Von E-mail zu E-mail

Von der Industrie- zur Informationsgesellschaft: der Siegeszug der Kommunikation

Kannst Du Dir ein Leben ohne Internet vorstellen? Wie sähe ein Tag, eine Woche oder ein Monat ohne E-Mails, Blogs oder „MyStudy“ aus? Würdest Du freiwillig auf Dein Handy oder Dein Telefon verzichten? Diese theoretischen Fragen sind bestimmt jedem von uns schon einmal durch den Kopf gegangen – mit dem Ergebnis, sie sofort wieder verworfen zu haben. Ein Alltag ohne „elektronischen Kram“ hieße nämlich gleichzeitig: ein Alltag ohne unmittelbare fernmündliche bzw. -schriftliche Kommunikation. Jene Kommunikation allerdings ist der Schlüsselbegriff unserer gegenwärtigen Gesellschaft.

 Wir wollen zunächst einen Schritt zurück gehen und uns auf das Parkett der Technik wagen: Sowohl im mykenischen Griechenland (um 1800 v. Chr.) als auch auf Zypern (um 1200 v. Chr.) wurde eine fein pulverisierte, angefeuchtete Glasmasse mit niedrigem Schmelzpunkt unter hoher Temperatur auf einen Metallgrund aufgeschmolzen und auf Goldplatten angewandt. Diese Methode erreichte ihren ersten Höhepunkt bei den Kelten, die das Verfahren über 1.200 Jahre in ihrem Kunsthandwerk anwendeten – bis 800 n. Chr. Ja, es handelt sich um: Email. Und eben nicht um E-Mail. Diese orthographisch identischen Begriffe sind zwei gänzlich verschiedenen Zeitepochen entnommen, haben scheinbar nichts miteinander zu tun und dennoch lassen sich inhaltliche Parallelen ableiten. Galt die anorganische Zusammensetzung Email in vielen Kulturen über Jahrhunderte hinweg als ein Luxusgut zur Herstellung von Schmuckstücken und Souvenirs, entwickelte sich das temperaturbeständige und säureresistente Material Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Alltagsprodukt. Emailiertes Eisen eroberte Haushalt und Fabrik, Technik und Werbung. In nahezu jedem Haushalt des letzten Jahrhunderts waren emailierte Waschgefäße und Öfen vorzufinden. Auch das Küchengeschirr war durch den Schutzüberzug vor Korrosion geschützt.

Eine ähnliche Entwicklungsgeschichte hat die E-Mail in viel kürzerer Zeit durchlaufen. Im Vergleich zu anderen technischen Entwicklungsgeschichten könnte man überspitzt behaupten, dass ihre Verbreitung fast genauso schnell ging wie ihre eigentliche Versanddauer. Auch sie wurde vom Luxus- und Nebenprodukt zu einem Massengut. 1971 versendete der Ingenieur Ray Tomlinson die erste E-Mail. Beide Computer standen zu diesem Zeitpunkt im gleichen Raum und diese neue Form der Nachrichtenübermittlung sollte lediglich einem internen Netzwerk dienen. Doch es sollte ganz anders kommen: das Arpanet (Advanced Research Projects Agency Network), das Tomlinson ursprünglich im Auftrag der US-Regierung mitentwickelte, war der Beginn einer weltumfassenden Revolution – mit seinem dezentralen Netzwerkkonzept war das Internet geboren. Tomlinson modifizierte sein E-Mail-Programm für das Arpanet und entnahm dem Zeichensatz seiner Schreibmaschine (Teletype 33) den uns heute bekannten „Klammeraffen“. Das „@“ bedeutet seit 1972 „bei“ („at“).

Kommunikation, also die Übermittlung von Botschaften, hat schon immer interpersonal stattgefunden. Beim Austausch von Zeichen steht der Mensch im Mittelpunkt, doch die zeitlichen Variablen haben sich verändert. Vom kommunikativen Austausch an der Feuerstelle über den Nachrichtentransport per Laufboten und Pferd bis hin zu Autos und Flugzeugen sind über eine Million Jahre Menschheitsgeschichte geschrieben worden. Aber vor allem die letzten 200 Jahre haben den Alltag stark verändert. Schon einige Stichpunkte reichen aus, um diesen Wandel zu skizzieren: Dampfmaschine, Eisenbahn, Stahl, Elektrotechnik, Automobil und Informationstechnik. Zeitgeschichtlich sind diese Begriffe eingebunden in den Wandel von der Agrar- zur Industrie- und hin zur Informationsgesellschaft. Auf diesem Weg spielten Transport, Massenkonsum und Mobilität eine entscheidende Rolle. Von 1800 bis heute lassen sich sechs Wellen der zyklischen Wirtschaftsentwicklung aufzeigen, die den Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft aufzeigen. Diese Wellen sind nach dem sowjetischen Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Kondratjeff (1892-1938) benannt, der erkannte, dass die kurzen und mittleren Konjunkturzyklen in marktwirtschaftlich geprägten Ländern von langen Konjunkturwellen überlagert werden. Zwei elementare Größen haben die Zyklen bestimmt: Energie (1. bis 4. Zyklus) und Information (5. und 6. Zyklus). Heute befinden wir uns in der Übergangsphase von der fünften zur sechsten Periode, in der Informationen, Vernetzung und Internationalität eine elementare Rolle spielen. Und worauf kann innerhalb dieser Prozesse auf keinen Fall verzichtet werden? Kommunikation! Arbeitnehmer müssen heute zunehmend flexibel und gleichzeitig fachkompetent sein, kooperativ und kreativ zusammenarbeiten, Teamfähigkeit und Toleranz aufweisen. Vor allem müssen sie Lern- und Einsatzbereitschaft zeigen. Und hier kommen Email und E-Mail wieder zusammen: Email rostet nicht und durch E-Mails rasten wir nicht. Ein Stillstand scheint kaum mehr möglich, wir sind pausenlos „auf Empfang“ und müssen aufpassen, nicht erschlagen zu werden – von der nächsten E-Mail, die mit über 300.000 km/h (Lichtgeschwindigkeit) auf uns zurast. Das nämlich ist die geschätzte Geschwindigkeit einer E-Mail, die innerhalb von Sekundenbruchteilen einmal um den ganzen Globus geschickt werden kann. Vorsicht – da kommt schon die nächste!

Melanie Mergler