Nach ein paar Jahren Studium an der Leuphana glaubt man bereits, alles in Lüneburg gesehen zu haben, doch dann hört man plötzlich von einem Kloster – höchste Zeit für einen Besuch.
„Kloster“ – allein der Begriff ruft bei den meisten Menschen abstoßende Assoziationen an verstaubte Gebäude und Bücher, versteinerte Enthaltsamkeit sowie versteifte Strukturen hervor – bis man das 1172 gegründete Kloster Lüne besucht. Etwas außerhalb des Stadtzentrums, hinter dem Filmpalast, in Richtung des Tierheims liegt ein idyllischer Fleck gelebter Geschichte. Als eines der ältesten Sehenswürdigkeiten Lüneburgs wird es von vielen Studierenden jedoch kaum wahrgenommen – verständlich, denn wer geht schon gern ins Kloster? Aber warum denn eigentlich nicht?!
Zwischen der Äbtissin und Gott liegt nicht so viel.
Bereits beim Betreten des ausladenden, begrünten Grundstücks, scheint das rastlose Alltags-Gedankenchaos am Tor wie ein Hund vor dem Supermarkt abgegeben worden zu sein. Es scheint der Inbegriff der Ruhe und Einklang zu sein: Überall grünt, blüht und rankt es liebevoll arrangiert vor sich hin. Im Inneren des Hauptgebäudes plätschert ein gotischer Brunnen seit über 600 Jahren – ohne Elektrizität. Als würde er ununterbrochen von vergangenen Zeiten erzählen, ist er im gesamten Gebäude zu hören und begleitet die Konventualinnen tagtäglich. „Konventualinnen?!“ Ja, richtig gelesen. Im Kloster Lüne wohnen keine Nonnen, sondern Konventualinnen, da sie der evangelischen Kirche angehören. Ihnen steht die (unfassbar warmherzige und freundliche) Äbtissin Reinhild von der Goltz vor – quasi die Kloster-Chefin. Rechtsaufsicht und Haushalt sind zwar der Klosterkammer Hannover zugeschrieben, doch hat die Äbtissin die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis inne. Daher sagt man im Kloster Lüne, dass zwischen der Äbtissin und Gott nicht so viel liegt.
Ein Wechselspiel von Tradition und Moderne
Als katholisches Benediktinerinnen-Kloster gegründet, 200 Jahre später abgebrannt und 1711 in ein evangelisches Damenstift umgewandelt, dient das Kloster Lüne heute immer wieder als Kulisse für Filmproduktionen. Außerdem beinhaltet es ein Textilmuseum mit vielen wertvollen Kunstschätzen aus den vergangenen Jahrhunderten sowie einer Weberei. Im Kloster-Café wird außerdem das soziale Engagement der Konventualinnen deutlich. Hier haben Menschen, die auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt abgelehnt oder diskriminiert wurden, ihren Platz gefunden. Es wird deutlich: Das Kloster Lüne ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Kultur. Es strahlt Offenheit aus und ist stets bemüht den Anschluss an Neuzeit zu finden sowie zu halten. Zwar leben die Bewohnerinnen die christlichen Traditionen mit sämtlichen Vorschriften, lockern diese jedoch auch bei Bedarf. Nicht nehmen lassen sich die Konventualinnen jedoch ihre ökumenische Vesper und den Gottesdienst, bei dem sie in der klostereigenen Kirche über der Gemeinde sitzen. Dabei hat die Äbtissin ihren Platz auf einem erhöhten Stuhl in der Mitte – die Konventualinnen sind geordnet nach ihrer Einführung links und rechts neben ihr positioniert. Das bedeutet: Je länger eine Konventualin bereits im Kloster lebt, desto näher darf sie an der Äbtissin sitzen. Der auf der Empore zu findende Nonnenchor wird zudem für die Stundengebete genutzt. Die Orgelempore befindet sich jedoch an einem ungewöhnlichen Platz nahe dem Altar, da die früheren Konventualinnen mit konsequenter Willensstärke ihren Nonnenchor verteidigten. Bis heute werden im Kloster Lüne die Glocken von Hand geläutet – wobei es einen Unterschied zwischen dem Schlagen und dem Läuten der Glocken gibt. Um 8, 11 und 18 Uhr wird die Glocke mit jeweils 27 Schlägen geschlagen (d.h. an einer Seite geschlagen, Läuten hingegen wäre an zwei gegenüberliegenden).
Die Feministinnen vom Kloster Lüne
In der Reformationszeit läuteten die damaligen Nonnen sogar Sturm als Wechselspiel der Reaktion des Herzogs zu der Aktion der Frauen, die mit ihm in einem großen Konflikt standen. Wenn man durch die alten Gemäuer geht, wird das Gefühl erweckt, dass die Bewohnerinnen der vergangenen Jahrhunderte immer noch da sind, denn die Räume wurden von ihnen geprägt sowie von ihren Nachfolgerinnen stets penibel gepflegt. Des Weiteren bemühen sich die Konventualinnen stets überall für frische Blumen zu sorgen, um das Leben in den Räumen zu erhalten. Sie lassen die Tradition moderner und fortschrittlicher Frauen weiterleben und beziehen neue Entwicklungen mit ein – so haben sie sich auch gegen den Besuch des NDR Fernsehens für die Sendung „Klosterküche“ gewehrt, da sie als Frauen nicht nur auf das Kochen reduziert werden wollten. Schließlich waren sie doch überzeugt und begeistert von der Möglichkeit, ihr Kloster und ihren Lebensalltag zeigen zu können. Dennoch: Das Kloster Lüne scheint seit jeher eine Feministinnen-Hochburg zu sein! Das hat uns bei unserem Besuch wohl am meisten überrascht – ebenso wie die offene und liebevolle Atmosphäre, der pro Saison mehr als 20.000 Gäste zuteil wird.
Von April bis Oktober finden Führungen durch den noch heute nahezu vollständig erhaltenen Gebäudekomplex statt – auch auf Englisch! Aber Achtung: Bleibt während der Führung lieber bei der jeweiligen Konventualin, im Kloster Lüne herrscht akute Gefahr, sich zu verlaufen (auch für die Bewohnerinnen selbst)!
Titelbild: Hier hatten die frühen Konventualinnen ihre Kammern. / Foto: Lena Schöning