Hamilton – Ein Musical für alle

Hamilton ist ein populäres Broadway-Musical. Es hatte 2015 Premiere und erzählt die Geschichte Alexander Hamiltons, der als einer der Gründerväter der USA eine maßgebliche Rolle bei der Staatenbildung des Landes und der dazugehörigen Revolution spielte. Seit Oktober 2022 läuft Hamilton auch in der deutschen Übersetzung im Hamburger Operettenhaus.

Hamilton hat mich begeistert und mich in die Welt der Musicals geworfen.

Es wurde geschrieben von Lin-Manuel Miranda (bekannt auch durch Encanto, Vaiana und In the Heights) und hat bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Pulitzer Preis für Drama und elf Tony Awards.

Insgesamt hat Hamilton einen prominenten Platz in der Popkultur gefunden, was nur eine Handvoll Broadway-Shows in der heutigen Zeit geschafft haben. Es war das Zentrum von Lob und Kontroversen. Beschreibungen spannten sich von „Neuerfindung des Theaters“ bis hin zu „völlig überbewertet“. Aber unabhängig davon, was man über die Show denkt: Sie ist seit ihrem Debüt im Bewusstsein der Öffentlichkeit geblieben.

Mehr als ein Nischenphänomen

Man könnte meinen, Hamilton sei für Fans von Musicals oder Historischer Fiction oder Hip-Hop entworfen. Ich kann guten Gewissens sagen, dass ich, bevor ich Hamilton kannte, Fan von keinem dieser drei Dinge war. Aber etwas an dieser chaotischen, genialen Umsetzung, bei der nichts dem Zufall überlassen wird, hat mich begeistert.

Warum ist dieses nischenhaft anmutende Stück trotzdem so erfolgreich? Eine so spezifische Klassifizierung wie „historisches Hip-Hop-Musical“ birgt die Gefahr, nur Menschen anzusprechen, die sich für die Überschneidung der drei Bereiche interessieren. Hamiltons Publikum geht aber weit darüber hinaus.

Das Musical ist so aufgebaut, dass es für jede seiner Grundlagen geschätzt werden kann. Das macht es für jede*n zugänglich, der sich für Hip-Hop ODER Musicals ODER historische Fiktion interessiert. Es ist nicht davon abhängig, dass die Leute Fans von allen dreien sind. Anstatt das potenzielle Publikum einzuschränken, hat die Vermischung der Genres einen größeren Zugang geschaffen und die Reichweite erhöht.

Wie die meisten anderen erfolgreichen Musikstücke hat auch Hamilton eingängige Texte. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass populäre Konventionen von Musical und Hip-Hop genutzt und kombiniert werden.

Letztendlich läuft alles auf Wiederholung hinaus.

Ein häufiges Merkmal von Musicals sind lyrische Motive, d. h. sich wiederholende Ideen und Phrasen, die oft mit einer bestimmten Figur oder Situation verbunden sind – Hamilton hebt dies auf eine andere Ebene.

So gut wie jede Hauptfigur hat mindestens ein lyrisches Motiv, das mit ihr verbunden ist. Dies entwickelt sich im Laufe des Stücks und verändert sich in seiner Bedeutung. Es ist der Dreh- und Angelpunkt vieler Charaktere, was es unmöglich macht, sie zu vergessen. Der zentrale Konflikt, der sich um die lebenslange Rivalität zwischen Alexander Hamilton und Aaron Burr dreht, wird auf diese Weise hervorgehoben: Hamiltons „I am not throwing away my shot“, zu Deutsch „Ich hab nur diesen einen Schuss“, bedeutet beispielsweise, dass er sich weigert, Gelegenheiten auszulassen. Auch Aaron Burr besitzt ein solches Motiv. Die Variationen seiner Phrase „Wait for it“ („Warte ab“) verlautbaren seinen Widerwillen, eine bestimmte Haltung einzunehmen, bevor er nicht weiß, dass dies die absolut beste Vorgehensweise ist.

Die beiden, Hamilton und Burr, leben während der gesamten Show nach diesen gegensätzlichen Prinzipien, bis es schließlich zum Duell kommt (Achtung, Spoiler!): Hamilton wirft buchstäblich seinen Schuss weg, indem er seine Waffe gerade in die Luft hebt und Burr in einem seltenen impulsiven Akt zuerst feuert.

Dies ist die auffälligste Überschneidung kontrastierender Motive in der Show, aber sie ist bei weitem nicht die einzige. Momente, in denen Motive miteinander kontrastieren und zwischen Figuren wechseln, sind zahlreich, da jede konfliktreiche Beziehung auf diese Weise dargestellt wird.

Die Kombination aus Lin-Manuel Miranda und Chris Jackson, die beide eine lange Geschichte als Freestyle-Rapper haben, trägt dazu bei, dass sich die Musik nicht sterilisiert oder roboterhaft wirkt. Sie ist zwar gegenüber dem traditionellen Rap verwässert, um besser zu einer Broadway-Produktion zu passen, aber sie hat offensichtlich einen Urheber, der vom Verschmelzen der verschiedenen Genres Ahnung hat.

