52 Wochen. 52 Themen. 52 Filme. 4 Freunde. 1 Herausforderung.
Ein Jahr lang trafen sich vier Freunde jede Woche, um gemeinsam einen Film zu schauen. Abwechselnd wählten sie sorgsam ein Werk passend zur Kategorie der Woche aus. Die ausgewählten Filme entführten sie in die weite Welt, ließen manch hitzige Diskussion entbrennen und Witze für die Ewigkeit entstehen. Neben einigen echt miserablen Streifen und vielen wirklich guten Filmen kamen sie auch in den Genuss echter Highlights und Meisterwerke. Begleitet von den jeweiligen Kategorien, gibt es nun meine Top Ten dieser Film Challenge!
Übersicht
10. Drive My Car
9. One Cut of the Dead
8. RRR
7. Call Me by Your Name
6. I Saw the Devil
5. The Pianist
4. Brimstone
3. Die zwölf Geschworenen
2. Parasite
1. Requiem for a Dream
Platz 10
DRIVE MY CAR
Ein Film, der die Auszeichnung „Bester internationaler Film“ gewonnen hat
Zwei Jahre nach dem Tod seiner Ehefrau erklärt sich der Theaterregisseur Kafuku bereit, ein Stück bei einem Festival in Hiroshima zu inszenieren. Aus Versicherungsgründen soll ihn die junge Misaki in seinem eigenen Auto, einem roten Saab 900, von seiner Unterkunft zur Arbeit fahren. Da Kafuku viel an seinem Auto liegt, stimmt er zunächst nur widerwillig zu. Bei ihren gemeinsamen Fahrten beginnen die beiden jedoch nach und nach, sich ihrer jeweiligen Vergangenheit und Gegenwart zu stellen.
Mit DRIVE MY CAR verwandelt der japanische Regisseur und Co-Drehbuchautor Ryusuke Hamaguchi eine Kurzgeschichte in einen dreistündigen Film, der sich auf faszinierende Weise über seine stolze Laufzeit hinweg entfaltet. Ein ruhiger und ausführlicher Prolog eröffnet den tragischen Hintergrund, vor dem sich Regisseur Kafuku einer erneuten Theaterinszenierung stellt. Mit langen Kameraeinstellungen und ohne schnelle Schnitte, mit melancholischen Dialogen, die knapp und dennoch rhetorisch präzise ausgestaltet sind, und durch starke Darsteller:innen entwickelt der Film eine zwar langsame, aber dafür umso hypnotischere Sogwirkung. Mit der Zeit tauchen die Figuren und mit ihnen das Publikum immer tiefer in die Vergangenheit, Abgründe und Ängste der Figuren ein. Dabei spiegeln sich einige Handlungselemente der Inszenierung des Theaterstücks oder manche Eigenschaften von Figuren im Film selbst. Wie bei der Inszenierung des Theaterstücks baut sich der Film über eine Auseinandersetzung mit den (Text-)Grundlagen über ein vorsichtiges Proben bis hin zum Spiel mit zwischenmenschlicher Annäherung auf. Schließlich fordern die Inszenierung des Theaterstücks die Figuren und der Film die Zuschauenden, sich selbst zu betrachten und einen Teil von sich dem Werk hinzugeben.
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 9
ONE CUT OF THE DEAD
Ein B-Movie
Wie bekommt er bloß die richtigen Emotionen aus seinen schlechten Schauspieler:innen heraus? Der Regisseur eines kleinen Zombiefilms ist verzweifelt. Und als wären die Probleme vor der Kamera nicht genug, tauchen auf dem Produktionsgelände auch noch echte Zombies auf! Für den Regisseur die perfekte Gelegenheit, um authentische Reaktionen mit der Kamera einzufangen. Und Action!
