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Offener Brief zur Prüfungsphase im Sommersemester 2021

In einem offenen Brief an das Präsidium und die Lehrenden der Leuphana kritisieren Studierendenvertreter:innen die geplante Durchführung der Prüfungsphase. Mit einer E-Mail Ende Mai hatte die Leuphana angekündigt, dass Präsenzprüfungen möglich und der Regelfall sein sollen. Nun gibt es Kritik an dieser Entscheidung.

Am Mittwoch, 09.06. sollen entsprechende Gremien wie der Fakultätsrat der Fakultät Wirtschaftswissenschaften tagen, um über die Durchführung der Prüfungen zu beraten. Auf der Senatssitzung am 16.06.2021 soll auch über das Thema Prüfungen gesprochen werden.

Wir veröffentlichen den Brief, haben jedoch unten die Namen der Unterstützer:innen nicht genannt, sondern lediglich die Funktion:

„Offener Brief zur Prüfungsphase im Sommersemester 2021

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Lehrende und sehr geehrte Hochschulöffentlichkeit,

wir wenden uns auf diesem Wege an Sie, um Stellung zu einzelnen Teilen der E-Mail vom 31.05. an die Studierenden zu beziehen. Vor dem Hintergrund aktueller Stimmen verschiedener Lehrender, die eine Rückkehr zu Präsenz ankündigen, wahlweise unverhältnismäßige Überwachungsmaßnahmen für digitale Prüfungsformate fordern oder mit Verschiebungen von Prüfungen drohen bis diese in Präsenz stattfinden können, befürchten wir, dass zahlreiche Präsenzklausuren auch in diesem Sommer trotz umfangreicher Vorbereitung von digitalen Prüfungsleistungen stattfinden werden.

Die von uns empfundene Priorisierung der Klausuren in Präsenz in Folge der sich entspannenden pandemischen Lage möchten wir hiermit kritisieren. Wir sind besorgt, dass Präsenzklausuren nun der neue “Regelfall” und digitale Klausuren die Ausnahme werden könnten. In einer weltweiten Pandemie, in der wir alle solidarisch miteinander umgehen sollten, empfinden wir es als falsches Signal Folgendes mitzuteilen:

“Vom 1. Juli an können Lehrende nach heutigem Stand wieder von der Möglichkeit Gebrauch machen, Prüfungen in Präsenz stattfinden zu lassen, da eine außerordentliche Lage durch die Corona-Pandemie nicht mehr in einem Umfang gegeben ist, der die Durchführung von Prüfungen ausschließlich in digitalen Formaten rechtfertigt”

Die Prüfungen in Präsenz werden dadurch indirekt als “Regelfall” deklariert und digitale Formate lediglich als weiterhin bestehende Möglichkeiten oder Ergänzungen erwähnt. Hier hätten wir einen klaren Appell des Präsidiums erwartet, dass die Pandemie uns als Hochschulgemeinschaft noch immer herausfordert und das Präsidium die Lehrenden auffordert, weiterhin auf die bisher kommunizierten digitalen Prüfungsformate zu setzen. Wir haben als Hochschule in den letzten Monaten ausreichend Erfahrung gesammelt, um die Herausforderungen auch in der kommenden Prüfungsphase digital zu bewältigen und den vorsichtigen Kurs der Pandemiebekämpfung verantwortungsvoll fortzuführen.

Mit diesem Brief möchten wir Ihnen gerne erläutern, warum wir den Schritt zu mehr Präsenzklausuren als unzureichend durchdacht und unvollständig vorbereitet empfinden und deshalb Präsenzklausuren in den Fokus unserer Kritik stellen. Fraglich ist für uns, inwiefern die Aufforderung aus § 1 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Appell der Gesundheitsministerien und Wissenschaftler*innen, jegliche Kontakte zu reduzieren, mit der Durchführung von Präsenzklausuren einhergehen kann. Auch in Hinblick auf die niedrige Impfquote der Studierenden sollten besonders Klausuren in Präsenz vermeidbar sein.

Bisher sind Maßnahmen zur Unterstützung von Studierenden, wie die Bereitstellung studentischer Arbeitsplätze an der Universität oder die Öffnung der Bibliothek, unter der Argumentation der Vermeidung von Menschenansammlungen vor Räumlichkeiten oder auf Laufwegen in den letzten Monaten ausgefallen. Im Zuge der Präsenzklausuren würden Studierende nun in großen Ansammlungen auf dem Campus zusammenkommen. Die äußerst vorsichtige Öffnung des Hochschulbetriebs, wie sie bei der sehr geringen Bereitstellung von studentischen Arbeitsplätzen und der eingeschränkten Öffnung der Bibliothek vorliegt, steht in keinem Verhältnis zur Ankündigung, dass Prüfungsleistungen grundsätzlich wieder in Präsenz stattfinden dürfen.

