Wenn man dem Deutschlandradio Kultur glauben kann, dann Kerstin Hensel, Autorin und „Poetik-Professorin“. Die Hüterin der deutschen Sprachkultur zeigt sich erschüttert im Angesichte des gar unzumutbaren Gender-Mainstreamings, dass man der Gesellschaft und auch ihr aufzuzwingen versuche. Dabei hat sie doch sogar Freunde, die homosexuell sind – was immer das auch damit zu tun hat.
Frau Hensel (die sicher sehr viel Wert darauf legt, dass man sie auch klar und deutlich als Frau bezeichnet) spricht in ihrem Artikel viele Dinge an, die eigentlich nur zeigen, dass sie sich kaum bis gar nicht mit der Gender- und Queerbewegung auseinandergesetzt hat und das ihr Bild von Gleichberechtigung auf den Grundideen eines 30 Jahre alten Feminismus beruht, der so längst nicht mehr haltbar ist. Wahllos wettert sie nicht nur gegen die bösen Menschen, die ihr den Titel Frau wegnehmen wollen, sondern auch gegen Veganer, Sprachsäuberer, Anti-Aufklärer und wen auch immer sie noch unter den schönen Begriff „Entsagungs-Fanatiker“ packen möchte. Das ist aber okay, immerhin lebt sie ja unter Menschen „die unterschiedlicher nicht sein können“ und akzeptiert diese, obwohl sie so „unnormal“ sind.
Hier offenbart sich bereits der grundlegende Denkfehler der Autorin. Während die Gender- und Queerbewegung sich verzweifelt darum bemüht alle Menschen als Menschen wahrzunehmen, ohne sie in Kategorien jedweder Art zu pressen (übrigens auch in Bezug auf Ethnie oder sexuelle Orientierung), wird Hensel nicht müde in Dualismen zu argumentieren. „Hell- und Dunkelhäutige“, „Hermen und Heten“, „Säufern und Saubermännern“. Ihr ist wichtig, dass das Bizarre akzeptiert wird, weil es nicht das Normale sei. Doch bereits die Annahme, dass etwas „Normales“ überhaupt in Reinform existiere und jede Andersartigkeit eine Form von glitzerndem Paradiesvogeldasein bedeute, das nur aus seiner bezaubernden Freakigkeit heraus eine Daseinsberechtigung genießt, ist schlichtweg diskriminierend.
Wer es bisher noch nicht gemerkt hat: ich gehöre zu dem kriegerischen „Amazonenheer“, vor dem Hensel uns zu warnen versucht. Sie wirft den Befürwortern der Gender- und Queerbewegung vor, einer „radikalen“ Ideologie anzuhängen, die Hensels eigene Freunde-Sammlung aus Freaks, Punks und Paradisvögeln doch tatsächlich einfach nur zu Menschen machen will. Wir sollten uns was schämen! Allein dafür, dass Hensel den Versuch der Gender- und Queerbewegung, Gleichheit und Freiheit für alle zu ermöglichen (wie auch immer sie sich selbst sehen und definieren oder eben auch nicht definieren möchten), als Angriff auf die wunderbare Vielfalt in unserer Gesellschaft versteht, lässt mich im Strahl kotzen. Wenn mir die Sprache fehlt, um auszudrücken, wer ich bin, weil meine Gesellschaft nur in zwei Kategorien denkt, von denen ich mich zu keiner zugehörig fühle, ist das dann nicht viel eher eine Unterdrückung von Vielfalt und Freiheit? Wer das nicht versteht, zeigt nur, dass er nicht von dem Problem betroffen ist und deswegen einfach nicht mitreden kann – Sorry, Frau Hensel!
Der Höhepunkt jedoch, für mich ganz persönlich, ist ihre Erklärung zum bereits herbeigeführten Ende des Patriarchats – zumindest verstehe ich das so, wenn sie behauptet „der Feminismus hat sein Hauptwerk getan“. Dass diese Feststellung schlichtweg Blödsinn ist, sollte sie eigentlich wissen, wenn ihr die Zusatzbezeichnung „Frau“ so unheimlich wichtig ist. Übrigens hat auch die Bewegung für die Rechte der Homo- und Transsexuellen laut Hensel jetzt Feierabend: „Gab es für Homo- und Transsexuelle jemals so viel Verständnis?“ Ja, Homosexuelle müssen heute (in Deutschland) nicht mehr fürchten für ihre Liebe ins Gefängnis zu gehen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie nicht ständigen Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt wären.
Vielleicht sehe ich das aber auch alles falsch, als verwöhntes und verwirrtes Wohlstandskind. Wahllos liebe ich von Mensch zu Mensch, nicht weil mich die Geschichte und die Eigenschaften eines Menschen mehr interessieren als die Anrede in seinem Briefkopf, sondern vor lauter Angst vor dem Normalo-Dasein. Ja, in der Tat liebe Frau Hensel, ich habe Angst davor normal zu sein. Normale Menschen denken nämlich gern, dass ihre Art zu leben das Standardmodell ist und alle, die davon abweichen, seien eben „unnormal“, Launen der Natur, noch nicht bereit ihre eigene Verwirrung zu erkennen oder einfach ganz verrückte Typen. Ich hasse das Wort normal. Es suggeriert, dass es eine richtige und eine falsche Art zu leben gibt und dass es erstrebenswert wäre nach den Regeln zu spielen oder sich bewusst außerhalb dieser zu positionieren.
Ich sage, schafft die Regeln ab! Scheiß drauf, ob ProfessorInnen sich persönlich beleidigt fühlen, weil wir sie zwingen uns als StudentInnen anzusprechen und sich einzugestehen, dass die meisten Dramatiker und Dichter tatsächlich Sexisten sind. Hören Sie doch einfach auf uns zu sagen, wer wir sind und warum wir falsch liegen mit unserem Bedürfnis nach der Freiheit, zu leben, wie und als wer wir eben wollen und wir versprechen im Gegenzug keinen Bürgerkrieg anzuzetteln. Die Gesellschaft spalten nämlich nicht wir, sondern Sie, wenn sie in Ihren bescheuerten Dualismen denken.
Mit besten Grüßen,
eine Amazone
Autorin: Anna Christin Koch