ONE CUT OF THE DEAD bringt eine überspitzt dramatische musikalische Untermalung, deplatziert wirkende Schauspielleistungen, Dialoge jenseits von Gut und Böse und eine nicht vorhandene Handlung zusammen. Trotz dieser nicht unbedingt vielversprechenden Qualitäten hat das Ergebnis in kürzester Zeit Kultstatus erreicht. Bei einem Budget von 25.000 US-Dollar konnte der ebenfalls aus Japan stammende Streifen weltweit sogar mehr als 30 Millionen US-Dollar an den Kinokassen einspielen. Woher kommt diese Begeisterung? Wie der Titel es vielleicht schon verrät, wurde ONE CUT OF THE DEAD in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt gedreht. Doch das ist nicht die einzige Besonderheit, die der Film bereithält. Letztlich handelt es sich nämlich um eine wundervolle und vor allem spaßige Liebeserklärung an das Filmemachen und an die unglaublichen Leistungen aller beteiligten Personen und um eine raffinierte und kreative Auseinandersetzung mit den eigenen limitierten Möglichkeiten. Es empfiehlt sich, nach dem Abspann noch nicht abzuschalten!
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 8
RRR
Ein Film, der kürzlich erschienen ist
Die kleine Malli wurde vom britischen Gouverneur entführt, weshalb sich Komaram Bheem auf den Weg macht, das Mädchen zu retten. Doch der Gouverneur setzt den jungen Offizier Raju auf ihn an, der sich durch die Mission einen Aufstieg innerhalb der britischen Truppen erhofft. Nachdem sich die beiden zufällig begegnen und einander ihre jeweilige Identität verschweigen, freunden sie sich an. Doch kann diese neue Freundschaft ihre scheinbar gegensätzlichen Ziele überstehen?
Gleich zu Beginn von RRR prügelt sich Offizier Raju, nur mit einem Schlagstock und purer Willenskraft bewaffnet, durch eine riesige Menge, um einen einzigen Mann zu verhaften, und Komaram Bheem liefert sich im Dschungel einen packenden Kampf mit einem Tiger, den er schließlich mit bloßen Händen und unglaublichem Durchhaltevermögen einfangen kann. Unzählige Menschen in der hellen Sonne, blutige Prügeleien, wilde Verfolgungsjagden, ungezähmte Tiere, zuckende Kamerabewegungen, wilde Tempowechsel von Zeitlupe zu doppelter Geschwindigkeit innerhalb weniger Sekunden, kreative und zugleich unmöglich wirkende Kampfchoreographien, zwei stahlharte Männer und das alles nur in den ersten Minuten dieses dreistündigen Epos aus Indien! Danach gesellen sich neben einigen ruhigen und durchaus emotionalen Momenten auch noch verschiedene Tänze, viele atemberaubend schmalzige Bilder, weitere irrwitzige Actionsequenzen und eine zumindest halbwegs ernstgemeinte Geschichte über Freundschaft, Liebe, Loyalität und Widerstand dazu. Das Ergebnis ist nicht einfach nur ein unterhaltsamer Film, sondern ein wahres Erlebnis!
(verfügbar bei Netflix)
Platz 7
CALL ME BY YOUR NAME
Ein Film nach einer Romanvorlage
Es ist der Sommer des Jahres 1983 in Norditalien. Der 17-Jährige Elio lebt mit seinen Eltern in einer Villa auf dem Land und vertreibt sich seine Zeit mit Klavierspielen, Bücherlesen und Schwimmengehen. Sein Vater ist Archäologe und beherbergt wie jeden Sommer einen Doktoranden als Assistenten im Haus der Familie. Nachdem Elio anfangs nicht viel von dem 24-Jährigen Oliver hält, entwickelt er zunehmend Gefühle für ihn.
Selten hat ein Film den Facettenreichtum des Erwachsenwerdens und der Liebe so leichtfüßig und doch tiefgründig und gefühlvoll in Szene gesetzt wie CALL ME BY YOUR NAME. Vor der idyllischen Kulisse Norditaliens, eingefangen in zurückhaltenden Analogbildern, werden ohne großen Spannungsbogen die Ereignisse eines Sommers bebildert, die sowohl den Figuren als auch dem Publikum noch lange im Gedächtnis bleiben dürften. Das Setting und die Inszenierung, aber auch die erzählerische Ruhe bewahren den Film fortwährend vor dem Umschwung in Kitsch. Stattdessen werden die komplizierten Dynamiken einer gleichgeschlechtlichen Beziehung von Menschen unterschiedlichen Alters nuanciert und ohne bedeutungsschwangere Dramen ausgeleuchtet. Ehrliches Interesse trifft auf anfängliche Ablehnung, Verwirrung wechselt zu Hingabe, aus Zurückweisung wird Begeisterung. Das Erkunden der eigenen Gefühle für die verschiedensten Personen ist verbunden mit dem Öffnen des Selbst, mit vorsichtiger Annäherung, dem Umgang mit der Gefahr von Abweisung, dem Bezug auf die eigene und die andere Person, was nicht deutlicher werden könnte als im Titel. Zudem erzeugt der Soundtrack eine ambivalente Atmosphäre, die sich zwischen Sehnsucht, Zurückhaltung, Aufregung, Zärtlichkeit und Verspieltheit hin und her bewegt. Spätestens beim herzzerreißenden, bittersüßen und doch wunderschönen Ende dürfte kein Auge trocken bleiben. So ist CALL ME BY YOUR NAME am Ende definitiv ein Film, der jeden Sommer gesehen werden will!
