Ganz nach meinem Geschmack – Ein Rückblick auf 5 Jahre Leben in Lüneburg

Bayerische Provinz oder Lüneburger Heide – vor diese Wahl stellte mich damals der NC. Die Geschwindigkeit des bayerischen Immatrikulationsamtes sorgte dann dafür, dass ich mich zunächst dort einschrieb. Von 15000 Einwohnern im Rhein-Main-Gebiet auf 7000 Einwohner im tiefsten Bayern – nun, sagen wir, ich hoffte weiter auf den Bescheid aus dem Norden des Landes. Entsprechend groß war die Freude, als die Zusage aus Lüneburg ins Haus flatterte.

Verglichen mit dem Altmühltal erwartete mich mit Lüneburg ein regelrechtes Zentrum des pulsierenden Lebens und die Überzeugung mancher Hamburger Kommilitonen, schon rein aus Prinzip in der Hansestadt wohnhaft zu bleiben, stieß bei mir nicht zuletzt aufgrund jahrelanger leidvoller Schulbus-Pendelei auf Unverständnis. Überhaupt war Lüneburg zu Beginn ein großes Abenteuer – der erste Umzug überhaupt, die erste eigene Wohnung, neue Menschen, neues Leben. Jenseits des Backsteinäquators Hannover und in sicherer Distanz von 500 Kilometern vor post-erzieherischen Einflüssen aus der Heimat, standen gelegentliche Wochenendheimfahrten außer Frage.

So zog ich mit Sack und Pack gen Norden, hütete den Schlüssel zu meinem ersten eigenen Reich wie einen Schatz und verteilte stolz meine neue Adresse. Dass diese bei vielen der alten Bekannten in der Schublade verschwand und es mit den Jahren immer schwerer werden sollte, Teile des alten Lebens im neuen aufrecht zu erhalten, all das war in den ersten Wochen in Lüneburg unwichtig. Viel zu viele neue Dinge prasselten auf uns ein. Dabei kann ich mich heute noch genau erinnern, mit wem ich die ersten Worte auf dem Campus wechselte, dass der Raum unseres Ersti-Tutoriums im UWI-Gebäude war und, welches die erste Lüneburger Kneipe war, die ich von innen sah. Dass es sich dabei um das Café Lilienthal handelte, auch das lässt darauf schließen, dass diese Tage schon ein wenig zurück liegen, denn das Café wurde inzwischen in das „News“ umgewandelt.

„…trotz Einbürgerungs-Zwangsmaßnahmen wurde Lüneburg schnell mein Zuhause…“

Die Stadt Lüneburg half mit Nachdruck mit, dass man sich schnell heimisch fühlte. Denn schon nach wenigen Tagen wurde meine Heimatstadt auf dem Personalausweis mit einem wenig ansehnlichen Aufkleber und dem Stempel der Stadt Lüneburg verdeckt. Ja, die höheren Semester werden sich erinnern, das war die leidige Geschichte mit der Zweitwohnsitzsteuer. Doch trotz dieser Einbürgerungs-Zwangsmaßnahmen wurde Lüneburg sehr viel schneller mein Zuhause, als ich es selbst gedacht hätte. Kaum 8 Wochen nach dem Beginn des ersten Semesters konnte ich das Lüneburg-Lied mit schmettern und, von Touristen nach dem Weg gefragt zu werden und ihnen diesen auch noch ohne lange zu überlegen erklären zu können, gab mir das Gefühl angekommen zu sein.

Überhaupt in einer Stadt zu wohnen, die ein Anziehungspunkt für Touristen ist und es demnach mehr Attraktionen als eine Eisdiele geben muss, sorgte dafür, dass mir als Landpomeranze nicht so schnell langweilig wurde, auch, wenn man trotz des Bekanntheitsgrades von Lüneburg alten Freunden immer wieder erklären musste, wo man nun eigentlich studierte. Auch, dass andere darüber schmunzelten, oder auch wahlweise fluchten, dass der Stadtbus nach 20 Uhr seinen Betrieb einstellte, war für mich anfangs kaum nachvollziehbar. In einer Stadt zu wohnen, in der direkt vor meiner Tür allein zwei Buslinien verkehrten, war schon spektakulär genug. Der fehlende Nachtbus wurde erst dann zum Problem, als meine defekte Fahrradlampe zum Dauerzustand wurde. Zum Glück hielt das restliche Vehikel trotz zunehmender Roststellen in den letzten fünf Jahren tapfer durch und sonntags morgens, wenn es noch still war in der Stadt (jaja, die Metropole, sonntags kein Bus vor 14 Uhr), haben mein Fahrrad und ich die entlegendsten Ecken der Stadt erkundet. Das hat mir zumindest erhebliche Standortvorteile eingebracht, denn es soll Kommilitonen geben, die nicht wissen, wie man nach Kaltenmoor kommt?. Oder kennt Ihr das griechische Restaurant am Kreidebergsee, wart Ihr schon mal am Rehhagen oder im Klosterkamp? Wisst Ihr, wie idyllisch man am Gut Wienebüttel wohnt und wie die Stadt hinter dem Moorweg weiter geht? Dass ich auf diesen Touren auch nach 5 Jahren immer noch neue schöne Ecken entdecke, anstatt meinen Wohnort schon nach 20 Minuten zu Fuß komplett erkundet zu haben, auch das macht für mich den Reiz am Leben in Lüneburg aus.

