Auf einmal war es da. Es kam aus dem nichts und es schleppte alles und jeden mit sich. Niemand kann es umgehen. Es verfolgt einen, egal wohin man geht. Die Spotted-Epidemie ist ausgebrochen.
Die Idee, auf einer Facebookseite anonym Kontaktanzeigen aufzugeben, soll aus dem schottischen Glasgow stammen. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit breitet sich die Kuppelseite auf die Universitäten weltweit aus, später auf Schulen, öffentliche Verkehrsmittel und Supermärkte. Ja sogar das verschlafene Städtchen Lüneburg hat das Phänomen Spotted erreicht. Aber was ist dran an der Idee? Kommen die Kennlernversuche an oder ist das altbewährte Ansprechen die bessere Lösung?
Stündlich zeigt mir die Facebook-Seite Spotted Leuphana neueste Einträge an. Waren es am Anfang noch schüchterne Versuche, die schon lang gesichtete Traumfrau anzusprechen, werden es immer mehr semiseriöse Machosprüche und sarkastische Aufrufe. Läuft die Idee, Menschen über Facebook zu verkuppeln, in die falsche Richtung?
Ich mache den Selbsttest
Mit meinem Laptop ausgestattet setzte ich mich in die Bibliothek der Uni. Es ist voll, die Klausuren stehen unmittelbar bevor. Die Mädels kichern und stolzieren den Flur auf und ab. Muss man wirklich mit 12-cm-Absätzen lernen? Das Spotted-Fieber geht um. Sie alle wollen sich einmal in den anzüglichen Einträgen wiedererkennen.
Ich logge mich ein und tippe. Ich tue so, als ob ich ein männlicher BWL-Student aus dem fünften Semester wäre. Kurz beschreibe ich mein Aussehen und wo ich gerade in der Bibliothek sitze. Dann beschreibe ich eines der Mädchen in unmittelbarer Nähe und frage, ob es sich später auf einen Kaffee treffen will. Schon nach kurzer Zeit geht das Getuschel los. Nervös blickt das besagte Mädchen um sich, auf einmal scheint es schüchtern zu sein. Ein bisschen rot wird es auch.
Ich schreibe in den nächsten Tagen noch weitere Einträge. Vielen Leuten auf Facebook gefällt das und einige meinen, die gesuchte Person wiederzuerkennen. Aber keiner der beschriebenen Jungs und Mädels meldet sich persönlich auf meine Anfrage. Zu einem Treffen kommt es erst recht nicht. Ich vermute, dass sich Spotted verselbstständigt hat. Dadurch, dass jeder alles was er will zu einem Beitrag formulieren kann, hat keiner mehr die Kontrolle darüber, in welche Richtung das Ganze läuft.
Spotted Leuphana folgt eindeutig einem nicht mehr ernstzunehmenden Weg
Zu viele Einträge waren eindeutig sarkastisch und als Scherz gemeint. Klar, dass da kein Platz mehr für diejenigen ist, die wirklich jemanden kennen lernen wollen. Und jene, die sich angesprochen fühlen, trauen sich nicht mehr, sich zu melden. Zu groß ist die Unsicherheit, ob der Beitrag ernst gemeint war oder wieder einmal bloß ein blöder Scherz.
Das ist zumindest meine Vermutung. Denn selbst die Mädels, die in der Uni so rumlaufen, als ob sie 24 Stunden am Tag feiern würden, um endlich gespotted zu werden, scheinen zu einer Kontaktaufnahme nicht bereit zu sein.
Erschienen in Univativ 73 | 2/2013.
Autorin: Charlotte Huch