Die Covid-19-Pandemie stellt eine Belastung und eine Herausforderung für alle an der Leuphana Universität dar. Gerade in dieser Zeit von wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit und Instabilität benötigen immer mehr Menschen psychologische Unterstützung, um mit den Problemen, die durch die Pandemie entstanden oder verstärkt wurden, umzugehen. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig zu wissen, wo und wie man sich Hilfe in der Not suchen kann und welche Art von psychologischer Hilfeleistung erwartet werden kann.
Die Univativ-Redaktion hat sich mit Frau Harms, Frau Lamschus und Herrn Janssen von der psychologischen Beratungsstelle des Studentenwerks Ostniedersachsen getroffen und nachgefragt, wie psychologische Beratung zur Zeit der Pandemie möglich ist und was sich verändert hat.
Univativ: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für unsere Fragen. Vielleicht können Sie zunächst einmal erklären, was die psychologische Beratung des Studentenwerks genau ist?
Studentenwerk: Die psychologische Beratung bietet Unterstützung bei persönlichen Problemen. Diese Probleme müssen keine Störungen mit psychischem Krankheitswert sein, sondern können ganz einfach Schwierigkeiten mit sich selbst oder mit anderen sein. Darunter fallen Stimmungsschwankungen, Probleme in der Wohngemeinschaft, in der Herkunftsfamilie oder in der Partnerschaft. Dann gibt es natürlich auch noch den Bereich der studienbezogenen Probleme wie starke Belastungen im Studium, Aufschiebeproblematiken, Schreibblockaden, Probleme mit der Studienfachwahl oder auch sehr viel Stress im Studium. Es können natürlich auch Menschen kommen, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Zurzeit bieten wir hauptsächlich Einzelberatung an, gelegentlich auch Paarberatung und wir sind am Überlegen wieder eine Gruppenberatung anzubieten. Wichtig ist dabei noch zu wissen, dass wir keine Therapie anbieten, sondern eine psychologische Beratung, aus der natürlich auch der Impuls entstehen kann, im Anschluss eine konstantere und längerfristige Psychotherapie zu beginnen.
U: Wie kann man die psychologische Beratung des Studentenwerks in Anspruch nehmen?
S: Es gibt keine Kosten, keine Anträge. Man schreibt einfach eine Mail oder ruft bei uns an und sagt kurz, dass man gerne Unterstützung hätte. Das Thema muss man nicht benennen. Dann wird man sehr zeitnah eine Reaktion auf die Anfrage bekommen, momentan sind die Wartezeiten nicht länger als zwei Wochen, und zu einem Termin eingeladen werden. Daraufhin wird einem ein Berater oder eine Beraterin zugeteilt, je nachdem, ob man sagt, man möchte gerne zu einem Mann oder einer Frau.
Momentan bieten wir fünf bis acht Sitzungen in einem Zeitjahr an. Der Rhythmus der Termine wird mit den Ratsuchenden individuell geklärt. Die Studierenden können sich also entscheiden, ob sie alle zwei bis drei Wochen oder nur einmal im Semester einen Termin bei uns in Anspruch nehmen.
U: Wie hat sich die psychologische Beratung durch die Covid-19-Pandemie verändert?
S: Mit Beginn der Pandemie haben wir zuerst einen Nachfragerückgang erlebt. Viele Studierende sind zu Hause geblieben und gar nicht erst wieder nach Lüneburg gekommen. Vorher hatten wir Wartezeiten von bis zu drei Monaten, mit Beginn der Pandemie haben wir zunächst viele Absagen erhalten. Hinzugekommen ist, dass wir nicht nur persönliche Beratung machen, sondern auch über Telefon und Videokonferenz. Als die Kontaktbeschränkungen verhängt wurden, haben wir sehr viele telefonische und Video-Beratungen durchgeführt. Seit Mitte Mai beraten wir wieder vorwiegend persönlich.
Wir erleben es so, dass viele Klient*innen erstmal sehr dankbar sind, dass wir überhaupt offen haben und sie Unterstützung bei der Lösung ihrer persönlichen Probleme erhalten. Zusätzlich möchten wir darauf hinweisen, dass wir verpflichtet sind, die Klient*innen eine Erklärung unterschreiben zu lassen, welche uns erlaubt, im Falle einer Corona-Erkrankung der Berater*innen oder Studierenden, Kontaktdaten an die zuständigen Behörden weiterzuleiten.
U: Hat sich die Kommunikation verändert durch das digitale Beratungsformat?
S: Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich hatte zunächst ehrlich gesagt große Vorbehalte vorher gegenüber digitaler psychologischer Beratung, aber ich muss sagen, ich war erstaunt, wie viel Nähe am Telefon oder im Video möglich war. Natürlich ist es einfacher, eine wirklich persönliche Ebene herzustellen, wenn die Person direkt vor einem sitzt und man auf Gestik und Mimik zurückgreifen kann. Im Telefonat fehlen einfach wichtige Informationen. Auch wenn jemand Schwierigkeiten hat zu sprechen, dann fehlen einem die Möglichkeiten auch mal ein Bild an die Wand zu malen oder auf andere Weise Themen zu visualisieren. Reaktionen wie ein Lächeln müssen beschrieben und verbalisiert werden, da die Sprache das einzige Kommunikationsmedium ist. Es ist immer leichter, wenn man die Klientin schon vorher persönlich getroffen hat. Dann ist telefonische Beratung eine gute Ergänzung, gerade wenn jemand im Auslandsjahr ist und nicht persönlich erscheinen kann.
