Mister Tagesthemen Tom Buhrow und Journalistin Sabine Stamer im Interview. Ja, sie sind sympathisch. Nach ihrer Lesung im Lüneburger Hörsaal 1 schreiben „Tagesthemen“-Moderator Tom Buhrow und seine Frau Sabine Stamer ebenfalls Journalistin, doch tatsächlich „Alles Gute Kolleginnen!“ in unser Exemplar ihres neuen Buches. Nach über zehn Jahren Aufenthalt im Ausland sind beide vor etwa vier Jahren nach Deutschland zurückgekehrt. In „Mein Deutschland – dein Deutschland“ ziehen sie, ausgehend von persönlichen Erlebnissen und zusätzlichen Recherchen, Bilanz über ihr Heimatland. Dem ganz eigenen Erfahrungsbericht lauscht ein Publikum, dass auf Einladung der Buchhandlung Perl den Weg an die Uni gefunden hat. Im Vorfeld der Lesung sprach die „Univativ“ mit Tom Buhrow und Sabine Stamer über das, was ihnen an Deutschland auffällt, über ihr Studentenleben, ihren Berufsweg und die gemeinsame Arbeit an ihrem Buch.
Univativ: Haben Sie gern studiert?
Stamer: Nicht so sehr. Ich habe mich gerade am Anfang der Studienzeit oft verloren gefühlt und hätte mir gewünscht, mehr an die Hand genommen zu werden. Ich habe mich damals an vielen Bildungsdemos beteiligt, unter anderem gegen eine Verschulung des Studiums. Das war zu der Zeit schon ein Feindwort. Heute denke ich darüber manchmal anders, weil ein verschultes Studium auch Vorteile bringt, wie zum Beispiel mehr Strukturiertheit. Das habe ich in meinem geisteswissenschaftlichen Studium oft vermisst.
Buhrow: Ich wusste auch oft nicht, wo es lang gehen soll an der Uni. Ich selbst komme nicht aus einer Akademikerfamilie und habe mich in der Rolle des Studenten nicht immer wohl gefühlt. In der Uni herrscht ja ein ganz eigenes Leben mit eigener Sprache und allem. Vor allem die Professoren sprechen in Chiffren. Als ich ein Praktikum bei einer Zeitung gemacht habe, war ich froh herauszufinden: Im Berufsleben reden alle wieder normal. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass einen nicht das an der Uni erlernte Fachwissen weiter bringt, sondern die Ausdauer, die man im Studium erlernt. Ich finde, dass die amerikanischen Colleges die Studenten bei der sozialen Integration und der Identifikation mit ihrer Uni besser unterstützen. Dort findet viel mehr soziales Leben auf dem Campus statt und es kann ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen. Bei meiner alten Uni in Bonn war das überhaupt nicht so.
Stamer: Ich konnte mir am Ende des Studiums mein Zeugnis im Sekretariat abholen und das war‘s. Da gab es keine Abschlussfeier oder etwas, das Verbundenheit schaffen könnte.
Buhrow: Was das angeht, habe ich mich mit meiner alten Uni ein wenig versöhnt. Dort habe ich letztes Jahr auf einem Unifest ein paar Grußworte an die Studierenden gerichtet und im Nachhinein doch noch symbolisch eine Abschlussurkunde verliehen bekommen.
Univativ: Wussten Sie als Studierende, wohin es für Sie beruflich gehen sollte?
Buhrow: Bis zum Abi wusste ich nicht, was ich machen will, aber dann war für mich glasklar, dass ich Journalist werden möchte. Ich habe dann alles auf eine Karte gesetzt und Geschichte und Politik auf Magister studiert und nicht auf Lehramt. Ich wollte nicht, dass es so aussieht, als ob ich auf Lehramt studiere, um Lehrer werden zu können, falls es mit dem Journalismus nicht klappt.
Stamer: Ich war am Anfang ziemlich planlos und wusste noch nicht, was ich später mal beruflich machen will. Ich habe einfach das studiert, was mir Spaß macht: Erziehungswissenschaften und Germanistik. Nach dem Studium bin ich dann nach Rom gegangen und habe dort für eine Zeitung geschrieben. Ab da war mir klar, dass ich beim Journalismus bleiben will.
Univativ: Haben Sie es als Nachfolger von Ulrich Wickert bei den Tagesthemen schwer gehabt, Herr Buhrow?
Buhrow: Als ich Leiter des ARD-Studios in Washington wurde, war ich schon einmal in der Situation, einen bekannten Journalisten abzulösen. Es ist nie leicht, eine herausragende Rolle mit viel Verantwortung zu übernehmen und den Laden zu schmeißen. Dabei ist es eigentlich egal, wer der Vorgänger ist. Wichtig ist, sich nicht einschüchtern zu lassen. Ulrich Wickert hat vor mir dasselbe durchlebt. Er hat mir damals nur einen einzigen Tipp gegeben: „Sei nur du selbst.“ Ich habe mich daran gehalten und nie versucht, jemand anderes zu sein. Den Rest müssen Sie beurteilen.
