diebeszug.

Keine Frage, es ist schon ein krasser Sehmoment, wenn Vanilla und Tiger gemeinsam Passant*innen abziehen oder in Slow-Mow durch blau beleuchtete Treppenhäuser rennen, in einer schrägen Kunstausstellung „im Dienst“ die Bar plündern und Exponate klauen. Gut inszenierte Kampfszenen stehen im Kontrast zu frei improvisierten Dialogen, die durch Schnittmontage auffällig werden. Ein Pluspunkt ist die völlige Subjektivierung der beiden: Nackte Brüste sucht man vergebens, männliche Nacktheit gibt es im Überfluss, unterlegt von weiblichem Rap-Gesang.

Bild: Jakob Lass © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Fogma

Doch auch, wenn die Kamera eine vertikale hundertachtzig Grad-Drehung macht oder mit den Frauen durch die blaue Nacht zieht, kann das Visuelle das Basale nicht übertünchen: Wer? Wo? Was? Und vor allem: Wieso? Mag sein, dass die Handlung absichtlich zugunsten des Leidwandgeschehens wenig komplex gestaltet wurde, um Freiraum zum Regelbrechen zu erhalten (hier das eigens verfasste Manifest des Regisseurs);  dennoch macht ein guter Film für mich mehr aus, als sich überschlagende Dialoge und „Krass oh mein Gott was passiert denn jetzt“-Momente. Wenn dann gegen Ende auch noch sehr auffällig wird, dass das ein oder andere Geschehen wenig Sinn ergibt und keinerlei Hintergrund über die beiden jungen Frauen enthüllt wird, regt das die Frage an, was sich dabei eigentlich gedacht wurde.

Dennoch: Die Schauspielerinnen sind grandios und es ist eine Freude ihnen beim Demolieren zuzusehen. Auch der  Ausbilder der Sicherheitsfirma (ähnlich wie bei „Full Metal Jacket“) wirkt einfach so realistisch, dass man zwangsläufig aufrechter im Kinosessel sitzt.

Ist was für: Cinästhetiker*innen sowie Fans von „Fight Club“ und „Victoria“.

Bloß nicht für: „Inception“-Theoretiker*innen und Handlungsanalysierende.

Gastautorin: Francesca Carola


Im Scala ist der Film zunächst bis zum 12. April 2017 zu sehen. Hier geht’s zu den Spielzeiten.

Bundesweiter Filmstart war am 6. April 2017.