Zahlreiche Fachgruppenvertretungen und Fachschaften spiegeln wider, dass viele Studierende sich aktuell nicht in Lüneburg oder Umgebung befinden und aus finanziellen oder persönlichen Gründen wieder in ihrem Elternhaus wohnen. Dies betrifft ebenso internationale Studierende, welche aufgrund des Pandemiegeschehens an einer Einreise nach Deutschland gehindert werden, sowie Zweitsemesterstudierende, die aufgrund fehlender Präsenzveranstaltungen und sozialer Kontakte bislang keine Gründe für einen Umzug nach Lüneburg hatten.

Weiterhin sind ebenso gesundheitliche Gründe in der Planung von Präsenzprüfungen zu berücksichtigen. Die Studierendenschaft stellt vor allem der Umgang mit Risikokontakten vor große Sorgen. Hiervon sind Studierende mit Betreuungsverpflichtungen im besonderen Maße betroffen.

Es ist zudem recht wahrscheinlich, dass Studierende kurz vor einer Prüfung durch eine*n Mitbewohner*in oder Freund*in zu einer Kontaktperson werden und sich dann kurzfristig in Quarantäne begeben müssen. Dies ist besonders problematisch, weil sich dieses Risiko nicht kalkulieren lässt. Es kann nicht erwartet werden, dass Studierende sich in wochenlange Isolation vor Prüfungsleistungen begeben, nur um dieses Risiko zu minimieren. Studierende befinden sich seit drei Semestern in einer besonders herausfordernden Zeit. Der persönliche Kontakt zu vielen Menschen ist weitgehend ausgeblieben. Wir empfinden es als wenig glücklich, wenn Studierende seit knapp eineinhalb Jahren digitaler Lehre, teils ohne Campusbesuche, ihr erstes Aufeinandertreffen unter Klausurbedingungen erleben müssen.

In diesem Kontext möchten wir auf die psychische Belastung von Studierenden aufmerksam machen, welche unter den Herausforderungen der Online-Lehre zu kämpfen haben. Eine Umfrage der Fachschaft BEM, an der rund 550 Studierende teilnahmen, ergab, dass 87,8 % psychische Mehrbelastungen während der Pandemiezeit erleiden.1 Eine angemessene Unterstützung der Studierenden in Lehrsituationen ist von größerer Bedeutung als die Durchführung der Klausuren in Präsenz. Insofern ist die Aufnahme der hybriden Lehrveranstaltungen begrüßenswert und wir unterstützen die Lehrenden, die hybride Angebote für die verschiedenen Bedürfnisse der Studierenden anbieten.

Wir plädieren für einen Appell seitens des Präsidiums an die Lehrenden, Klausuren bis auf Weiteres digital durchzuführen. Lehrende sollten mit den Studierenden in Austausch treten, um gemeinschaftlich kollegiale und der Situation angemessene Lösungen für Prüfungsleistungen zu finden. Es kann nicht im Interesse der Hochschule sein, dass massenhaft Klausuren in Präsenz geschrieben, dadurch Infektionen und gesundheitliche Schäden der Hochschulgemeinschaft riskiert und so die Prüfungsphase(n) von Studierenden gefährdet werden.

Wir begrüßen das Bekenntnis der Universitätsleitung, eine Präsenzuniversität zu sein und schauen hoffnungsvoll auf das kommende Semester. Den Schritt zu geplanten Präsenzklausuren halten wir aktuell allerdings für unangemessen. In der letzten Prüfungsphase haben wir viele Ansätze gesehen, Lehre und Prüfungen nachhaltig zu denken und innovativ zu gestalten. Wir wünschen uns, dass die Krise für nachhaltige Entwicklung genutzt wird und der Fokus weniger auf einer ‘Rückkehr zur alten Normalität’, sondern auf der Frage ‘wie wollen wir in Zukunft Lehren, Lernen und Prüfen?’ liegt. Wir sollten auch in der Prüfungsphase solidarisch zur Pandemiebekämpfung beitragen und angemessene Prioritäten setzen.“

Unterzeichner*innen

AStA-Sprecher*innen, Studentische Senator*innen, Studentische Senator*innen, Studentische Mitglieder in den Zentralen Studienkommissionen, Studienkommissionen, Fachschaften und Fachgruppen

Der Brief wurde auch beim AStA veröffentlicht. Dort auch als PDF verfügbar.


Bild: Lucas George Wendt – orange paper on yellow surface photo – Free Paper Image on Unsplash
Update 09.06.2021 – 12:45 Uhr: Wir haben die Sitzungen der Gremien korrigiert. Es findet keine ZSK Sitzung mehr vor der Sitzung des Senats am 16.06. statt. Am 09.06. tagt jedoch der Fakultätsrat.

Christopher Bohlens

Schreibt immer irgendwas über Hochschule, Politik oder Veranstaltungen, wo es so richtig kracht. Liebt investigativen Journalismus und beschäftigt sich viel mit Daten.

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