Munstermannskamp 3. Ein steriler, rotgelber Bauklotz in der Nähe des Campus. Dort befindet sich die Psychotherapeutische Beratungsstelle des Studentenwerkes Braunschweig. Ich habe einen Termin mit Rita Harms und Rolf Wartenberg. Unruhig sehe ich auf die Kirchturmuhr am Sande. Ich habe den Bus verpasst und muss auf den nächsten warten. Das macht mich nervös, weiß ich doch, dass die Psychotherapeuten wenig Zeit haben. Die Beratungsstelle ist voll ausgelastet.
Der Bus hält. Schon zwei Mitnuten nach fünf. Im Stechschritt gehe ich über die Straße, hinein in den hässlichen Klotz. Als ich durch die Türe komme, lächeln mir Harms und Wartenberg entgegen. Die Anspannung verfliegt. Sie scheinen mir die fünf Minuten Verspätung nicht übel zu nehmen.
Ich erfahre, dass Wartenberg seit zehn Jahren Rat suchenden Studenten zur Seite steht. Harms ist schon seit der Gründung der Beratungsstelle im Jahre 1991 da.
Einzel-, Paar- sowie Familienberatung decken verschiedene Bedürfnisse ab
Die Berater sind mir auf Anhieb sympathisch. Am Liebsten würde ich ihnen von meinem Leben erzählen, ihnen mein Herz ausschütten. Doch dafür bin ich nicht hier. Ich konzentriere mich auf meine Fragen und nehme den Gesprächsfaden wieder auf.
Das Angebot der Psychotherapeutischen Beratungsstelle ist mannigfaltig: Sowohl Einzel-, Paar- als auch Familienberatung stehen auf dem Programm. Neben den Sprechstunden werden auch Kurse angeboten, die den Studenten helfen sollen, Prüfungsangst oder Arbeitsstrukturierungsprobleme in den Griff zu bekommen. Den Weg zu Harms und Wartenberg finden die Studenten zumeist via Mundpropaganda. Manche bringen sogar ihre Freunde mit.
Es ist, als hätte Rita Harms geahnt, dass mir eine schwere Entscheidung bevorsteht. Wir kommen doch auf mein Leben zu sprechen, meinen Studienabbruch. Aber nur kurz. Es fällt mir schwer, meine Gedanken für mich zu behalten, meine Souveränität nicht zu verlieren. Das vergangene Jahr hat mich weinerlich gemacht. Ich kämpfe gegen die Tränen an und schlucke den Kloß herunter, der mir immer in der Kehle steckt, wenn es um dieses Thema geht. Es gelingt mir die Fassung zu bewahren.
Depressive Verstimmungen, Selbstwertprobleme oder Zukunftsangst- der Psychotherapeut hilft
Die meisten Studenten kommen in der Mitte ihres Studiums zu den Psychotherapeuten. Depressive Verstimmungen, Selbstwertprobleme, Zukunftsangst und Konflikte mit der Herkunftsfamilie sind häufig genannte Probleme. Zahlreicher geworden ist in den letzten Jahren das Thema Einsamkeit. „Das liegt vor allem daran, dass der Leistungsdruck in den vergangenen Jahren zugenommen hat“, weiß Harms zu berichten. Sie erzählt von Studenten, die sogar nach einem 14-Stunden-Tag noch das Gefühl hätten, zu wenig getan zu haben. Vor allem durch die Einführung der Studiengebühren sei der Druck auf die Studenten gestiegen, ihr Studium in der Regelzeit zu bewältigen, meint die Diplom-Pädagogin. Aus Angst zu versagen, hätten die Studenten weniger Zeit für innige Gespräche. Also müsse die Beratungsstelle den Tratsch mit der besten Freundin ersetzen.
„Frauen kümmern sich besser um sich selbst“, sagt Harms und verweist darauf, dass nur jeder fünfte Ratsuchende ein Mann ist. Männer hätten Angst davor, belächelt zu werden und zögerten darum, sich an eine Betreuungsperson zu wenden.
Generell trifft die Psychotherapeutische Beratungsstelle in Lüneburg jedoch auf zunehmende Akzeptanz. Es ist nicht mehr peinlich und verpönt, sich auf die Couch zu legen. Das schlägt sich auch in der aktuellen Sozialerhebung des Studentenwerks Braunschweig nieder: Seit 2001 hat sich die Zahl der Ratsuchenden beinahe verdoppelt. 400 Studenten haben Harms und Wartenberg im vergangenen Jahr aufgesucht. 2001 waren es 250. Die Anzahl der Gespräche hat zugenommen. Die Anzahl der Mitarbeiter stagniert. „Damals gab es auch noch keine Wartezeiten“, sagt Wartenberg.
Harms vermutet, dass die Nachfrage mit der Einführung der neuen Bachelorstudiengänge weiter steigen wird, und mit ihr die Wartezeiten. „Unsere Wartelisten sind jedoch nicht mit denen der niedergelassenen Psychotherapeuten vergleichbar“, betont Wartenberg. Zudem hätten Studenten immer die Möglichkeit in die offene Sprechstunde zu kommen.
„Das Bluffen unter den Studenten ist weit verbreitet“, merkt Wartenberg an. Über Schwierigkeiten mit dem Studium spreche man auf dem Campus selten. Nur nicht das Gesicht verlieren, laute die Devise. Der Psychotherapeut vermutet, dass mit dem Leistungsdruck auch der Konkurrenzkampf unter den Studenten größer geworden sei.
Die Zeit ist schnell vergangen. Wartenberg sieht auf die Uhr, dann aus dem Fenster. Es ist kurz nach sechs, Feierabend, und die Sonne scheint. „Vielleicht haben wir ja heute noch was von dem schönen Wetter“, sagt er zu seiner Kollegin. Ich verabschied mich und verlasse den gelbroten Bauklotz am Munstermannskamp.
Autorin: Anna S. Berger