Zeit für Veränderung

Das Theater Lüneburg stellt seine Pläne für die nächste Spielzeit vor. Auf dem Programm: ein achttägiges Festival zu Spielzeiteröffnung, Geschichten über Momente der Unruhe und mehr Inklusion in den Spielstätten

„Es geht ja um was. Es geht um ziemlich viel“, sagt der zukünftige Intendant Friedrich von Mansberg lakonisch, als er am Freitag, dem 26.04., im Foyer des Theaters die Programmvorstellung für die nächste Spielzeit eröffnet. In diesen von Kriegen und Krisen gebeutelten Zeiten muss das Theater, auch das Lüneburger, nach Positionen suchen, um der Welt ins Gesicht zu sehen. Zugleich bedeutet dies eine Selbstbehauptung der Kunst, die umso wichtiger wird, je weniger der Sinn nach ‚dem Schönen‘ steht. Beziehungsweise, das ist den Lüneburger Theatermacher*innen und -schauer*innen längst bewusst, wenn für das Theater Geld fehlt. Um mehr als neue Stücke geht es also, „es geht um eine Haltung“, so von Mansberg. Unterhaltung darf dabei natürlich auch nicht fehlen.

Der Auftakt der nächsten Spielzeit wird in Lüneburg nicht nur mit einem Fest, sondern einem Festival gefeiert werden, über acht Tage, vom 14. Bis 22. September. Zum „lebendigsten Begegnungsort der Region“, so die utopische Ankündigung, soll das Theater in dieser Woche werden; im besten Fall schwingt diese Utopie natürlich im ganzen folgenden Jahr nach. Neben drei Premieren aus allen drei Sparten wird es Workshops für junge Menschen sowie zwei Konzerte geben und die große Bühne wird einmalig für einen Swing-Tanzabend umfunktioniert.

Mit zwei neuen Stücken, dem Musical Grand Hotel und dem Schauspiel Die Blechtrommel (die sich beide ein Bühnenbild teilen werden), bringt das Theater Geschichten auf die Bühne, die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts spielen oder dort ihren Ausgang nehmen. Eine Auseinandersetzung mit den Ursprüngen und Motiven unserer Gegenwart in dieser modernen Antike bleibt, zu erwarten. Restless dagegen, die erste Premiere in der Sparte Tanz, ist eine Neuentwicklung, in der nach einem Ausdruck für das Gefühl der Rastlosigkeit gesucht wird. Überschrieben hat das Theater die neue Spielzeit mit dem Motto „Die Zukunft ist immer anders“. Ein Satz, an dem man sich schon mal gedanklich verrenken kann. Wie eine mutige Behauptung gegen reaktionäres Verhalten kann man ihn lesen, gegen das Verstecken hinter der eigenen Geschichte, deren Lauf nie einfach so vorgezeichnet war, und noch nie ohne die Figur des Anderen oder der Anderen auskam. Was er wirklich bedeutet, kann man wahrscheinlich nur praktisch erfahren, zum Beispiel im Theater.

Ebenfalls auf dem Programm stehen unter anderem: die Schauspiele Corpus Delicti (nach Juli Zeh), Don Karlos (Friedrich Schiller) und Kunst (Yasmina Reza), welches in der Kunstsammlung Henning J. Claassen aufgeführt wird; das Musical Love Never Dies (die Fortsetzung des Phantoms der Oper) und die Verdi-Oper La Traviata (mit der Titel-Zusatz Eine Auferstehung), in der, so die Ankündigung, dem Thema Sexarbeit in seinen aktuellen Kontroversen Rechnung getragen werden wird (Inszenierung: Kerstin Steeb). Im Tanztheater wird das Stück Gefährliche Liebschaften, basierend auf dem Roman von Choderlos de Laclos, neu auf die Bühne gebracht, außerdem wird ein zweiter Teil des gefeierten Formats Tanzwelten, einer Collage von zeitgenössischen und klassischen Choreografien. Für das Kindertheater (ab 8) wurde das Stück Der fabelhafte Die (Sergej Gößner) ausgewählt, für die Junge Bühne (ab 14, und sicher nicht nur für Jugendliche sehenswert) Die zweite Sonne (Svenja Viola Bungarten) – eine Dystopie, aber auch ein „versöhnlicher und enorm komischer“ Text.

Einige Personalwechsel, nicht nur den der Intendanz, welche Hajo Fouquet nach 14 Jahren abgibt und an Friedrich von Mansberg überträgt, gibt es zur nächsten Spielzeit in der Theaterleitung: Hilke Bultmann wird neue Chefdramaturgin, Clara Pauline Schnee (bisher Dramaturgie-Assistentin an den Landesbühnen Sachsen) wird die Sparte Musiktheater führen, als neuer technischer Direktor tritt Malte Schurau an und die Abteilung Theaterpädagogik, die ab Herbst „Vermittlung“ heißt, weil darunter viel mehr und ganz anderes verstanden sein will als erzieherische und erklärende Anliegen, übernimmt Katja Meier.

In diesem Bereich wird es in der nächsten Spielzeit unter anderem das MusicalLabor (womit das Studi-Musical in Kooperation mit dem Musikzentrum der Universität „neue Wege“ sucht) sowie das TheaterLabor und den Generationenclub für Theaterbegeisterte aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft zum Mitspielen geben. Die neuen Namen MusicalLabor und TheaterLabor, sie kommen einem von anderen künstlerischen Praxen mittlerweile schon bekannt vor, erzählen bereits so viel: dass es hier um Räume für das künstlerische Experiment gehen wird und seinem Potential, in die Wirklichkeit einzugreifen. Das ist zumindest mal eine Behauptung, und so viel steht fest: das Spiel mit Behauptungen ist, nicht nur in der kommenden Spielzeit, eine Kernkompetenz des Theaters.

Mit solchen Angeboten und Kooperationen zu anderen Akteuren und Spielstätten versucht das Theater Lüneburg, vielleicht mehr denn je, über das Theaterhaus hinaus in die Gesellschaft zu wirken. Aber auch genau dort, an der Architektur des Theaterhauses, wird es zumindest kleine Veränderungen für mehr Inklusion im Theater geben: die Spielstätte T3 wird saniert und barrierefreie Sitzplätze eingebaut; im Großen Haus wird es an vier Abenden Aufführungen mit Audiodeskription geben.

Mit einem „Sommernachtstraum“ im Kurpark – nicht dem Shakespeare’schen, aber einem, bei dem es doch wieder darum geht, Fremdlinge (auch Touristen) in die Kunstwelten zu locken – soll die Spielzeit 2025 fulminant zu Ende gehen. Für die Lüneburger Theatermacher bleibt zu hoffen, dass sie bei dem ambitionierten Programm der Spielzeit noch genug Energie für diesen Abschluss haben.


Foto: Violaine Kozycki

Judith Scheffel

Schreibt über Mode, Theater, Kunst und Alltag. Kritik ist ihr wichtig, denn was einem wichtig ist, verdient Kritik.

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