Schadenfreude führt in die Sackgasse

Wir, die Vernünftigen, sind uns schon so lange einig. Die Gefahr von Corona ist real und Impfen ist Zivilcourage. Die Verzweiflung über die Verblendeten, die Unbelehrbaren – wir teilen sie miteinander, regen uns über Bekannte und Angehörige auf und verweisen hilflos auf die vollen Intensivstationen. Doch wir wissen bereits: mit Argumenten kommt man oft nicht weiter. Faktenchecks räumen mit Falschinformationen auf, verschwörungsideologische Strategien werden dekonstruiert (PLURV) und gemeinnützige Organisationen wie Der goldene Aluhut beraten Angehörige von Menschen, die sich radikalisiert haben. All das ist jedoch nur selten wirksam, das weiß man mittlerweile. Die Gesellschaft ist gespalten – so weit, so gut. Und jetzt?

Um es mit Goethes Worten zu sagen: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.

Da ist die Eine, Ungeduldige, Frustrierte, Verständnislose, die die einfach nicht mehr will.

,Mein Gott, lass dich doch einfach impfen‘,

stöhnt sie mit verdrehten Augen,

,wie kann man jetzt, nach all den Infos immer noch nicht verstanden haben, dass Impfen minimale Risiken mit sich bringt und Corona tausendmal gefährlicher ist? Wie kann man noch immer nicht einsehen, dass volle Intensivstationen und eine niedrige Impfquote direkt miteinander zu tun haben? In dem Moment, in dem Menschen nicht mehr richtig behandelt werden können, weil Ungeimpfte alle Kapazitäten ausschöpfen, ist die Impfentscheidung keine rein private Angelegenheit mehr, und komm mir nicht mit Freiheit, wenn deinetwegen andere sterben‘,

wettert sie. Aber eine ethisch vertretbare Lösung hat sie auch nicht mal eben parat.

Die andere Seite, die etwas Pragmatischere, zeigt sich verständnisvoller.

‚Die Leute haben eben Angst, und das ist zutiefst subjektiv. Du kannst nicht von jedem Menschen erwarten, seriöse und unseriöse Quellen immer auseinanderhalten zu können – für dich sieht alles vollkommen logisch aus, aber für andere ist alles nur noch ein Wirrwarr von unterschiedlichen Stimmen, und alle werden in der Wahrnehmung erstmal gleich gewichtet. Verschwörungsideologische Narrative in den Medien haben es erfolgreich geschafft, die Leute so zu verunsichern, dass sie jetzt gar nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Und dass die Impfung ein viel kleineres Risiko bedeutet als eine Infektion, das kann man zwar sagen, aber ein Bauchgefühl lässt sich davon doch nicht beeindrucken, egal wie irrational oder unverhältnismäßig es ist. Die Realität scheitert an deiner Logik – Angst funktioniert nicht logisch.‘

Ja, wo sie Recht hat, denke ich.

Aber wie nimmt man Menschen ihre Angst?

Die Informationen sind tausendfach verbreitet worden; es scheint nicht zu helfen. Für jede neue Info gibt es zehn neue Falschmeldungen. Die vielfache mediale Reaktion auf das ewig andauernde Missverständnis von Spätfolgen und Langzeitfolgen ändert nichts an der Tatsache, dass Menschen weiterhin Angst haben, lange Zeit nach der Impfung plötzlich ein gesundheitliches Problem zu entwickeln.

Auch, wenn klargestellt wurde, dass der Impfstoff sich nach wenigen Wochen abbaut und nicht mehr im Körper vorhanden ist; auch wenn klar ist, dass Impfstoffe so nicht funktionieren. Auch wenn klar ist, dass Corona töten kann.

Malen wir uns aus, die Pandemie nimmt irgendwann ein Ende. Doch die gleichen Menschen, die kruden Ideologien auf dem Leim gingen, sind noch hier, und mit ihnen ihre Denkmuster, Überzeugungen und Weltbilder. Unter diesen Menschen sind zwar Antisemit*innen und Rechte, und die sind gefährlich genug. Doch um die extremen Vertreter*innen von Verschwörungsideologien soll es heute nicht gehen, sondern um unsere Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde. Nicht jede*r, die oder der an der Sicherheit der Impfungen gezweifelt oder Corona verharmlost hat, war auch der Meinung, wir lebten in einer Diktatur. Von wem kann man verlangen, im Netz seriöse von unseriösen Quellen unterscheiden zu können? Viele sind überfordert von der Komplexität der neuen Medien und vom sich ständig weiterentwickelnden Forschungsstand. Enttäuschung über die herrschende Politik trägt zum allgemeinen und diffusen Gefühl des Misstrauens bei, das sich bei vielen Menschen eingeschlichen hat. Während sich die einen seit Monaten gewünscht hätten, es möge doch endlich bundesweit einheitliche Bestimmungen und konsequente Lockdowns geben, ärgern sich andere über die Beschränkungen, die wirtschaftliche Abstriche mit sich bringen und das soziale Leben einschränken. Es ist leicht, voller Ärger über die Uneinsichtigkeit der anderen Seite’ alle Zweifelnden schlichtweg als dumm oder ignorant zu bezeichnen.

Was geschieht mit einer Gesellschaft, durch die sich ein solch tiefer Riss zieht?

