Emil Jüchter ist seit ein paar Wochen neu gewählter AStA-Sprecher. Gemeinsam mit seinen drei Mitstreiter*innen ist er nun das verantwortliche Bindeglied zwischen Studierendenschaft und Universität. Als Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) vertreten sie uns Studierende hier an der Leuphana und sind für vielfältige Aufgabenbereiche zuständig. Als studentische Hilfskraft für akademische Veranstaltungen sieht man Emil sonst häufig mit einer Kamera in der Hand. Vom Filmemacher zum AStA-Sprecher – mich hat interessiert, wie es Emil in seiner neuen Rolle ergeht.
Emil lacht mich durch meinen Laptop-Bildschirm hinweg an. „Wie geht’s dir?“, frage ich ihn und er grinst. „Super! Angekommen. Das war echt eine richtig heftige Einarbeitungszeit. Da war ich schon hart an der Belastungsgrenze – jetzt im Nachhinein merke ich das. Aber so langsam kommt jetzt nach der Phase nur Neues kennenzulernen, auch die Zeit zu arbeiten.“
Warum hast du dich als AStA-Sprecher beworben und wie ist es dann zu der finalen Entscheidung gekommen?
Vor meiner Bewerbung habe ich schon vier Jahre für die akademischen Veranstaltungen an der Uni gearbeitet: Startwoche, Konferenzwoche, Utopie-Konferenz und so weiter. Mir liegt schon sehr lange sehr viel an dieser Uni und an dessen „Weiterentwicklung“. Das ist vielleicht das falsche Wort, aber dabei geht es mir generell um das Campusleben. Weil ich schon seit 2018 hier studiere, habe ich mitbekommen, wie sich alles entwickelt hat in den vergangenen sechs Jahren. Und das hat mir nicht gefallen. Das Campusleben ist immer weiter zurückgegangen und dann gab es für mich letztes Jahr einen Kipppunkt. Mir ist klar geworden, dass ich mit meiner Arbeit während der Startwoche nicht wirklich etwas verändere. Da sehe ich die Erstis ca. eine Woche und mache tolle Videos – aber bei manchen kommen die auch falsch an. Diese Videos sind auf ihre Art total geleckt, was für einige als unangenehmes Marketing zu ihrer „Anti-Leuphana-Einstellung“ beiträgt. Und dann dachte ich: „Oh Gott. Nein, das ist genau das Gegenteil von dem, was ich erreichen wollte.“
Gleichzeitig habe ich letzten Oktober mit den alten AStA-Sprecher*innen eine kleine Videoreihe für Instagram gedreht. Die waren mir alle so unfassbar sympathisch! Da hatte ich dann das erste Mal den Willen, okay, ich möchte hier auch was verändern. Danach habe ich bei StuBe angefangen, dem Referat für studentische Beschäftigte, weil ich selbst ein studentisch Beschäftigter war. Dort war ich dann bei der Tarifstreik-Bewegung im November letztes Jahr beteiligt. Tja, und dann bin ich irgendwie immer weiter in den AStA reingerutscht. Später ging es darum neue AStA-Sprecher*innen zu finden, was sehr schwer war. Als ich selbst dann das sechste Mal gefragt wurde, habe ich „ja“ gesagt.
War das eher eine spontane Entscheidung oder hast du länger darüber nachgedacht?
Ich habe schon länger darüber nachgedacht, dass dieses Amt etwas für mich wäre. Aber den Schritt, mich dann tatsächlich zu bewerben, das war relativ spontan.
Würdest du sagen, so richtig hochschulpolitisch aktiv bist du erst seit StuBe?
Das kommt, finde ich, auf den auf den Politikbegriff an! Ich für meinen Teil habe mich schon sehr lange an der Uni engagiert. Einerseits kulturell, beispielsweise im AStA-Referat für Theater. Die Krise, die ich im Campusleben sehe, ist nicht nur hochschulpolitisch, weil irgendwelche Ämter besetzt werden müssen, sondern im Engagement allgemein. Ich finde SHK-Jobs, besonders die bei den akademischen Veranstaltungen, haben irgendwo auch einen ehrenamtlichen Charakter, zumindest eine gleichwertige Bezahlung. Da ist es mir fast ein bisschen egal, ob man an der Uni ein SHK-Job macht oder ein politisches Amt belegt oder einfach für eine Initiative aktiv ist. Das gehört für mich alles zum kulturell-politischen Engagement. Und das alles möchte ich auch gleichwertig fördern.
