Poetry Slam ist in aller Munde. Eine Form von literarischem Wettbewerb, bei dem „Slammer“ ihre selbstgeschriebenen Texte in einem gesetzten Zeitrahmen einem Publikum präsentieren, das diese bewertet und einen Sieger kürt. Wer in Lüneburg bereits einem solchen Spektakel beigewohnt hat, der wird wohl auch an David Friedrich nicht vorbeigekommen sein – der 25-jährige moderiert die Slams, die regelmäßig im Salon Hansen oder auch in der Uni stattfinden. Ein Einblick in das Leben eines Poetry Slammers.
David Friedrich flitzt um die Ecke in der Hafencity, die Kopfhörer noch in den Ohren, 30 Minuten zu spät. Gerade noch beruflich unterwegs, ist er trotzdem bereit ein Interview zu geben. „Eigentlich müsste ich an meiner Hausarbeit schreiben, so komme ich gerade ganz gut drum herum und muss nicht gleich damit anfangen.“ Eine Situation, die wohl jeder Studierende kennt – im Gegensatz zu Davids eher ungewöhnlichem Studienfach. Denn David studiert „Kulturen und Sprachen des Vorderen Orients“, Schwerpunkt Iranistik. Ein Interessenstudium. 2010 war es vor allem seine Faszination für die Region, aber auch Thilo Sarrazin, die dem Wahlhamburger genügend politische Argumente für die Entscheidung gaben.
Dass der große dunkelhaarige Mann neben seinem Studium vor allem mit Sprache arbeitet, merkt man sofort. Ein kleines Stichwort reicht um ihn zum Erzählen zu bringen. „Sagen wir mal so: ich bin nicht introvertiert. Und ich bin auch nicht auf den Mund gefallen.“
Seit gut zehn Jahren ist David Teil der wachsenden Poetry Slam Szene. „Aber das ist keine Szene, das ist eine Familie. Es gibt ein großes Vertrauen, großen Rückhalt, alles wird offen miteinander diskutiert.“ Dass er slammt, hängt er sonst nicht an die große Glocke. „Das ist jetzt keine Sache, mit der man sofort hausieren geht.“ Und es wird auch nicht unbedingt nur positiv aufgenommen, was er macht. „Ich bleibe lieber anonym. In der Uni bin ich eher Einzelgänger. Da fühle ich mich wohler mit.“
Viele Menschen kennen und mögen seine Texte trotzdem. Texte über sein Studium, alte Freundschaften, über Curling und Kriege. Der gebürtige Münchner beobachtet gerne, denkt über gesellschaftliche Phänomene und politische Entwicklungen, auch mal über ganz banale Dinge nach und hört viel Musik. Hip Hop, Jazz, Soul. Französische Chansons. Das alles inspiriert ihn. „Der kreative Prozess ist eigentlich ständig da. Ich komme schon manchmal nicht dazu, die Sachen niederzuschreiben, die in meinem Kopf herumwirren, aber da passiert ständig was.“ Schreiben kann er überall. Im Zug. Auf dem Klo. Aber auch draußen, in der Bibliothek oder an seinem Küchentisch. Das meiste schreibt David nicht für die Bühne. Ab und an ertappt er sich dann aber doch bei dem Gedanken, dass etwas vielleicht doch eine gute Idee für den Slam ist. Ohne es wirklich zu wollen macht er dann einen wettkampffähigen Text daraus. Einen Text, der in 5 Minuten passt, der Effekte hat, der Zuhörer überzeugen kann. „Am meisten stolz bin ich aber auf die Texte, die ohne all das auskommen. Texte ohne Effekthascherei. Die Texte, bei denen ich komplett echt war.“, erklärt er.
Deswegen bringt David auch gerne mal etwas auf die Bühne, das gar nicht dafür gedacht war, das nicht unbedingt in die Stimmung passt. Er beobachtet das Publikum, sieht, wie es reagiert, worüber es lacht, was es annimmt. Dann entscheidet er sich für einen Text. Er setzt dem Publikum auch mal das vor, was er gerade für richtig hält, was ihm gefällt. In der Hoffnung, dass vielleicht einige etwas von dem Abend mitnehmen. „Manchmal verträgt der Abend einfach ein bisschen Message.“ Slammer wie David kämpfen für gewisse Werte und Grundsätze, es geht um Texte und deren Aussagen. Positives Feedback von Slammerkollegen und Freunden ist für David das größte Lob. Als Dalibor, „der ungekrönte König des deutschen Poetry Slams“, seinen neuesten Text als seinen besten bezeichnete, wurden Davids Knie weich.