Corona entwickelt sich endemisch, d.h. das Virus wird uns nicht mehr verlassen. Höchstwahrscheinlich wird jeder Mensch früher oder später mit ihm in Kontakt kommen, ob geimpft oder ungeimpft. Die Langzeitfolgen von Covid-19 treffen vor allem Ungeimpfte – zahlenmäßig werden hauptsächlich sie es sein, die an Long Covid leiden. Was macht das mit den Menschen, die von Anfang an auf die Impfung vertraut haben?

Wenn wir wollen, dass verunsicherte Menschen den Mut finden, über ihren Schatten zu springen und sich impfen zu lassen, ist es nicht die beste Strategie, ihnen den Tod durch Ersticken zu wünschen.

Schon jetzt tropft Schadenfreude aus jeder Ritze der Kommentarspalten unter Beiträgen über an Covid-19 verstorbene Impfgegner*innen. Viele amüsieren sich über die hilflosen Versuche erstickender Corona-Patient*innen, die kurz vorm Anschluss ans Beatmungsgerät noch um Impfstoff baten. Diese Selbstgerechtigkeit, ist sie fair? Gerade den Unentschiedenen gegenüber, die eben noch an der Sicherheit der Impfung zweifeln und Angst haben, in ihrem Bekanntenkreis darüber zu sprechen, um nicht abgestempelt werden. Wenn wir wollen, dass verunsicherte Menschen den Mut finden, über ihren Schatten zu springen und sich impfen zu lassen, ist es nicht die beste Strategie, ihnen den Tod durch Ersticken zu wünschen. Vor der Gefahr, nur noch schwarz und weiß zu sehen, ist niemand gefeit. Wenn wir erwarten, dass andere sich ihre Fehler eingestehen, sollten auch wir erst bei uns selbst beginnen. Der selbstgerechte ‚selbst-Schuld’-Reflex bringt uns nirgendwohin, sondern vertieft nur die Kluft und sorgt für noch irrationaleren Trotz.

 

,Kein Mitleid’ haben User mit dem Tod des Impfgegners Dick Farrell. (Quelle: Instagram / Tagesspiegel)
,Kein Mitleid’ haben User mit dem Tod des Impfgegners Dick Farrell. (Quelle: Instagram / Tagesspiegel)

Können wir Räume finden, wieder miteinander zu sprechen, statt zu streiten?

Vielmehr sollten wir uns als Gesellschaft die Fragen stellen: ‚Warum müssen so viele Menschen Unglück erst am eigenen Leib erfahren, bevor sie anerkennen, dass es auch für andere real ist? Wie wollen wir mit Falschinformationen und den medialen Anforderungen unserer Zeit umgehen? Wie kommt es dazu, dass in dieser Gesellschaft ein so tiefsitzendes Misstrauen steckt? Dass bestimmten Gruppen (denen ‚da oben‘) immer die bösesten Absichten unterstellt werden? Wie lernen wir, zu differenzieren? Und wir, die Geimpften, die Corona ernstnehmen, müssen hinterfragen, warum wir so eine gemeine Freude empfinden, wenn wir sehen, dass wir Recht und Andere Unrecht hatten. Können wir Räume finden, wieder miteinander zu sprechen, statt zu streiten? Können wir einander vergeben? Es bleibt zu hoffen.

Gerade deshalb möchte ich mich als Geimpfte auch für Verständnis seitens der Ungeimpften aussprechen. Ich sehe, dass ihr Angst habt, doch versteht bitte auch unsere Hilflosigkeit, unseren Frust und unsere Sorge, dass diese Pandemie nie ein Ende findet. Fühlt euch nicht sofort abgestempelt bei jeder Form von Kritik; auch wir sind am Ende unserer Kräfte und unserer Geduld. Die meisten geimpften Personen haben bereits die Erfahrung gemacht, dass ihr Körper den Impfstoff gut vertragen hat. Selbstverständlich sind Risiken auch bei Impfstoffen nie ausgeschlossen, denn keine Medikamte oder medizinischen Behandlungen sind zu einhundert Prozent frei von jedem Risiko. So funktioniert Medizin nicht. Es geht darum, das kleinere Übel, sprich das kleinere Risiko zu wählen. Steht man vor der Wahl, sich einer Blinddarm-OP zu unterziehen, bei welcher man im Ernstfall sterben könnte, oder an einem Blinddarm-Durchbruch zu leiden, bei dem man ganz sicher sterben wird, ist die Entscheidung klar. Ich für meinen Teil bin erleichtert, dass ich mir bezüglich meiner eigenen Gesundheit etwas weniger Sorgen machen muss.

Liebe Ungeimpfte, bitte habt Verständnis dafür, dass wir eure Ängste anhand unserer eigenen Erfahrungen manchmal nicht mehr nachvollziehen können. Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich jedoch sage: ich tu mein Bestes. Und ich bin froh über jeden Menschen der sich, auch zu späterem Zeitpunkt und trotz Skepsis, noch dazu durchringt, sich impfen zu lassen.


Foto: Tagesspiegel Rechter US-Impfgegner stirbt nach Corona-Infektion
(Quelle: Instagram / Screenshot)

Viktoria Steiber

Studiert Kulturwissenschaften und mag Journalismus.

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