Warum Pauschalurlaub schön sein kann – und warum auch nicht. Das Flugzeug, in dem ich mich befinde, setzt zur Landung an. „Auf Gran Canaria sind es 28 Grad Außentemperatur und Sonnenschein“, meldet der Pilot. Vor Freude auf die 20 Grad Temperaturunterschied zu Deutschland fängt mein Herz an zu hüpfen. Zwei Stunden später setzt es kurz aus – der Bus hat mich und meine Freundinnen zu unserem Zielort auf den Kanaren gebracht. Es ist eine Bettenhochburg wie aus dem Bilderbuch. Einheimische gibt es in dem Ort keine. Dafür sind gefühlte 90 Prozent der Urlauber deutsch. Mit den zahlreichen Restaurants, Touristenshops und Bars kommt man sich vor wie in einem überdimensionalen Freizeitpark. Was mache ich eigentlich hier?
Rückblick – Es ist Oktober in Lüneburg und es ist kalt, windig und nass. Meine Laune ist im Keller. Anstatt die Semesterferien zu genießen, habe ich gearbeitet und zahlreiche Hausarbeiten geschrieben. Nach tagelangem Selbstmitleid fasse ich den Entschluss, während des Semesters zu verreisen. Doch um selbst zu planen reicht die Zeit nicht mehr aus. Also buche ich mit zwei Freundinnen eine Woche Pauschalurlaub auf Gran Canaria. Mein Ego freut sich auf Sonne und Entspannung, doch als überzeugte Individualreisende habe ich Zweifel. Was ist, wenn im Bungalowpark außer uns nur Kegelvereine sind, oder am Pool rund um die Uhr Animationsbespaßung läuft? Um der drohenden Verdummung zu entgehen, wähle ich meine Reiselektüre nach strengen Kriterien aus: Krieg und Frieden von Tolstoi. 1600 Seiten pure Hochkultur.
Drei Wochen später erwarten uns auf Gran Canaria die Konsumwelt und ihre zahlreichen Komplizen. „Hello Girls. How are you? Nice food, come in“, schallt es aus jedem Restaurant. Am Strand stehen Frauen, die uns hässliche Armbänder andrehen wollen und auf der Promenade verkaufen Männer gefälschte Diamanten. Ich bekomme Panik. Wie soll ich es hier nur eine Woche aushalten?
Kurz darauf ändert sich meine Meinung. Das Meer ist blau, der Strand endlos weit. Die Sonne scheint mir auf den Bauch, ich schlecke Eis und grabe meine Füße in den Sand. Entspannung pur. Am nächsten Tag laufen wir durch die Dünen von Maspalomas. Die Wüstenlandschaft ist überwältigend. Auch die schaukelige Busfahrt zu einem Fischerdorf ist ihre Mühen wert. Alte Männer sitzen mit selbstgedrehten Zigaretten auf dem Dorfplatz und spielen Karten, Kinder toben durch die engen Gassen und dicke Frauen schleppen ihre Einkäufe durch das autofreie Dorf. Als die Sonne untergeht, sieht es so aus, als stünden die umliegenden Berge in Flammen und der anschließende Sternenhimmel macht die Urlaubsidylle perfekt.
Am darauffolgenden Tag gehe ich tauchen. Oft habe ich das bisher noch nicht gemacht und der letzte Tauchgang ist zwei Jahre her. Aber kneifen tun nur Feiglinge. Also steige ich ins Boot, das uns zum Riff bringt. Boris, der charmante Tauchlehrer, zeigt mir, wie man am elegantesten vom Boot ins Meer kommt. Ich versuche, seine Ratschläge zu befolgen und plumpse ins Wasser. Eine Stunde später tauche ich stolz wie Oskar wieder auf. Gesehen habe ich genug. Bunte Fische, viele spitze Seeigel und eine aggressive Seespinne.
Die Erlebnisse inspirieren mich. Am Tag der Abreise fasse ich einen Plan: Ich werde den Heimflug sausen lassen und eröffne mit Boris einen Tauchladen auf Gran Canaria. Vielleicht kann ich zwischenzeitlich auch mal Tolstoi lesen. Von dem hab ich im ganzen Urlaub nur 50 Seiten geschafft. In dem Moment kommt ein Schmuckverkäufer vorbei und hält mir seine Ware unter die Nase. Ich schaue weg. „Fuck you“, blafft er mich an. Das mit dem Tauchladen sollte ich wohl noch mal überdenken. Wie wäre es stattdessen mit einem Hundeschlittenverleih in Kanada? Da wollte ich schon immer mal hin. Schön soll es da sein. Und so ruhig.
Von Lina Sulzbacher