Gastbeitrag: Unfug verteidigt seinen Wohnraum!

Im Jahr 2017 gründete eine Gruppe politisch aktiver Menschen das alternative Wohnprojekt Unfug, mit dem Ziel, Lüneburger Wohnraum der Marktlogik zu entziehen. Die Stadtverwaltung Lüneburg und insbesondere Oberbürgermeister Mägde äußerten Bedenken. Am Ende kam es zur Nutzungsuntersagung und zu Protesten in der Stadt. Teils mit Zuspruch, teils mit Widerspruch. Die Bewohner*innen von Unfug schildern in diesem Gastbeitrag ihre Sicht auf das Geschehen.

Das Wohnprojekt „Unabhängig, Frei und Gemeinsam Wohnen“ (kurz Unfug) wurde 2017 von einer Gruppe politisch aktiver, vornehmlich linker Menschen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren gegründet. Ziel war es, einen Ort in Lüneburg zu schaffen, der gleichermaßen Wohnprojekt und politischer Freiraum sein sollte. Ein Ort an dem Utopien erprobt, Herrschaftsfreiheit gelebt und emanzipatorische Politik gestaltet wird. Ein Ort an dem Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Altersgruppen, solche, die von der Gesellschaft behindert werden, sowie Menschen ohne Einschränkungen in einem Haus und mehreren Bauwagen gemeinschaftlich leben.

Die Idee eines inklusiven, bezahlbaren Wohnprojektes mit politischem Anspruch ließ sich auf dem jetzigen Grundstück von Unfug in der Konrad-Adenauer-Straße realisieren. Die Kombination aus Bauwagen und Haus ermöglichte ein Zusammenleben von 10 Erwachsenen mit Kindern zu – für Lüneburger Verhältnisse – vergleichsweise niedriger Miete. Das Projekt stützte sich bei der Aufstellung der Bauwagen auf die 2010 von der Stadtverwaltung im Zuge der Verhandlungen um die Gründung des Wagenplatzes FANGO zugesicherte Duldung von Bauwagen auf Privatgrund. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die Versprechungen des Bürgermeisters nur für jene gelten, die sich ihm unterordnen und seine Politik widerspruchslos mittragen.
Bereits im Herbst 2018 wurden wir, die Bewohner*innen des Projektes, durch einen Besuch des Bauamtes damit konfrontiert, dass gegen uns wegen „baurechtswidriger Zustände“ auf unserem Grundstück ermittelt wurde. Wie wir später erfuhren, erfolgte die Anzeige beim Bauamt aus den Reihen der SPD.
Was dann folgte, war eine politische Farce par excellence. Wir bemühten uns darum einen Dialog sowohl mit der Stadtverwaltung, als auch den Stadtratsfraktionen (außer der AfD) aufzubauen, um unser Wohnprojekt rechtlich abzusichern. Während sich einerseits schnell herauskristallisierte, welche Möglichkeiten der rechtlichen Absicherung (Flächennutzungsplanänderung, baurechtliche Duldung, Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans) existieren, die jedoch ausnahmslos alle vom politischen Willen des Rates und der Stadtverwaltung abhängen. Es stellte sich andererseits langsam aber sicher heraus, dass alle Parteien außer den Linken und den Grünen der Linie des Oberbürgermeisters folgen werden.
Im Juni 2019 machte uns der Oberbürgermeister in einem „Gespräch“ im Hansesaal des Rathauses unmissverständlich klar, dass er im Notfall auch gegen eine Mehrheit im Stadtrat alles in seiner Macht Stehende daran setzten würde, die Bauwagen auf dem Gelände des Wohnprojektes räumen zu lassen und damit das Wohnprojekt zu zerstören.
Obwohl alle Ratsmitglieder, die Unfug zu Gesprächen einlud, zunächst ausnahmslos ergebnisoffen und kooperationsbereit wirkten, stellte sich bei einem Treffen der Fraktionsvorsitzenden – das im Januar 2020 bei Unfug stattfand – heraus, dass sowohl der Fraktionsvorsitzende Klaus-Dieter Salewski der SPD als auch Rainer Menke (Fraktionsvorsitzender der CDU) plötzlich nichts mehr von ihrem Bemühen für das Wohnprojekt wissen wollten.
Die Bewohner*innen von Unfug stellten auf der Grundlage eines baurechtlichen Gutachtens der Linksfraktion jedoch trotzdem einen Antrag auf eine vorhabenbezogene Bebauungsplanänderung im Bauausschuss, den Mädge jedoch zusammen mit den Fraktionen der FDP, CDU, AfD und SPD abschmettern ließ ohne einer Anhörung der Antragsteller*innen. Die notwendigen Bauanträge, um das Wohnprojekt rechtlich abzusichern, wurden entweder in absurd kurzer Zeit abgelehnt oder die Bearbeitungszeit dauerte ungewöhnlich lang.
Der politisch motivierte Angriff auf Unfug gipfelte schlussendlich in der aktuellen Nutzungsuntersagung der Bauwagen und der angedrohten polizeilichen Zwangsräumung, mit der 2 Familien mit Kleinkindern und Babys, sowie 3 weitere Bewohner*innen des Wohnprojektes
wohnungslos gemacht wurden. Es scheint, dass Menschen, die sich im Rahmen von Kundgebungen, Demonstrationen und Protestaktionen Widerspruch gegen die unsoziale und durchkapitalisierte Stadtpolitik zu Wehr setzen, in dieser Stadt keinen Platz haben sollen.
Ullrich Mädge ist seit 1991 Oberbürgermeister der Stadt Lüneburg. Seit Mädge im Amt ist, wird die Privatisierung weiter vorangetrieben. Seit 2007 hat Lüneburg eine Mietsteigerung von über 50% erlebt und anstelle sozialer Investitionen wird Geld in Prestigeprojekte wie den Libeskindbau an der Uni oder die Arena gepumpt. Es ist eine Schande, dass eine Partei, die „Sozial“ in ihrem Namen trägt, unter Mädge eine derartig unsoziale Stadtpolitik macht.