U: Also würden Sie als Lehre aus der Pandemie auch ziehen, telefonische Beratung fortzusetzen?
S: Ich glaube, das ergibt sich zwangsläufig. Wir machen jetzt ja alle viele Erfahrungen damit und dadurch wird digitale und telefonische Beratung sicherlich weiter nachgefragt werden. Also besonders für die Klient*innen, die im Ausland sind, ist das sehr sinnvoll. Das war vorher eben eher selten und wird jetzt deutlich mehr nachgefragt. Ich denke schon, dass da etwas Neues entsteht. Dennoch ist die Face-to-Face-Beratung die, bei der am meisten passiert und das ist auch unser normales Arbeitsleben. Das macht uns am meisten Spaß. Auch die Studierenden sagen, dass Beratung mit persönlicher Anwesenheit eigentlich etwas noch Schöneres ist. Man kann viel mehr Übungen und Experimente machen und mehr miteinander interagieren als im digitalen Format.
U: Haben sich die Problemstellungen, mit denen die Studierenden zu Ihnen kommen, verändert durch die Pandemie?
S: Also mein Eindruck war der, dass der Anteil der Corona spezifischen Themen am Anfang gar nicht so groß war, aber an manchen Stellen im Verlauf der Pandemie einfach bestimmte Problemstellungen verstärkt hat. Klient*innen, die sowieso schon viel alleine waren, litten mehr unter der Isolation als zuvor. Auch vermehrte finanzielle Probleme durch den Wegfall des Nebenjobs oder des Jobs der Eltern traten häufiger auf. Was aber auch ganz zentral ist, sind Stressproblematiken durch den Workload des digitalen Semesters, der sich deutlich vermehrt hat im Vergleich zu vor der Pandemie. Die Kombination aus: „Die Welt fühlt sich gerade so unsicher an, alles ist ungewiss und ich selbst bin in großem Stress, weil ich die Aufgaben von der Uni kaum bewältigen kann und gleichzeitig kann ich meinen Freund*innen nicht sehen“ – da kommt viel zusammen gerade.
Das erfordert aktuell einfach sehr hohe Kompetenz an Selbststruktur, wenn man ohne die äußere vorgegebene Struktur auf einmal alle Aufgaben für sich in seinem kleinen Studierendenzimmer erledigen muss, ohne jegliche Kontrolle von außen. Studierende, die damit Schwierigkeiten haben, haben dann auch schnell das Gefühl, den Anschluss verpasst zu haben. Auch die Studierenden, die während der Pandemie wieder bei ihren Eltern eingezogen sind, leiden oftmals unter alten Familienstrukturen oder familiären Problematiken. Aber auch der Umgang mit belastenden Ereignissen wie dem Tod von Familie oder Freund*innen spielt eine ernstzunehmende Rolle in dieser Zeit, in der Abschied nehmen nicht so möglich ist wie zuvor.
Die Pandemie ist auch eine Herausforderung für alle, die sowieso vorher schon an Depressionen oder Verstimmung leiden sowie Menschen, bei denen die Strukturierung des Alltags oder die sozialen Kontakte wegfallen. Auch Menschen, die unter Ängsten leiden, setzt diese Unsicherheit, die Hilflosigkeit besonders zu. Wir alle sind von dieser Unsicherheit und Hilflosigkeit betroffen und haben teilweise Schwierigkeiten, den richtigen Umgang damit zu finden. Wir haben auch wahrgenommen, dass diese Unsicherheit auch durch wenige Informationen seitens der Uni verstärkt wird. Dadurch entsteht bei einigen Studierenden das Gefühl, alleine gelassen worden zu sein.
U: Was raten Sie den Studierenden, wenn sie merken, dass sie gerade Hilfe benötigen?
S: Die psychologische Beratung des Studentenwerks ist bewusst sehr niedrigschwellig gehalten, weil uns bewusst ist, dass es eine Hürde für Menschen darstellt sich Hilfe zu suchen. Dementsprechend reicht es vollkommen aus, zu uns zu kommen und nach psychologischer Beratung zu fragen. Es muss kein Thema oder ein konkretes ausformuliertes Problem vorhanden sein, es reicht einfach her zu kommen und zu schauen, was dabei an Themen aufkommt.
Das bringt uns dazu, über die offene Sprechstunde zu sprechen, welche dienstags von 12:00 bis 14:00 stattfindet. In dieser Zeit können Ratsuchende ganz einfach ohne Anmeldung hier vorbeikommen und sich anschauen wie die Beratung so funktioniert sowie ein halbstündiges Gespräch mit einer Berater*in bekommen.
Jede*r Studierende, der merkt, er kommt gerade mit etwas nicht klar, kann sich an uns wenden. Wir wollen den Studierenden anbieten, auch in Zeiten der Pandemie, der Isolation und der Unsicherheit, eine neutrale vertrauensvolle Gesprächspartner*in für verschiedenste Anliegen zu sein, ohne Verpflichtungen, aufwändige Anträge oder finanzielle Beiträge.
U: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben.
Website des Studentenwerks: https://www.stw-on.de/lueneburg
Psychologische Beratungsstelle: https://www.stw-on.de/lueneburg/beratung/pbs/
Bild: Frau Gesicht Mobbing Stress Scham Schämen – (c) Pixabay