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 6
I SAW THE DEVIL
Ein Film, der in einem Land spielt, das du gerne mal besuchen möchtest
Tagsüber fährt Kyung-chul Kinder zur Schule. Nachts jedoch entführt, misshandelt und tötet er junge Frauen. Als ihm die Tochter des ehemaligen Polizeichefs zum Opfer fällt, schwört ihr Verlobter Soo-hyeon gnadenlose Rache. Der Geheimagent macht sich eigenhändig auf die Jagd nach dem Serienmörder. Ein erbarmungsloser Schlagabtausch beginnt.
Es ließe sich der Eindruck gewinnen, Filme aus Südkorea hätten eine Vorliebe für die Erkundung der dunkelsten Abgründe des Menschen. In eben diese blickt auch I SAW THE DEVIL schonungslos hinab. Hier geht es allerdings weniger um eine besonders tiefe Zeichnung der Figuren und eine detaillierte Analyse ihrer Psyche. Der Film fokussiert sich vielmehr auf die unfassbaren Taten, zu denen Menschen hier unter bestimmten Umständen fähig werden. Mit einer verstörenden Brutalität und eindrücklichen schauspielerischen Leistungen brennt sich diese ungewöhnliche Geschichte über Mord und Rache ins Gedächtnis. Dabei wird zum Beispiel ein Konzept wie Rache, das in vielen anderen Filme als legitimer emotionaler Anknüpfungspunkt für die Zuschauenden dienen soll, so lange hin und her gewendet, bis dem Publikum jede Möglichkeit für emphatisches Einfühlen entzogen ist. Durch das Wechseln der Erzählperspektive werden konventionellere Entwicklungen der Geschichte umgangen und spannende Dynamiken aufgebaut. Während der Film zunächst den Serienmörder bei seiner abscheulichen Jagd verfolgt, steht kurz darauf die Jagd nach eben diesem Serienmörder im Mittelpunkt. Doch schließlich wird erneut die Perspektive des nun selbst gejagten Serienmörders eingenommen. Wer ist am Ende überhaupt der Teufel in diesem Sog der Gewalt und was passiert, wenn jemand den Teufel gesehen hat?
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 5
THE PIANIST
Ein Film über eine:n Komponist:in oder Musiker:in
Wladyslaw Szpilman ist ein hoch angesehener jüdischer Pianist. Nach der Besetzung Warschaus durch die deutsche Wehrmacht 1939 muss er mit seiner Familie ins Warschauer Ghetto umsiedeln. Er entgeht knapp der Deportation in das Vernichtungslager Treblinka und kämpft in den folgenden Jahren ums Überleben.