Wenn dann bald der neue Ersti-Jahrgang kommt, dann ist es mir fast ein bisschen gleich, ob ich sie dazu motivieren kann, sich im AStA zu engagieren oder für den AStA zu arbeiten, denn es ist mir auch recht, wenn sie bei einer Initiative mitmachen oder in der Bibliothek arbeiten. Hauptsache es kommt wieder ein bisschen mehr Zugehörigkeitsgefühl ganz nach dem Motto: „Das ist meine Uni, das ist mein Campus, da verbringe ich mein Studium und deswegen liegt mir auch etwas daran, dass dieser Ort aktiv bleibt.“
Wie bist du dazu gekommen, ebendieses Engagement nicht nur fördern zu wollen, sondern auch selbst dieses Amt anzutreten? Gab es bestimmte Ereignisse oder Personen, die dich zu diesem Schritt motiviert haben?
Ich würde sagen, das wurde durch mehrere Personen beeinflusst: Einerseits durch StuBe-Referent*innen und auch die alten AStA-Sprecher*innen. Ich glaube speziell die würde ich dafür verantwortlich machen wollen.
Dein erster offizieller Amtstag liegt jetzt schon ein paar Wochen zurück. Kannst du dich noch daran erinnern? Was war das für ein Gefühl?
Hm, ja, das ist jetzt tricky. Nimmt man den ersten Tag der Einarbeitung oder nimmt man den ersten Tag, an dem man auf sich allein gestellt war?
Die Entscheidung überlasse ich mal dir.
An den ersten Tag der Einarbeitung kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern. Viel Aufregung aber auch viel Tatendrang. Dann zunächst erstmal eine gewisse Überforderung, weil einfach alles super viel ist. Ein riesiger Batzen an Informationen, bis man dann endlich den ersten Tag erreicht hat, an dem man dann allein anpacken kann. Zu dem Zeitpunkt hatte ich es fast schon ein bisschen satt, diese Einarbeitungsphase. Ich hatte das Gefühl, ich habe es jetzt verstanden. Lass mich machen, ich möchte jetzt endlich mal! Und ich glaube, seit diesem Moment macht es einfach Spaß.
Ursprünglich kommst du aus der Medienrichtung und bist hier an der Leuphana als Filmemacher bekannt. Wie denkst du, dass du deine bisherigen Kenntnisse und deine Kreativität in dein jetziges Amt mit einfließen lassen kannst?
Ich habe auf jeden Fall erstmal den Servicebetrieb Ton und Licht an mich gerissen. Das ist einer meiner Aufgabenbereiche mit Hauptverantwortung. Und natürlich möchte ich gern die PR und Öffentlichkeitsarbeit übernehmen und dann auch den engsten Draht zum PR-Team haben. Und das ist ziemlich toll. Für einen Öffentlichkeitsarbeitsbereich verantwortlich zu sein, bei dem es keine Instanz mehr über einem selbst gibt. Zusammen sind wir redaktionell beispielsweise für den Instagram-Kanal und auch generell die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Da mache ich zwar nichts Handfestes, aber ich habe den Anspruch und die Hoffnung, dass ich diese Redaktion gut leiten kann, weil ich verstehe, wie die Wurst gemacht wird. Was sind Details, die wirklich egal sind oder die zu aufwendig sind, was kann geändert werden? Da habe ich ein gutes Fingerspitzengefühl.
Dann dürfen wir uns also auf Next-Level-Social-Media-Content freuen! In welchen Bereichen wirst du außerdem aktiv werden und gab es hier schon erste Berührungspunkte mit der Studierendenschaft?
Ganz konkret arbeite ich gerade mit Referent*innen an einer Ehrenamtskampagne. Die soll zum neuen Semester starten. Wir wollen, ähnlich wie die gelben Leitern in der Innenstadt, die lokale Geschäfte markieren, Angebote des AStAs markieren. Wenn ich zum veganen Brunch von Öko?-Logisch! gehe, dann ist das nicht nur ein Kosmos für sich, sondern das läuft alles über den AStA. Da kommt das Geld her und da kann jede*r mitmachen und hat ein Recht und einen Anspruch darauf, mitzuentscheiden. So ein einheitliches Element soll kommunizieren, wie viel des ehrenamtlichen Angebots über den AStA und mit dem AStA in Verbindung steht.
Gibt es neben deinen bisherigen Projekten auch Themen oder Fragen, die dir jetzt schon Sorgen bereiten?
Dass die AfD beim dies Academicus eingeladen wurde und dieser dann abgesagt wurde. Dazu sind wir auch im Kontakt mit vielen anderen Hochschulen in Niedersachsen. Ich glaube, oder ich habe die Befürchtung, dass der Umgang mit der AfD ein prägendes Thema unserer Amtszeit sein könnte. So wie es die RPO-Änderung oder Corona in den Vorjahren waren.
Das macht Sorgen, das verstehe ich. Gibt es auf der anderen Seite auch Herausforderung bei denen du dir sicher bist, dass ihr sie auf jeden Fall meistern werdet?
