Die Welt der Videospiele hat in der älteren Gesellschaft immer noch ein angestaubtes Image. Viele Außenstehende wissen nicht mehr darüber, als sich aus Berichten der Privatsender zur Gamescom oder der sogenannten Killerspiel-Debatte erfahren lässt. Doch die Videospielindustrie hat im letzten Jahrzehnt einen radikalen Wandel durchlebt. Die Gamer*innen der 90er Jahre haben es geschafft, allen Zweifeln und Vorurteilen zum Trotz, eine komplett neue Branche zu etablieren, die allein im deutschsprachigen Raum jährlich über 100 Millionen Euro umsetzt und weltweit zu einem milliardenschweren Geschäft geworden ist.
Videospiele: Eine Industrie auf dem Vormarsch
Ein tieferer Blick in diese junge Szene zeigt, dass sie, bei all den Parallelen zu traditionellen Sportarten ein eigenes System entwickelt hat. Die Zuschauer*innenzahlen einiger E-Sport-Events, wie das Turnierfinale von „League of Legends“ (6,4 Millionen Zuschauer in 2023), können bereits heute die Zahlen des Finalspiels der Herrenfußball Bundesliga (1,9 Millionen Zuschauer in 2023) überschatten. Zwar beschränken sich diese beeindruckenden Zahlen noch auf einzelne Events, doch ein positiver Trend ist klar erkennbar.
Die E-Sport-Branche kann von den klassischen Sportarten wie Fußball oder Baseball lernen und deren bewährte Mechanismen übernehmen wie beispielsweise das Geschäft mit Kleidung und Equipment, welches in beiden Branchen einen hohen Stellenwert für Kund*innenbindung und Umsatz hat. Auch das Anbieten von Werbeflächen und die Vermarktung von Teams und Spieler*innen mit einzelnen Marken lässt sich in traditionelleren Sportarten wiederfinden. Abseits davon müssen ebenfalls innovative Lösungen für ihre eigenen, individuellen Herausforderungen entwickelt werden. Mit einer prognostizierten Wachstumsrate von über 20 % für 2024 stehen der Industrie in naher Zukunft zahlreiche Chancen, aber auch Herausforderungen bevor. Ein Beispiel hierfür sind die Einkommensströme: Während im Fußball der Löwenanteil der Einnahmen aus Ticketverkäufen und Medienrechten stammt, sieht das bei E-Sport-Events anders aus. Historisch bedingt werden die meisten E-Sport-Events derzeit kostenfrei über Streaming-Kanäle wie Twitch oder YouTube übertragen, wodurch die Rechtevermarktung eine untergeordnete Rolle spielt. Stattdessen setzt die Branche auf andere Monetarisierungsmöglichkeiten, die im klassischen Sport unüblich sind, wie den Verkauf von digitalem Merchandise und Sammelobjekten innerhalb der Spiele.
Innovative Wege zur Markterschließung
Ein Beispiel hierfür sind Avatare und „Skins“ für Spielfiguren, Ausrüstungsgegenstände oder Spielkarten, die je nach Implementierung kosmetische oder reale Einflüsse auf das Spiel haben können. Bei „Counter-Strike“ können unter anderem Sticker auf kaufbare Waffentarnungen angebracht werden, die abseits ihrer kosmetischen Eigenschaften keinen Einfluss auf das Spielgeschehen haben. Anders verhält es sich bei der Videospielreihe „EA Sports FC“ (vormals „EA Sports FIFA“), die besonders starke und schwache Varianten von Fußballspieler*innen eingeführt hat. Diese veränderten Werte wirken sich direkt auf das Spielgeschehen aus und führten in der Vergangenheit bereits zu Kritik an diesem System. In dem Videospiel „Star Wars Battlefront II“ aus dem Jahr 2017 wurde durch das implementierte Freischaltungssystem das Spielerlebnis erheblich eingeschränkt. Hierdurch wurden Spieler*innen, welche Käufe mit Echtgeldwährungen im Spiel getätigt haben, im Gameplay durch stärkere Waffen und das Freischalten neuer Charaktere bevorteilt. Um vergleichbare Chancen durch das Investieren von Spielzeit kostenfrei freizuschalten, hätten rechnerisch ca. 4500 Spielstunden aktiv gespielt werden müssen, ein Zeitraum von umgerechnet über einem halben Jahr kontinuierlichen Spielens. Erschwerend hierzu wurden Sperren nach einer gewissen Anzahl an täglichen Spielen vom Entwickler gesetzt, die den Fortschritt und Anreiz des freien Spielens weiter verringern sollten. Die Spieler*innenschaft zwang durch negative Bewertungen und Boykott des Spiels den Publisher Electronic Arts dazu, die Hürden und Ungleichheit nachträglich auszubessern. Ein großer Erfolg für die Battlefront 2-Community.