Im Vergleich zu anderen Filmen, die vielleicht in dieser Kategorie anzusiedeln wären, ist der Einsatz von Musik in THE PIANIST überraschenderweise sehr reduziert. Zusammen mit den anderen beeindruckenden Produktionswerten, von den zeitgemäß wirkenden Kostümen über die lebensgroßen und realen Sets bis hin zu den großen Mengen an Kompars:innen und Statist:innen, und der gefühlvollen Inszenierung in einem beinahe dokumentarischen Stil erschafft der Film ein wahrhaftig schreckliches Bild der noch schrecklicheren Vergangenheit. Dabei trifft die Arbeit der Kamera die nötige Mitte zwischen respektvoller Distanz, wodurch die grausamen Bilder für sich sprechen können, und emotionaler Nähe und sorgt so für eine absolut unangenehme aber dennoch tief berührende Erfahrung. Über eine stolze Laufzeit von 150 Minuten wird das Publikum mitgenommen durch die qualvolle Odyssee eines einzelnen Menschen, der alles verloren hat. Die Länge des nervenaufreibenden Films zehrt dabei an den Zuschauenden wie die Ereignisse im Film an den Figuren zehren. Der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist dabei der von Adrien Brody verkörperte Wladyslaw Szpilman. In jeder Sekunde gibt Adrien Brody dem Verlust und dem Kampf seiner Figur äußerst wirkungsvoll ein Gesicht, voller Angst, Trauer, Hunger, Überlebenswillen und Hilfsbereitschaft. Schließlich beginnt ein völlig ausgehungerter, müder und verletzter Wladyslaw Szpilman Klavier zu spielen und stellt trotz dieser Umstände seine bedingungslose Hingabe und Leidenschaft für seine Musik unter Beweis, während ein deutscher Offizier zuhört. Es sind Szenen wie diese, in denen THE PIANIST auf eindrucksvolle und nachhaltige Weise die Macht der Empathie demonstriert, wie sie in dieser Form nur das Kino evozieren kann.
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 4
BRIMSTONE
Ein Film mit einer starken weiblichen Hauptrolle
Zur Zeit des Wilden Westens lebt die stumme Hebamme Liz gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Stiefsohn und ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof. Eines Tages taucht ein neuer Pfarrer in der örtlichen Kirche auf. Schnell wird deutlich, dass dieser Mann nichts Gutes im Schilde führt. Fortan versucht Liz ihm und ihrer Vergangenheit zu entkommen.
Einsame und weite Landschaften, kalte Wiesen und Felder, dreckige Städte und Saloons, heiße Wüsten und düstere Wälder, zugefrorene Seen und verschneite Berge werden in ruhigen Bildern eingefangen und begleitet von dem Rauschen des Windes, atmosphärischer Musik und kaum auszuhaltender Stille. Und durch diese Stille schreiten furchteinflößend die Stiefel des Priesters, kompromisslos boshaft gespielt von Guy Pearce, deren Laute Dakota Fanning als Liz erstarren lassen. Was darauf folgt ist ein brutaler Neo-Western aus Dänemark, der seine Tortur in über zwei Stunden und in mehreren, nicht linear erzählten Kapiteln entfaltet. Dabei bremsen einige Erzählungen der Vergangenheit die Haupthandlung des Films zwar aus, tragen mit ihrer Einteilung in die unter anderem passend nach Büchern der Bibel benannten Kapitel aber deutlich zur erdrückenden Atmosphäre des Films bei. Auf diese Weise ergibt sich erst nach und nach ein zumindest ansatzweise vollständiges Bild von Liz und ihrer traumatischen Geschichte. Der Film schafft dabei den Spagat zwischen dem notwendigen Schließen erzählerischer Lücken und bewusstem Verweilen in Ungewissheit. Statt zum Beispiel die Beweggründe des Priesters zu ergründen, wird er nur noch weiter mystifiziert und seine unergründliche, einschüchternde und widerliche Boshaftigkeit weiter ausgebaut, so dass es äußerst effektiv wirkt, als sei dieser Mann zu allem im Stande, wodurch wiederum die Spannung in der Haupthandlung in die Höhe getrieben wird. Er wird zur Personifizierung eines entfesselten Patriarchats, scheinbar gegründet auf einen frommen Glauben, einer menschlichen Figur des Unmenschlichen. Wie kann Liz dieses Monster und ihre Vergangenheit besiegen? Am Ende scheint es so, als sei sie nur in ihrem selbstgewählten Leid und Schmerz selbstbestimmt. BRIMSTONE ist ein zutiefst schonungsloser, schockierender, gewaltvoller und pessimistischer Film.
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV und im Stream bei WOW von Sky)
Platz 3
DIE ZWÖLF GESCHWORENEN
Ein Filmklassiker
Nach der Verhandlung über einen Mordfall zieht sich die Jury aus zwölf Geschworenen zurück, um über das Urteil zu entscheiden. Der Schuldspruch und die damit verbundene Todesstrafe scheinen aufgrund von Zeugenaussagen eine klare Angelegenheit zu sein. Doch einer der Geschworenen zweifelt an der eindeutigen Schuld des Angeklagten, so dass der Fall noch einmal Detail für Detail besprochen wird.