Protestaktion gegen OB Mädge (c) Rudy Bartels

Der Kampf um Unfug wird seit Anfang diesen Jahres vermehrt mit verschiedensten Protestaktionen, wie Kundgebungen, Demonstrationen, Besetzung des Rathausgartens und des Frommeparks, sowie des ehemaligen Universitätsgebäudes im Rotenbleicher Weg oder der Verleihung des „Goldenen Bauwagens für die beschissenste Wohnpolitik“ an Mädge ausgetragen. Es ist nicht nur ein Kampf für diesen spezifischen linken Freiraum, sondern eine politische Auseinandersetzung darüber, in welcher Stadt wir heute und in Zukunft leben und wer bestimmt, wie diese Stadt aussieht. Die Stadt sollte denen gehören, die drin wohnen, und nicht Spekulant*innen wie Sallier oder Vonovia.
Das Aufschreien, das Provozieren und das Stören dieser Normalität ist eine Verteidigung unserer Werte wie sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität. Der Philosoph Etienne Balibar sieht im zivilen Ungehorsam, die Möglichkeit in einer lebendigen Demokratie über Gesetze und Institutionen zu hinterfragen und neu zu konstituieren. Es ist nicht der Protest, nicht der zivile Ungehorsam, der die Demokratie gefährdet, sondern das Schweigen und das stille Zustimmen der Mehrheit des Rates zur Hetzkampagne des OB. Die Zivilgesellschaft einer Demokratie hat das Recht und die Pflicht Regierungen und staatliche Institutionen zu hinterfragen und zu kritisieren.
Es lohnt sich, für das Projekt Unfug einzustehen, könnte es doch Impulse für eine menschliche Wohnungspolitik in Lüneburg geben. Wir haben nachgewiesen, dass OB Mädge und seine SPD das Wohnprojekt Unfug aus politischen Gründen zerstören wollen. Wie aus der Gerichtsakte hervorgeht, gab es von Anfang an von Expert*innen weder zum Brand- noch Naturschutz bedenken. Das Spiel wurde aber umgedreht. Es gab den Auftrag, Unfug zu schaden und dafür Möglichkeiten zu finden. All dies geht aus der Akte hervor. Unsere Beweise werden von Politik und Landeszeitung ignoriert. Stattdessen findet eine Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagne statt.
Protest und die Straße sind das einzige Medium, das wir haben. Wir haben über zwei Jahre mit der Politik über Lösungen gesprochen und wurden nach Strich und Faden belogen. Den Druck der Straße wird die Politik hören, denn nächstes Jahr sind Kommunalwahlen. Wir werden diese politisierte Zeit nutzen, um aufzuklären, wie unser Wohnprojekt zerstört wurde und wie der Ausverkauf der Stadt weiter voranschreitet.

 


Das war ein Gastbeitrag der Bewohner*innen von Unfug.
Titelbild: (c) Unfug e.V.