Für die meisten E-Sport-Spiele wie „Counter-Strike“, „Dota 2“ oder „League of Legends“ steht jedoch nicht der einmalige Erlös aus dem Verkauf des eigentlichen Spiels im Fokus, sondern das Aufbauen eines ganzen Ökosystems rund um das eigentliche Spiel. Durch die künstliche Verknappung von Avataren, Skins und co. und durch limitierte Zeitfenster der Verfügbarkeit und das Anbieten von einfachen Lösungen für die geschaffenen Limitierungen, wie einem Pass für saisonale Inhalte oder eines angeblichen Angebots auf das Produkt, werden Spieler*innen zum Geld ausgeben verleitet. Alternativ zu kosmetischen Tarnungen werden auch immer öfter zusätzliche Inhalte in Erweiterungen (DLCs = Downloadable Content) angeboten. In einem zukünftigen Artikel werden wir diese Mechanismen der Monetarisierung und ihre Auswirkungen auf die Spielergemeinschaft noch einmal ausführlicher beleuchten.
Interaktion, Inklusion, Immersion – Kund*innenbindung neu gedacht
Trotz der mittlerweile ausgereiften Produkte befindet sich die Branche selbst noch mitten in der Wachstumsphase und beginnt, immer neue Monetarisierungsmöglichkeiten zu erschließen. Die Einbindung der Spieler*innen in ein möglichst interaktives Erlebnis spielt dabei für die Entwickler*innen eine zentrale Rolle, da erkannt wurde, dass nur durch eine emotionale Bindung des Spielenden an das Spiel ein nachhaltiges Geschäftsmodell für beide Seiten aufgebaut werden kann. Durch das Zufriedenstellen der Ansprüche der Fans geben diese nicht nur mehr Geld für die Angebote der Entwickler*innen aus, sondern sorgen auch für ein Wachstum der Spieler*innenzahlen durch persönliche Empfehlungen und Reviews des Spiels. Durch den Kreislauf von neuen Spieler*innen und folgend steigenden Umsätzen kann ein nachhaltiges Wachstum erreicht werden, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.
Eine direkte Beteiligung der aktiven Spieler*innen- und Zuschauer*innenschaft kann, wie am Beispiel des Free-to-Play Spiels „League of Legends“ zu sehen ist, gleich mehrfach positive Auswirkungen haben. Durch die finanzielle Beteiligung der Fans wird nicht nur die Verbundenheit mit dem Spiel und der Marke gestärkt, sondern in manchen Fällen auch das Preisgeld der Turniere finanziert. Dadurch profitieren nicht nur die Spieleentwickler*innen, sondern indirekt auch die Fans, die ihrem Team und damit auch dem Spiel mehr finanzielle Möglichkeiten geben. Wird es mit der Monetarisierung übertrieben oder Wege eingeführt, die die Spieler*innenschaft zu stark einschränken, kann, wie am Beispiel “Star Wars Battlefront II” zu sehen, der Plan auch nach hinten los gehen.