Bei DIE ZWÖLF GESCHWORENEN handelt es sich um ein Kammerspiel par excellence. Durch eine mitreißende Inszenierung wird aus der kleinteiligen und mühseligen Rekonstruktion des vorherigen Prozesses ein immersives Erlebnis auf engstem Raum, die Hitze und Anspannung werden förmlich spürbar. Trotz einer scheinbar sicheren Argumentationsgrundlage für den Schuldspruch erscheinen durch die hervorragend geschriebene Aufarbeitung nach und nach Details in einem neuen Licht, so dass die eindeutige Schuld des Angeklagten immer weiter angezweifelt werden muss. Dabei geht es nicht nur um den Grundsatz, dass die Schuld und nicht die Unschuld vor Gericht zu beweisen ist. Immer deutlicher treten persönliche Hintergründe, Meinungen und Vorurteile der Geschworenen ins Bild, die deren Entscheidung und Verhalten beeinflussen. Meisterhaft werden hier selbst in ausschließlich von Dialogen dominierten Szenen Spannung erzeugt, Figuren charakterisiert und ruhigere Momente mit neuen Wendungen kontrastiert. Henry Fonda brilliert dabei als zweifelnder Geschworener Nr. 8. Unentwegt ist er bemüht, ruhig, sachlich und mit scharfem Verstand zum Nachdenken über vermeintliche Fakten anzuregen oder Lücken in Argumentationen aufzuzeigen. Mit jeder neuen Dialogzeile und jeder neuen Abstimmung werden die Figuren und die Dynamiken der Gruppe stetig weiterentwickelt. So ist DIE ZWÖLF GESCHWORENEN am Ende aufgrund der spannenden Handlung trotz hoher Dialoglastigkeit, der fiebrigen Inszenierung, der überzeugenden Darstellern, einer psychologischen und moralischen Komplexität und seiner seltenen Zeitlosigkeit zu Recht ein Klassiker der Filmgeschichte! Was für ein Urteil wird die Jury am Ende fällen? Seht am besten selbst!
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 2
PARASITE
Ein Film, der die Auszeichnung „Bestes Originaldrehbuch“ gewonnen hat
Die vierköpfige Familie Kim lebt in ärmlichen Verhältnissen und ohne stabiles Einkommen. Eines Tages bekommt der Sohn Ki-woo eine Stelle als Nachhilfelehrer bei der wohlhabenden Familie Park. Anschließend schleust er den Rest seiner Familie als Hausangestellte bei seinen neuen Arbeitgebern ein. Dabei darf ihre eigentliche Herkunft natürlich nicht auffliegen, was Familie Kim einiges kreatives Geschick abverlangt und immer wieder für Probleme sorgt.
PARASITE ist ein Film über Unterschiede, über Gegensätze und über Grenzüberschreitungen und die daraus resultierenden Konflikte. So ist es kein Wunder, dass der Film selbst auch Grenzen überschreitet. Schon die Unmöglichkeit, den Film in ein Genre einzuordnen, beweist das. Hier treffen Drama und Komödie auf Thriller und Satire und ergeben zusammen ein ebenso wendungsreiches und spannendes wie entlarvendes und komisches Gesamtwerk. Doch der südkoreanische Regisseur und Co-Drehbuchautor Bong Joon-ho hat bereits mit seinen vorherigen Filmen bewiesen, dass er nicht nur an kreativen Geschichten, sondern auch an komplexer Gesellschaftskritik interessiert ist. So vermeidet der Film im weiteren Verlauf eine eindeutige Rollenverteilung im Schema Arm = Gut und Reich = Böse, obwohl Familie Kim zunächst in den Mittelpunkt gerückt wird. Und trotzdem gehört die Trennung von Armut und Reichtum zu den zentralen Motiven des Films, die sich auch in der Bildgestaltung widerspiegelt. Während Familie Kim in einem Keller am unteren Ende der Stadt lebt, wohnt Familie Park in einem mehrgeschossigen Haus auf einem Hügel, die beide dementsprechend ausgestattet sind und intelligent in Szene gesetzt werden. Der symbolische Unterschied, Aufstieg und Fall aus der Armut zu Reichtum und umgekehrt, könnte kaum einfacher, aber auch kaum effektiver und realistischer dargestellt werden. Mit genialen, fast unbemerkbaren Schnitten werden die Kontraste zwischen den beiden Familien immer wieder hervorgehoben. Auch die Grenzüberschreitungen, die durch die Figuren im Film stattfinden, werden durch optische Grenzen im Bild verdeutlicht. Außerdem beschränkt sich PARASITE nicht nur auf die visuelle Ebene, sondern schafft es sogar, den Geruch einer Person oder die Kombination von günstigen Instantnudeln mit hochwertigem Rindfleisch als Kontraste hervorzuheben. Gewürzt mit einigen ausgefallen Ideen, wohldosierten Messerspitzen an Gewalt, einer Prise schwarzem Humor und einem stark aufspielenden Ensemble an Darsteller:innen ergibt sich aus diesen Konflikten und ihrer audiovisuellen Ausarbeitung ein modernes Meisterwerk!
