Was wir in Corona-Zeiten von indigenen Völkern lernen können

Was es mit dem Wort „Comunidad“ auf sich hat und welchen Einfluss Corona auf die indigenen Völker Mexikos hat, erzählen María Teresa Gonzalez und Claudia Schurr im Gespräch.

Welchen Bezug haben Sie zu Indigenen Völkern?

María Teresa Gonzalez: Ich komme aus Oaxaca, Mexiko. Meine Mutter war Indigene und stammt aus dem indigenen Volk der Zapoteken. Als ich ein Kind war, sind wir in die Hauptstadt gezogen und hatten mit allgegenwärtiger Diskriminierung zu kämpfen. Die indigenen Sprachen wurden im öffentlichen Leben verboten. Man sagte sie seien gegen den Fortschritt. Dadurch lernte ich leider die Sprache der Zapoteken nicht. Meine Mutter hat trotz allem vieles der Kultur an uns weitergegeben. Die Feiern und Gewohnheiten lebten wir zuhause aus. Vor 22 Jahren bin ich nach Deutschland immigriert. Nun arbeite ich in Hamburg als Psychologin und habe mich auf Migranten spezialisiert.

Claudia Schurr: Ich bin in Deutschland aufgewachsen und 1998 mit meinem Mann nach Oaxaca gezogen und lebe mit den Indigenen zusammen. Wir praktizieren traditionelle Medizin und betreiben die Agentur „Eco Tourismo“. Immer mit Respekt für die bestehenden Kulturen und die Umwelt versuchen wir, unsere Kunden und diese Kulturen zusammenzubringen und Ihnen die Möglichkeit zu geben, das tägliche Leben und die Arbeitsbedingungen der Menschen in Oaxaca zu entdecken. Ich lerne jeden Tag so viel von ihnen und bin sehr dankbar dafür!

María Teresa Gonzalez und Claudia Schurr (Foto: Alan Zorn Mora)

In wieweit sind Indigene von der Pandemie betroffen?

Claudia Schurr: Wir denken oft aus unserer europäischen Perspektive, dass man mit Zugang zu einem Krankenhaus sicher ist. Dabei lassen wir die natürlichen Heiltechniken, die viele Indigene praktizieren völlig außen vor. Die Curanderos (ein traditioneller Heiler, Anm. d. Red.) besitzen ein großes Wissen und viele unglaubliche Kenntnisse. Sie sind verbundener mit der Natur und kennen ihre Heilpflanzen viel besser als wir.
Wir haben die Tendenz Indigenen ihr Wissen abzusprechen und sie als empfindlich einzustufen. Aber eigentlich sind wir die, die so viel von Indigenen lernen können. Ich sage immer: Wenn jemand eine Krise überlebt dann sind die Indigenen das und nicht wir.

María Teresa Gonzalez: Es gibt auch Unterschiede, Indigene sind keine homogene Masse. Durch das Misstrauen in die Regierung besteht teilweise auch ein Misstrauen gegenüber den Corona-Maßnahmen. Deshalb üben manche Völker weiterhin ihre Praktiken aus und veranstalten Feiern. Meine Mutter und viele andere Indigene sind an Corona gestorben. Sie  haben aufgrund von Korruption und anderen Problemen kein Vertrauen in die Regierung und ihre Maßnahmen gehabt.

Sind abgeschottete Völker besser dran?

Claudia Schurr: Völker, die zwischen den beiden Kulturen festhängen sind am verletzlichsten. Da kommen mehr Außenstehende rein und beeinflussen sie, sowie ihre Werte und Normen. Sie bringen ein anderes Leben mit.

María Teresa Gonzalez: Eindringlinge, die Ressourcen ausbeuten, bringen häufig auch Corona mit. Das Dorf meiner Mutter ist ein strategisch wichtiger geografischer Punkt. Dadurch betreten mehr Menschen deren Terrain und die Coronazahlen steigen. Da besteht auch eine gewisse Korrelation.