Natürlich die ganzen Veranstaltungen! Sowas wie die Ersti-Party oder das Sommer-Open-Air. Ich habe zwar lange im Veranstaltungsteam mitgearbeitet und kenne viele Bereiche, aber habe noch längst nicht in allen tatsächlich mitgearbeitet. Wir werden einfach in einem Jahr ein komplettes Sommerfestival organisieren – das haben wir alle noch nie gemacht. Aber das kriegen wir hin, weil wir uns dafür dann ein cooles Team zusammen holen, das mehr Erfahrung mitbringt.
Wenn es etwas gäbe, was du im kommenden Jahr deiner Amtszeit umsetzen könntest und das definitiv funktionieren würde, was wäre das?
Ich glaube, das wäre, dass diese Ehrenamtskampagne ein voller Erfolg wird. Wenn wir ganz viele aus dem neuen Jahrgang motivieren können sich ehrenamtlich im AStA zu engagieren oder auch an allen anderen Stellen an der Uni. Und dass, wenn es dann nächstes Jahr darum geht, neue Sprecher*innen zu wählen, wir dann mehrere Kandidat*innen haben. Wenn wir nicht einfach die vier nehmen, die sich beworben haben, das wäre ein absoluter Traum. Das ist eben das, was diesem ganzen demokratischen Verfahren wieder einen Sinn gibt. So fühlt es sich komisch an, Ämter zu wählen, auf die sich genauso viele Leute bewerben, wie es Plätze gibt.
Gibt es schon jetzt Aufgaben, die ihr als neues Team definitiv anders angehen wollt als eure Vorgänger*innen? Beispielsweise war auffällig, dass ihr anders als bisher statt „english version below“ nun „Deutsche Fassung unten“ in eurem letzten Newsletter schreibt. Habt ihr dazu schon Rückmeldung bekommen? Was genau steckt dahinter?
Das war so eine ganz spontane Bauchgefühl-Entscheidung von mir. Es hat sich irgendwie richtig angefühlt und dann habe ich es einfach gemacht. Es ist nicht so, dass die Alten AStA-Sprecher*innen das nicht auch gewollt haben. Sie haben es sogar angestoßen und uns in der Einarbeitung viel übergeben. Es sollte eine Priorität von uns sein, internationale Studierende einfach viel mehr zu inkludieren. Das sollte der Plan und das Selbstverständnis der Leuphana sein, wenn 30 % der Studierenden international sind und Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, oder?
Der Anspruch und der Wunsch der Uni müssen auch mit dem ganzen Rattenschwanz an Konsequenzen bedacht werden. Angebote müssten ganz selbstverständlich auf Englisch zur Verfügung stehen. Noch wird das nicht gemacht. Deswegen wollen wir das zur Priorität machen. Unsere letzte Referent*innen-Sitzung fand auch auf Englisch statt. Die neuen Referent*innen der International Society sprechen kein Deutsch. Das heißt, wenn wir die dabeihaben wollen, dann müssen wir Englisch reden. Also machen wir es auf Englisch. Das heißt im Kern nicht nur, dass Angebote auch auf Englisch existieren, sondern es ist auch ein Teil der Wertschätzung, die selbstverständlich ist. Dazu gehört für mich, dass vielleicht auch mal englische Text zuerst vor der deutschen Version kommen.
Gibt es etwas, was dir noch wichtig wäre deiner Studierendenschaft mitzuteilen?
Ein Aufruf es als Privileg zu sehen, wie viel man an der Uni über den AStA mitgestalten kann. Wie viel Einfluss man auch ohne ein Mandat nehmen kann, indem man eine*r der wenigen ist, der/die einfach auftaucht, um Angebote wahrzunehmen. Denn das kann auch ein Vorteil sein, dadurch, dass so ziemlich jedes Gremium an der Uni so verschlafen ist. Wenn man motiviert ist, dann hat man mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit die Gelegenheit einfach das zu machen, was man will. Dann kann man riesigen Einfluss nehmen, wie gewisse Prozesse verlaufen und wie Geld ausgegeben wird. Wir sind ein im Vergleich mit anderen Studierendenschaften ein reicher AStA. Wir haben viele Mittel. Da gibt es genügend Handlungsspielraum. Und wir haben wirklich viel Platz für die Leute, die das nutzen wollen.
Und deswegen eine große Einladung: Wenn Studierende Bock haben, einen Bereich zu verändern und vor allem auch dieses Gefühl teilen: „Das kotzt mich richtig an, dass die Uni da nichts macht“, dann den Schritt weiterzugehen, könnte ich die Person sein, die etwas verändert?
Foto: Hannah Spittler