Von einem, der auszog, das Singen zu lernen

Der Musicaldarsteller Matthias Stockinger im Porträt. In Lüneburg kann man noch bis Ende Juni „Aida“ bestaunen. Nein, nicht das Schiff. Das Musical! 1998 von Elton John und Tim Rice in Anlehnung an Verdis Oper geschrieben, feierte das Stück am 20. November 2010 Premiere in Lüneburg und füllt seither regelmäßig den Theatersaal. „Aida“ erzählt die Geschichte einer Liebe, die nicht sein darf und doch so stark ist, dass sie selbst den Tod überdauert: Der ägyptische Kriegsheld Radames, eigentlich der Tochter des Pharaos versprochen, verliebt sich in Aida, Tochter des nubischen Königs, gegen den Ägypten Krieg führt. In den Hauptrollen: Yaroslava Romanova als Aida und Matthias Stockinger als Radames. Letzeren treffe ich heute zum Interview.

Nach der Vorstellung stehe ich am Bühneneingang und warte auf ihn. Ich komme mir vor wie ein Groupie, ein unangenehmes und zugleich aufregendes Gefühl. Ich bin nervös, erwarte insgeheim einen exzentrischen Künstler, der jetzt überhaupt keine Lust mehr auf ein Interview hat. Man hegt und pflegt ja schließlich seine Vorurteile. Aus der Tür tritt jedoch ein völlig entspannter, sympathischer junger Mann in Jeans und Pullover, der sich kurz suchend umschaut und dann lächelnd auf mich zukommt. Wir gehen zum Italiener um die Ecke und treffen auf einige ältere Damen, die sofort anfangen, aufgeregt zu tuscheln. Ich bin völlig irritiert, aber Matthias grinst nur und ruft ihnen zu: „Ja, ich bins wirklich!“ Dann beginnt er zu erzählen. „Ich habe immer schon Musik gemacht, in einer Schülerband gesungen und getanzt. Spätestens nach meinen ersten Schulaufführungen war klar: Ich will Musicaldarsteller werden.“ Mit diesem Ziel im Kopf, ging Matthias mit gerade einmal 18 Jahren an die Stage School nach Hamburg. Nach wenigen Monaten wurde ihm jedoch klar, dass dies nicht die Ausbildung war, die er sich wünschte: zu unpersönlich, zu wenige Herausforderungen. Nach einem Job in einer Medikamentenfabrik und der kurzzeitigen Überlegung, Logopädie und Physiotherapie zu studieren, entschloss sich der Saarländer, seinen Traum noch nicht aufzugeben, und wechselte an die Folkwang Universität der Künste in Essen. Nach dem Studium ging es dann richtig los: Engagements in Berlin, Stuttgart, der Schweiz, usw. folgten, an einen festen Wohnsitz war nicht zu denken. Matthias lebte von Bühne zu Bühne. Ein aufregendes Leben, das der 28-Jährige auch heute noch genießt, auch, wenn er mittlerweile wieder eine Wohnung hat. Doch ein festes Umfeld oder gar eine eigene Familie ist in seinem Job so gut wie unmöglich. Deshalb ist es für Matthias nicht ausgeschlossen, der Bühne irgendwann den Rücken zu kehren und sich beruflich nochmal neu zu erfinden. Hier sieht er auch Parallelen zu seiner Rolle in Aida: „Radames ist die Härte antrainiert worden, er ist eigentlich sehr sensibel. So ist es doch bei den meisten. Man baut sich ein Schutzschild auf, aber wenn es wirklich um einen geschehen ist, fällt dieses schnell und man ist bereit, sein Leben umzukrempeln.“ So weit ist es aber zum Glück noch nicht. Der Saarländer mit dem herzlichen Lachen hat noch viel vor: Nachdem er als Graf Krolock in „Tanz der Vampire“ unter anderem in Stuttgart und Oberhausen bereits eine Traumrolle spielen durfte, ist ein weiteres großes Ziel ein Engagement bei „Phantom der Oper“. „Bei so einer Großproduktion mitzuspielen, ist nochmal etwas ganz anderes, als in einem relativ kleinen Theaterbetrieb wie Lüneburg zu arbeiten. Hier ist alles viel persönlicher, man kann Neues ausprobieren, während bei erprobten Stücken wie ‚Tanz der Vampire‘ jeder Schritt vorgegeben ist. Gerade deshalb ist so ein Engagement eine besondere Herausforderung“, erklärt Matthias. Seine nächste Station liegt aber erstmal im Allgäu, denn der 28-jährige wird bei „Ludwig 2“ wieder eine Hauptrolle spielen. Dem Vorwurf, Musicals könne man ja nicht ernst nehmen, stellt er grinsend die Frage gegenüber: „Hast du´s schon mal ausprobiert?“ Die meisten Stücke seien aus Vorlagen entstanden, die man durchaus hochkulturell nennen kann: „Das Phantom der Oper“, das als Roman bereits 1939 erschien oder eben „Aida“, im Original eine Oper von Giuseppe Verdi. Die Musicals jedoch, die nur noch aus Popsongs bestehen, stoßen bei Matthias nicht auf Begeisterung, auch wenn er ihnen sehr diplomatisch ihre Berechtigung zuspricht.

Matthias kommt aus einem kleinen Ort im Saarland. Dort ist er natürlich DER Star, viele begleiten seinen Weg von Anfang an und reisen ihm zu den Vorstellungen hinterher. Der 28-Jährige freut sich sehr über so viel Unterstützung. Ein wenig unheimlich ist ihm der Rummel aber schon, denn er fühlt sich überhaupt nicht wie ein Star. Vor allem seine Familie hilft ihm, nicht abzuheben und gibt ihm Rückhalt: „Ich bin ein totaler Familienmensch und besuche meine Eltern und Geschwister so oft wie möglich. Natürlich sind sie stolz auf mich und haben mich immer bestärkt, eine Extrawurst bekomme ich aber nicht. Für meine Schwester bin ich zum Beispiel immer noch ihr kleiner Bruder, und das ist auch gut so.“

Am Ende des Interviews ist der gar nicht exzentrische, dafür aber umso sympathischere Schauspieler ganz Gentleman, bezahlt mein Getränk und verabschiedet sich dann in seinen wohl verdienten Feierabend. Nebenbei lüftet er noch das, allerdings ziemlich unspektakuläre Geheimnis des Bühnenkusses: „Eigentlich ist das ein ganz normaler Kuss“. Auch ich mache mich auf den Heimweg, um ein Vorurteil ärmer, aber mit dem Vorsatz, demnächst mal wieder ein Musical zu sehen.

Von Laura König