Mischung der Genres

Die Musikstile der einzelnen Songs wurden nicht zufällig ausgewählt. Sie werden jeweils verwendet, um einen bestimmten Punkt zu vermitteln.

So ist Thomas Jeffersons erster Song nach seiner Rückkehr aus Frankreich eine Jazznummer. Sie verdeutlicht, dass er hinter der Zeit zurückgeblieben ist, die zum Rap übergegangen ist. King Georges Lieder hingegen sind kitschiger, britischer Pop, wodurch beide Songs als Trennungslieder zwischen England und den Kolonien fungieren. In dem Lied „We Know“, in dem Hamilton von Aaron Burr, James Madison und Thomas Jefferson mit dem Verdacht der Veruntreuung von Regierungsgeldern konfrontiert wird, lässt sich auch ein Hauch von Reggae erkennen – eine Anspielung darauf, dass Hamilton in der Karibik geboren wurde.

Die breite Palette an Genres, die die Serie verwendet, ermöglicht es ihr, komplexe Stimmungen zu erzeugen, die bereits vorhandene Assoziationen der Zuschauenden untermalen. Es gibt einen klaren und direkten Zweck für jeden Stil. Obwohl dies für Musicals nicht revolutionär ist, stellt es ein durchgehendes Thema bei der Komposition von Hamilton dar. Jedes Element der Show scheint in sich ein Verständnis davon zu bergen, wie es die anderen Elemente beeinflussen wird: von der Reimstruktur und der Wahl der Genres über die wiederkehrenden Motive bis hin zu den historischen Momenten und den Schauspieler*innen, die die amerikanischen Legenden spielen.

Die einzelnen Lieder stehen nicht nur isoliert für sich, sondern werden auch auf eine Art und Weise verbunden, in der sie sich gegenseitig verstärken, so dass der Film mehr ist als die Summe seiner Teile. Jeder Aspekt wird genutzt, um eine ausgewogene Produktion zu schaffen, die sich nicht an ein bestimmtes Publikum wendet.

Jetzt auch auf Deutsch

Für die Inszenierung in Hamburg wurde das gesamte Musical in die deutsche Sprache übertragen. Texte vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen, birgt viele Herausforderungen in sich. Besonders bei den vielen Reimen ist es schwer, perfekte wörtliche Übersetzungen zu finden, die ähnlich klingen. Dementsprechend musste der Text an einigen Stellen etwas stärker angepasst werden. Das Übersetzer-Duo hat hier aber insgesamt einen soliden Job gemacht.

Einige Sachen konnten aber auch nicht ideal übertragen werden. So wird aus „Room where it happens“ „in diesem Zimmer“ und das trägt leider nicht die gleiche Stimmung oder den gleichen Wortklang. Auch ein paar der Motive konnten nicht an allen Stellen auf die gleiche Art und Weise aufgegriffen werden. Die Übersetzung in „The Schuyler Sisters“ von „Work“ zu „Läuft“ hat mich zu Beginn etwas irritiert, aber am Ende des Songs fand ich sie dann doch gelungen. Außerdem wurden ein paar Lines auch aus dem Englischen übernommen, wie „southern motherfucking democratic republicans“ und Phrasen wie „Let‘s go.“

Nichtsdestotrotz: Für mich hat Hamilton in Hamburg das gleiche, durch die Bühnendarstellung vielleicht sogar ein noch besseres Feeling als die Aufzeichnung der Broadway Originalbesetzung auf Englisch. Die Performance, der Cast und die gesamte Choreografie waren stark an US amerikanischen Broadway-Original angelehnt und sehr überzeugend.

Leider war bei der Aufführung, bei der ich war, nicht der gesamte in den Medien angekündigte Original-Cast auf der Bühne. Besonders den Hamburger Rapper REDCHILD als Mulligan/Madison hätte ich sehr gerne gesehen.

Der Grund, warum Hamilton funktioniert.

Es versucht nicht nur, die Geschichte mit Hilfe von Hip-Hop interessanter zu machen, sondern auch, Hip-Hop durch Geschichte interessanter zu machen. Es setzt all diese verschiedenen Einstiegspunkte, die dem Publikum helfen, etwas zu lernen, das es vielleicht vorher nicht kannte, und das schafft ein unvergessliches Erlebnis.

Hamilton ist eine Show, die jede*r schätzen kann und diese Tatsache ist an und für sich schon lobenswert. Es gibt sicherlich Leute, die nie über den anfänglichen, albernen Tonfall der Show hinwegkommen werden. Aber der Grund dafür, dass es so viele sind, die sich angesprochen fühlen, scheint vor allem darin zu liegen, dass das breite Spektrum der abgedeckten Themen in Hamilton für fast alle Zuschauer*innen etwas Bekanntes und Unbekanntes bietet. So lohnt es sich, das Musical zu besuchen.


Foto: Aufführung Hamilton (c) Johan Persson

Mick Neumann

Studiert im 5. Semester Zimtschnecken, backt gerne Zauberwürfel und löst acht verschiedene Umweltwissenschaften.

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