Vieles hat er sich von Michel Abdollahi abgeschaut, für ihn ein Mentor und sehr guter Freund. Auf der Bühne wirkt David vollkommen selbstbewusst. Es gibt aber auch die Momente, in denen er tierisch nervös ist. In seiner Anfangszeit hat er sich öfter Gedanken gemacht: in welcher Hand er das Mikrofon hält, welche Körperhaltungen seltsam aussehen oder ob es schlecht war, vor dem Auftritt ein Bier zu trinken. Heute siegt am Ende aber die Routine. „Sobald ich auf die Bühne gehe, ist alles in Ordnung. Da bist du dann souverän und hast alles unter Kontrolle. Du musst dich wohlfühlen. Dann bist du automatisch nicht nervös.“
Etwa 15 Abende im Monat steht David auf den Bühnen der Republik, manchmal öfter. Das doch oft kräftezehrende Touren hat er zurückgeschraubt. Fünf, sechs Abende monatlich ist er außerhalb Hamburgs oder Norddeutschlands unterwegs.
David tritt aber nicht nur als Slampoet auf. „Das Berufsfeld ist viel mehr als Poetryslam.“ David moderiert Kleinkunstveranstaltungen oder Firmenevents, wird für solche auch als kulturelles Rahmenprogramm angefragt. Er schreibt Auftragsarbeiten für Veranstalter, die sich einen Text für ihre Weihnachtsfeier in der Firma wünschen, ist bei der Lesebühne „Randale und Liebe“ dabei oder tritt mit seinem Soloprogramm auf. Dabei ist es ihm wichtig, trotz zahlreicher Anfragen immer mehr Künstler als Dienstleister zu bleiben. „Es ist ganz gut nicht daran gebunden zu sein, alles für jeden machen zu müssen.“
Außerdem gibt er Rhetorik- und Slamworkshops an Schulen oder für Institutionen, die Kinder- und Jugendarbeit machen. Ein ordentliches Arbeitspensum. „Meine Freunde sagen alle, dass ich viel zu viel arbeite.“ Denn als wäre das nicht schon genug, ist David 20 Stunden in der Woche als sozialpädagogischer Mitarbeiter im Verein „Zweikampfverhalten“ eingespannt. Dort leitet er soziale Gruppenarbeit zur Gewalt- und Konfliktprävention, betreut Kinder, Jugendliche und Geflüchtete, macht mit ihnen Teamsport. Das ist tough, für David aber Ausgleich zum Touren und Slamen und durch die Klientel, häufig mit Migrationshintergrund, auch eine interessante Möglichkeit, seine Kompetenzen als Orient- und Erziehungswissenschaftler in der Praxis anzuwenden.
Zeit für Muße muss er sich freischaufeln. Andererseits ist auch ein Teil seiner Freizeit zum Beruf geworden. „Wenn man seit 10 Jahren auf der Bühne steht, ist es dann doch Arbeit. Aber eine sehr, sehr schöne Arbeit, die mir viel Spaß macht.“
Um runterzukommen, macht David Sport. Manchmal geht er in die Sauna. Da kriegt er den Kopf frei, ganz klassisch. Ansonsten sind es Freunde, die ihn auffangen und ablenken. „Mit Freunden Zeit zu verbringen ist das Wirksamste. Mein Mitbewohner ist ein super cooler Typ. Das Beste, was einem passieren kann ist ein Mitbewohner der sagt: „So, setz dich erst mal hin, ich mach dir einen Kaffee oder ich schenk dir ein Glas Whiskey ein, je nach Situation und Tageszeit.“
Die Kraft braucht er. Denn David hat noch einiges vor. Statt an der geplanten Rapperkarriere aus Teenagertagen feilt er an den nächsten Etappenzielen: der Ausarbeitung seiner Soloshow, einem neuen Buch und langfristig am nächsten Schritt seiner Moderatortätigkeit. Da ist er geduldig. Genau wie beim Poetry Slam. Er hat keine Angst davor, dass es größer wird. „Es gibt einen schönen Spruch: Der Poetryslam ist nicht im Kommerz angekommen, der Kommerz schreit nach Poesie. Das sehe ich exakt genauso.“ Den ersten Slam in der Elbphilharmonie sieht David kommen. Und er freut sich darauf. Ob als Slammer oder Moderator: Auch dort wird David mit Sicherheit mitmischen.
Autorin: Sophie Godding