Introversion – welch unsexy Wort. Tausend Vorurteile plagen die meist geistreichen Menschen (I might be biased), die sich gerne mal ganz entspannt aus dem Weltgeschehen zurückziehen. Ich bin eine von denen. In dieser Kolumne erzähle von meinem gewagten Selbstexperiment im Lüneburger Nachtleben. Be prepared.
Freitag Abend. Ich sitze auf meinem Bett, neben mir meine Schale Nudeln mit Pesto und Hefeflocken, weil Hefeflocken are life. Ich mache meinen Laptop an und drücke auf das kleine rote N auf meiner Taskleiste. Netflix and Chill for one ist angesagt. Ich liebe es, diese Ruhe, dieses Abtauchen. Me Time ist die beste Erfindung der Welt.
Introversion hat einen furchtbaren und unberechtigten Beigeschmack. Introvertierte sind schüchtern, haben nichts zu sagen und scheuen sich eigentlich ohnehin vor jeglichem menschlichen Kontakt. Großer Bullshit. Aber was bedeutet Introversion dann eigentlich? Und sind Extrovertierte dementsprechend ständig unterwegs und quatschen alles und jeden an?
Was Introversion wirklich bedeutet
Am Ende bedeutet Introversion nicht mehr, als dass jemand Zeit allein braucht, um seine Energiereserven wieder aufzuladen. Das kann Netflix and Chill sein, aber auch ein Buch lesen oder in der Natur sein. Musik hören oder nichts tun. Warum braucht die*der Introvertierte das? Introvertierte sind schneller von äußeren Reizen überstimuliert. Da ihre Gehirnaktivität häufig schon ohne diese äußeren Reize sehr hoch ist, kommt es dann oft zu einer Überwältigung. Extrovertierte beziehen ihre Energie hingegen aus Gesellschaft. Sie müssen vor allem unter Menschen sein, neue Dinge erleben, um sich wieder aufzuladen. Natürlich ist auch hier nicht alles schwarz und weiß. Manch eine*r ist stärker introvertiert, die*der andere extrovertiert, doch kann die*der eher Introvertierte auch mal Energie durch Gesellschaft gewinnen und die*die eher Extrovertierte schon mal seine Ruhe brauchen. It’s a spectrum, baby.
Warum aber ist Introversion so unsexy? In einer Welt, in der Begriffe wie FOMO (Fear Of Missing Out) etabliert sind, wird schnell deutlich, was mehr Ansehen erlangt. Als ein Mensch, der nicht jedes Wochenende nach einer Abendveranstaltung sucht, sind mir die irritierten Blicke zu bekannt. Ganz im Gegenteil, mich abends unterwegs zu sehen, ist ein Ereignis, das man vielleicht ein-/zweimal im Monat beobachten darf und dann ist es in der Regel eher der Kinobesuch, das Konzert oder das Abendessen im Restaurant. Die Nächte, in denen ich feiern gehe, kann ich jährlich an einer Hand abzählen. Dann ist es schon schwer, mich zu motivieren, tanze dann jedoch mit Vergnügen zwei bis drei Stunden, bis ich der Feierei wieder überdrüssig werde und mich gerne sofort ins Bett beamen will.
Das Selbstexperiment
Der Partykultur en masse konnte ich noch nie viel abgewinnen. Tanzen kann ich auch wunderbar zu Hause in der Küche und dort sogar immer selbst die Musik aussuchen. Ich liebe es, zu humanen Zeiten ins Bett zu gehen, da hat noch keine Party angefangen. Ich hasse Small Talk und das ist meistens alles, was du auf einer Party bekommst. Ich habe noch nie neue Freundschaften auf einer Party geschlossen, weil das für mich einfach kein Setting dafür ist. Meine Abneigung wird spürbar. Alkohol trinke ich selten, je nach Party kann das aber auch zur interessanten Sozialstudie werden. Und genau das führt mich zu meinem Selbstexperiment.
Ich studiere jetzt in meinem letzten Semester und hier ist der Plan: Ich will Lüneburg nicht verlassen, ohne das Nachtleben kennengelernt zu haben. Dazu gehören die vermeintlichen Klassiker wie die Mitternachtspizza im September und das Karaoke im Irish Pub. Als Selbstexperiment und ganz klar auch, um Geschichten zu erzählen.
Das Nachtleben wird romantisiert. Auch ich erwische mich immer mal wieder bei dem Gedanken, dass Feiern wie ein kleines Abenteuer ist. Verdränge die Tatsache, dass ich danach geschlaucht bin und der Tag danach meist ein Verlorener ist. Aber scheiß drauf, denn ich will wissen, was es ist, wovon Lüneburg immer wieder schwärmt.
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