Univativ: Welche Nachrichten, die Sie abends vortragen, berühren Sie besonders?
Buhrow: Ich glaube jeder, der im Fernsehstudio arbeitet und Ihnen auf diese Frage eine genaue Antwort gibt, kann nicht ganz aufrichtig sein. Anders als ein Reporter sind wir als Moderatoren ja nur mittelbar mit den Ereignissen konfrontiert und sehen sie genauso auf dem Bildschirm wie ein Zuschauer. Wir sind weit weg und dadurch nicht anders betroffen als er. Als ich selbst Korrespondent war, ist das anders gewesen, weil ich damals mit den Leuten direkt im Kontakt stand. Als Nachrichtenmann berühren mich vor allem persönliche Schicksale, zum Beispiel Meldungen von Familien, die in den USA durch die Wirtschaftskrise alles verloren haben. Ich denke aber, das ist beim Zuschauer nicht anders.
Univativ: Wie verlief die Zusammenarbeit an Ihrem neuen Buch?
Stamer: „Mein Deutschland, Dein Deutschland“ ist ja nicht unser erstes Buch. Davor haben wir schon einen Reiseführer über Washington und „Mein Amerika Dein Amerika“ zusammen geschrieben …
Buhrow (lacht): Das war sozusagen unser Testlauf.
Stamer: Ja … Bei unserem neuen Buch haben wir am Anfang überlegt, welche Themenbereiche wir überhaupt behandeln wollen, was uns wichtig ist. Dann haben wir die Kapitel untereinander aufgeteilt, je nachdem, wem welches Thema mehr liegt. Wir haben dann Entwürfe geschrieben und uns gegenseitig per E-Mail zugeschickt, obwohl unsere Büros direkt nebeneinander liegen. Der andere hat ergänzt, kritisiert und gelobt oder auch mal gesagt: „Das ist totaler Schwachsinn“.
Buhrow: Totaler Schwachsinn? Also ehrlich … Das habe ich noch nie von dir gehört.
Stamer: Na ja gut, so habe ich mich vielleicht nicht ausgedrückt … Jedenfalls haben wir zwei Kapitel einzeln geschrieben, weil das unsere individuellen Erfahrungen sind. Tom hat über seine Marathonläufe berichtet und ich über meine Heimatstadt Helmstedt an der ehemaligen Zonengrenze. Aber auch in den beiden Kapiteln haben wir uns gegenseitig korrigiert. Das war natürlich Luxus für unseren Lektor.
Univativ: Sie befassen sich in mehreren Kapiteln Ihres Buches mit Migranten in Deutschland. Warum interessieren Sie sich so sehr für das Thema?
Buhrow: Weil das Thema Einwanderung ein wichtiger Teil der deutschen Wirklichkeit ist. Es ist uns auch deshalb aufgefallen, weil es immer wieder in den verschiedensten Zusammenhängen erwähnt wird, zum Beispiel im Bereich Bildung und Soziales. Wir widmen uns dem Thema vor allem anhand von Einzelschicksalen.
Stamer: Auch der Vergleich mit Amerika ist spannend. Die USA sind ganz bewusst ein „Einwanderungsland“. Eins zu eins kann Deutschland das nicht kopieren, die Bedingungen sind ja auch ganz andere. Lernen kann man dennoch Einiges daraus.
Univativ: Was ist Ihnen am meisten aufgefallen, als Sie aus den USA nach Deutschland zurückgekommen sind?
Buhrow: Dass die deutschen Handwerker wissen, was sie tun. Andererseits wird in den USA Service groß geschrieben. Da gibt es beim Einkaufen überall einen „Wohlfühl-Boy“, der dir zum Beispiel beim Tragen hilft.
Stamer: Trotzdem bringt man das, was man gekauft hat, oft eine Woche später zurück. Service ist also nicht alles.
Buhrow: Außerdem ist uns aufgefallen, dass die Amerikaner ausgesprochen freundlich sind. Da passiert es oft, dass du durch die Straßen gehst und dir jemand im Vorbeigehen zuruft: „Schöner Schal“ oder „süßer Hund“. In Deutschland ist man da viel verhaltener.
Univativ: Und haben Sie jemals bereut, nach Deutschland zurückgekommen zu sein?
Stamer: Nein, wir leben gern in Hamburg. Außerdem läuft es im Leben nicht so, dass man sich aussucht, wo man leben möchte, sondern die entscheidende Frage ist häufig: „Wo habe ich beruflich Chancen?“
Buhrow: Das stimmt. Ich könnte die Tagesthemen einfach nicht aus Washington moderieren. Der Umzug war also eine berufliche Entscheidung. Wir schauen nicht mit Wehmut zurück.
Das Interview führten Birte Ohlmann und Lina Sulzbacher