Chromatics – Kill for Love

Eine Reise bis ans Ende der Nacht – Chromatics vertonen den Puls der Großstadt neu.

Eine Fahrt durch New York bei Nacht. Abwesende Gestalten geistern durch funkelnde Gassen und hinter den schmierigen Fenstern der Bars und Clubs zuckt das Licht über die schwarzen Theken. Betrunken und zeitlos schwimmt man über den Asphalt und aus seinem Portemonnaie kramt man ein altes, mitgewaschenes Foto mit zu starken Rot- und Blautönen hervor. Ein gefrorener und dennoch pulsierender Moment auf der wild wirbelnden Achse ausgeblichener Erinnerungen. Mit „Kill for Love“ bringen Chromatics ein 90-minütiges Album auf den Markt. Rauchig und warm schweben die Synthesizer-Klangteppiche knapp unterhalb der Stimme von Ruth Radelet , die knapp an der Grenze zwischen Wach- und Traumzustand über Ängste und Sehnsüchte singt.

Die heisere und dunstige Instrumentalisierung der Band um Johnny Jewel zitiert dabei das Vintage-Gefühl der 80er und ähnelt darin zeitgenössischen Bands wie M83 oder Destroyer. Abgebrannt wird hier kein Lo-Fi Feuerwerk, sondern ein langsamer Schwelbrand unterhalb einer Metropole, dessen tanzbare Rhythmen langsam in Trance an die Oberfläche zittern. Jewel veröffentlichte zuletzt auf seinem Label Italians do it better das ebenfalls sehr empfehlenswerte Konzeptalbum „Themes for an imaginary film“. Auch hier breitet er das Panorama eines Mulholland Drive aus, ein musikalisches Meisterstück, welches durch die Abwesenheit des Menschen glänzt und ein grobkörniges und nostalgisches Knistern vor dem inneren Auge heraufbeschwört. Überhaupt haben wir hier Musik, die von ihren Bildern lebt, von ihrem suggestiven Sog. Manch einer mag behaupten, dass wir es hier mit Popmusik, ja sogar Dance-Pop zu tun haben, doch hier liegt das beinahe erotische in den Songs von „Kill for Love“. Hinter dem Vertrauten steckt hier das Ungesagte, das Fremde und das Verborgene. Hier bekommen wir keine Postkarte einer Stadt geschickt, sondern einen Trip durch die Eingeweide einer tanzenden Metropole.

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Autor: Matthias Jessen