…angenehmes Studieren in Lüneburg…

Das Nachtleben allein war für mich nie ein Kriterium über einen Umzug nach Hamburg nachzudenken, auch, wenn es die Nähe zur Stabi gerade während der Magisterarbeit nahe gelegt hätte. Denn gerade die Besuche in der Bibliothek haben mich regelmäßig wieder zu der Einsicht gebracht, dass Studieren in Lüneburg um ein Vielfaches angenehmer ist. Sobald man sich einen Tag durch fiese Präsenzbibliotheken geschlagen hat, in chaotischen Teilbibliotheken trotz zahlreicher Hilfskräfte das Auffinden eines Buches unmöglich schien und man sich dann durch die anonyme Masse wieder gen Hauptbahnhof gehangelt hatte, war ich jedes Mal froh, wieder in die Stadt der kurzen Wege und der ausreichenden Bibliotheks-Arbeitsplätze zurückzukommen.

Als ich zum Ende meines Studiums in den Genuss eines fahrbaren Untersatzes gekommen bin, musste ich allerdings erkennen, dass es um Lüneburg herum mit dem lebhaften Kleinstadtdasein nicht weit her ist. Ich möchte an dieser Stelle auf Mechtersen verweisen, wo die Straße tatsächlich einfach aufhört – es hilft nur Umdrehen. Oder aber die Vielzahl von Gemeinden mit grünem Ortsschild, die aus kaum mehr bestehen als 3 Bauernhöfen, von denen mindestens einer zum Verkauf steht und die Existenz von Handy- oder Internet-Anbindung alles andere als selbstverständlich ist. Als Kind des Rhein-Main-Gebietes gelten Ortschaften ohne mindestens eine Bäckerei für mich als unbewohnbar .

Der Glanz der Metropole Lüneburg

Im Kontrast dazu erstrahlt Lüneburg einmal mehr im Glanz der Metropole und es wundert nur noch wenig, dass man sich samstags vor Menschen in der Stadt kaum noch retten kann. A propos: die Einkaufsstraßen. Ok, die üblichen Kaufhausketten haben sicherlich schon mit größeren Filialen geglänzt, aber nur, wer mal auf dem Land gelebt hat, weiß es Wert zu schätzen, welch ungeahnte Möglichkeiten die Lüneburger Innenstadt in Sachen Geschenkkauf bietet, fernab vom alljährlichen Gutschein der örtlichen Drogerie. 10 Minuten mit dem Fahrrad um sich neu einzukleiden oder abends auszugehen, statt 20 km mit dem Auto – all das gehörte zu den Privilegien meiner Zeit in Lüneburg, die ich nicht missen möchte.
Und wenn man Gästen einen halben Tag lang die Höhepunkte der Stadt vorführen kann, anstatt sich auf besagte Eisdiele beschränken zu müssen, dann weiß ich, dass es das I-Amt gut mit mir gemeint hat.

Umso merkwürdiger das Gefühl, dass meine Zeit in Lüneburg nun dem Ende zugeht – und das nicht nur, weil es mir der verregnete Sommer nicht mehr ermöglicht hat, meine Zehnerkarte für das Freibad noch aufzubrauchen. Ein bisschen fühlt man sich inzwischen fremd auf dem Campus zwischen den vielen unbekannten Gesichtern. Doch neben der aufkommenden Wehmut ist da auch die große Spannung auf das neue Unbekannte, die Ungewissheit, wohin es einen verschlägt und welche Möglichkeiten das Studium neu eröffnet hat. Im Rückblick, waren die vergangenen 5 Jahre sicher die Zeit in meinem Leben, die am schnellsten vergangen ist. Doch neben dem letzten Schliff an der Magisterarbeit und den Bewerbungen in alle Teile des Landes bleibt kaum Zeit, sich darüber klar zu werden. Während jeder an seiner Zukunft bastelt, beginnen die neuen Freunde aus dem neuen Leben sich bereits in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Mal sehen, was da draußen auf uns wartet. Eines aber hatten und haben wir in jedem Fall gemeinsam: 5 abwechslungsreiche Jahre in der Salzstadt – ganz nach meinem Geschmack. Goodbye Lüneburg, mach’s gut, Univativ.

Sandra Simon