(verfügbar als Video-on-Demand bei u. a. Amazon Prime Video oder Apple TV)
Platz 1
REQUIEM FOR A DREAM
Ein Film, der in deinem Geburtsjahr erschienen ist
Sara Goldfarb ist eine ältere, verwitwete Frau, die allein und vereinsamt in Brighton Beach lebt. Die meiste Zeit verbringt sie vor dem Fernseher. Ihr drogensüchtiger Sohn Harry gibt den Fernseher seiner Mutter immer wieder beim Pfandleiher ab, um von diesem Geld seine und die Heroinsucht seines besten Freundes und seiner Freundin zu finanzieren. Schließlich beschließt er, in den Drogenhandel einzusteigen.
Während in einem durchschnittlichen Film etwa 600 bis 700 Schnitte üblich sind, kommen in REQUIEM FOR A DREAM bis zu 2000 (!) Schnitte zum Einsatz. Grund dafür ist unter anderem der Einsatz der sogenannten Hip-Hop-Montage, die Jay Rabinowitz hier häufig für den Film von Regisseur und Co-Drehbuchautor Darren Aranofsky und die Bilder von Matthew Libatique verwendet. Einprägsame, aber auch eher nüchterne und sachliche Bilder werden dabei sich wiederholend mit oft immer schneller werdenden Schnitten und mit passenden lauten Geräuschen oder entsprechender Musik gezeigt. Auf diese Weise erwecken die Bilder einen tranceähnlichen Eindruck bei den Zuschauenden. Die Euphorie, die Ekstase und der Rausch des Drogenkonsums übertragen sich regelrecht auf das Publikum. Doch in diesem Film geht es nicht einfach nur um klassische Drogen oder Drogenkonsument:innen, schließlich ist Sara Goldfarb nicht nur abhängig von Medikamenten. Es geht viel mehr Sucht im Allgemeinen. Der Film zeigt beispielhaft die Abhängigkeit von Träumen, Bedürfnissen, Menschen, Ideen und Vorstellungen, von Geld, zwischenmenschlichen Beziehungen und Anerkennung. Und er zeigt, wie eine kapitalistische Gesellschaft Individuen diese Abhängigkeit vorlebt und möglich macht. Unterteilt in die drei Jahreszeiten Sommer, Herbst und Winter schildert REQUIEM FOR A DREAM einen hohen Aufstieg in den Rausch, nur um dann am Ende einen noch tieferen Fall zu erleben. Die Illusion der angeblichen Hilfsmittel wird konsequent und radikal zerstört. Verzerrte Blickwinkel und unangenehm dichte Kameraeinstellungen vermitteln über die Bilder den Stress, den Schmerz und die Angst der Figuren. Für manche Zuschauende mag der Film deshalb am Ende zu manipulativ erscheinen. Sich seiner Form zu entziehen, dürfte für die meisten allerdings trotzdem unmöglich sein. Doch ungeachtet seiner Anziehungskraft macht der Film den eventuellen Wunsch eines erneuten Ansehens mit seiner schonungslosen Darstellung ziemlich sicher zunichte. Dementsprechend lässt sich REQUIEM FOR A DREAM als ein Meisterwerk bezeichnen, das seinesgleichen sucht!
(nicht verfügbar)
Neu hier? Vorstellung zu Ruben’s Cinematic Universe
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Foto: ©Ruben Schmidt