Wie gut funktioniert das Zusammenleben indigener und nicht-indigener Menschen?

María Teresa Gonzalez: Indigene Völker sind schon historisch gesehen diskriminiert und werden oft vergessen. Dazu kommt eine Diskriminierung im Gesundheitswesen. Die alternative mexikanische Medizin ist riesengroß und tiefgreifend, trotzdem wird sie von der mexikanische Regierung nicht anerkannt.
Außerdem leben laut der Uno 70% der rund 12 Millionen Indigenen in Mexiko in Armut. Das bedeutet, dass sie in der Stadt keinen Zugang zu Trinkwasser, einer guten Gesundheitsversorgung, gesunder Nahrung oder jeglicher anderer Unterstützung haben. Meistens kommt dann noch der Analphabetismus dazu. Wo in abgeschotteten Völkern eine Verbindung zwischen den Menschen besteht, erlebt man in den Städten eher eine Trennung.

Auf dem Markt in Tlacolula haben Einwohner:innen trotz Corona die Möglichkeit ihre Produkte auf den Markt zu bringen. V.r.n.l. Terry Crowe, Claudia Schurr und Sonia Contreras (Foto: Yves Chavan)

Was sind die Pflichten der Regierung? Und erfüllt die Regierung diese?

Claudia Schurr: lacht. Die Regierung erfüllt eher selten ihre Pflichten gegenüber der indigenen Bevölkerung. Diese sind das aber bereits gewohnt. Die Indigenen nehmen die Dinge selbst in die Hand. Viele entscheiden eigenständig, welche Corona-Maßnahmen sie durchsetzen. Mexiko ist so divers. Da können Entscheidungen der Regierung für manche Gruppen treffend sein und für andere eher hindernd.

Wie sieht das dann mit den Impfungen aus? Haben Indigene in Mexiko die Möglichkeit sich impfen zu lassen?

María Teresa Gonzalez: Mexiko hat nicht nur seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein gutes Impfsystem, sondern schon durch andere Krankheiten wie z.B. Polio. Dadurch sind sie auch einigermaßen gut organisiert, was Corona angeht. Viele Kommunen haben ein Centro de Salud (= kleines Krankenhaus). Meistens verfügen sie sogar über einen Kühlschrank, um die Impfungen aufzubewahren.

Claudia Schurr: Im Endeffekt ist das aber eine Entscheidung die die Indigenen zusammentreffen. Alle handhaben das anders. Wenn sie möchten, haben sie aber die Möglichkeit sich impfen zu lassen. Die Regierung strengt sich da echt an. Isolierte Völker mit den Impfungen zu erreichen ist schwierig. Trotzdem hat die Regierung es größtenteils geschafft und gleichzeitig für einen Ausbau der Infrastruktur gesorgt. Mehr als 70% der Straßen in der Sierra Norte sind nicht asphaltiert. Die Informationslage zur Impfung ist leider unzureichend. Das ist eine der Gründe, warum viele eine Impfung ablehnen.

Was können wir von den Indigenen lernen?

Claudia Schurr: In Oaxaca besteht eine wundervolle Communidad (=Gemeinschaft). Und das macht sich auch in einer solchen Pandemie deutlich. Entscheidungen werden einzig und allein als Gruppe gefällt. Die Regierung hat zwar einen Einfluss, aber die Gemeinschaft trifft die Entscheidungen. Sie haben ihre eigene Politik und eine gewisse Autonomie. Sie handeln solidarisch und Maßnahmen wie z.B. die Maskenpflicht wird nicht in Frage gestellt.

Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland lernen, wie man Gemeinschaft lebt, damit wir in Zukunft Krisen noch besser durchstehen können. Wenn wir das nicht lernen, sehe ich für die Bekämpfung des Klimawandels schwarz.


Das Interview wurde auf spanisch geführt und übersetzt.

Titelbild: Alan Zorn Mora

Vera Keddigkeit

Studentin der Kulturwissenschaften und Digitalen Medien. Schreibt über Kultur und Gesellschaft.

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