Warum es sauschwer ist, nicht schön zu sein

Wer viel Zeit mit Genderstudies, Produktionsmethoden in der Mode- und Beautywelt und Kapitalismuskritik verbringt, behauptet gern von sich Schönheitsnormen abzulehnen. Trotzdem ist es oft schwerer sich dem zu entziehen, als man glaubt.

Zurechtfinden im Modewald. / (C) Stocksnap.io
Zurechtfinden im Modewald. / (C) Stocksnap.io

„Schöne Hose! Steht dir gut.“

Mir gefällt J.s Stil. Sie sieht so aus, wie die meisten von uns es gerne würden: So, als ob sie eigentlich keinen Gedanken an Äußerlichkeiten verschwendet und trotzdem intuitiv von ihrer minimalistischen Kleiderstange zieht, was am besten aussieht. Einfache Second-Hand Jeans, dunkles T-Shirt, Stoffschuhe, Nasenpiercing, ungeschminkt und absolut flawless. Manchmal beneide ich Personen, die das können. Sich auf Weniges reduzieren, das ihnen dann auch noch perfekt steht.

Mein Stil pendelt dagegen irgendwo zwischen Schlabberlook und „zu gewollt“-Auftritten, jedenfalls, wenn ich der einen oder anderen Stimme in meinem Umfeld glauben darf. Da fallen Sätze wie „Das T-Shirt solltest du direkt wegschmeißen!“, „Du könntest so viel mehr Bein zeigen“ oder „Manchmal gibst du dir Mühe und dann sieht es direkt zu gewollt aus“. Da kann ich nur sagen: JA WAS DENN NUN?

Was zieh ich an, was zieh ich an, damit man mich gut einordnen kann? / (c) StockSnap.io
Was zieh ich an, was zieh ich an, damit man mich gut einordnen kann? / (c) StockSnap.io

Das Problem mit unserer Kleidung, unseren Frisuren und unserem Make Up ist, dass selbst, wenn sie nicht dem Mainstream entsprechen, uns immer noch in Kategorien einordbar machen. Oder bin ich die Einzige, deren Hirn beim Anblick schlabbriger Print-Hosen in der Lüneburger Innenstadt schreit: „UWI! UWI!“ ?

Wer sich nicht entsprechend seinen Überzeugungen, Studienrichtungen oder seiner Herkunft anzieht, stiftet Verwirrung, die unreflektiert bleibt, weil keiner von uns gerne zugeben möchte, Menschen anhand ihrer Polohemden zu beurteilen. Aber wir tun es. Und wenn es nur ist, um Zugehörigkeit zu der einzigen anderen Frau auf der Party zu empfinden, die sich für schwarzen Lippenstift entschieden hat.

Was interessiert dich mein Outfit?!
Was interessiert dich mein Outfit?! / (c) StockSnap.io

Ich habe das Gefühl diese Einordnung wird noch gravierender, wenn man dem weiblichen Spektrum zugeordnet wird. Weibliche Körper gehören der Öffentlichkeit. Die „Dicke“ lässt sich gehen, die „Dünne“ magert sich ab, um schön zu sein, die mit Make Up übertreibt es, die ohne ist faul. Und bitte alle schön in ihrer Kategorie bleiben, denn, wenn ich als nicht-Make-Up Junkie mit einem knallroten Lippenstift auftrete, muss das doch eine bestimmte Aussage transportieren. Vielleicht hatte ich einen guten Tag? Oder eher einen schlechten? Oder will ich einfach nur gefickt werden?

Es ärgert mich, dass irgendjemand meint mir sagen zu müssen, was ich tragen darf und was nicht. Mir ist egal, ob der Pulli schlabberig ist – es ist verdammt nochmal Wochenende und ich ziehe mit Sicherheit kein Kleidchen an, nur damit sich andere an meinem Körper aufgeilen können, wenn ich ein Eis essen gehe. Ich trage Make Up auch nicht nur, weil heute diese Party ist, oder du Eyeliner sexy findest, sondern, weil mir heute einfach danach war. Und ob die Betonung meines Hinterns oder meiner Brüste besser ist, bleibt auch meine Entscheidung, vielen Dank.

(c) pixabay.com
Entzug – geht das überhaupt? (c) pixabay.com

Die Frage ist: Wie entziehe ich mich dem ständigen Urteil anderer? Es ist nicht möglich. Ich kann mich dem Mainstream verweigern, indem ich alles ablehne, was als „schön“ propagiert wird, aber damit würde ich mich genauso einem festen Regelwerk unterwerfen, das bestimmt, was ich tragen darf und was nicht. Ich will die Freiheit haben, mich sowohl in meiner Jogginghose, als auch in meinem Jumpsuit mit tiefem Ausschnitt sexy zu finden – denn ich fühle mich tatsächlich in BEIDEM sexy.

Damit bleibt wohl nur, mich damit abzufinden, dass es so manche Freunde und Freundinnen verwirrt, wenn ich mir mal „Mühe gebe“ und mal bequem unterwegs bin. Aber nein! Auch das sollte ich nicht tun. Ich sollte mich nicht damit abfinden, dass andere sich dazu berechtigt fühlen, darüber zu urteilen, womit ich mich wohlfühle.

Also werde ich in die Konfrontation gehen. Der nächste, der mir Stilberatung geben will, bekommt einen Gratis-Tipp: Hör auf, dich in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen. Die kommen schon ohne dich ganz gut klar.

Autorin: Anna Christin Koch