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Vom endlosen Swipen

Es ist Dezember und wie jedes Wintersemester renne ich Allem nur noch hinterher. Lange dachte ich, ich bin selbst schuld, denn ich prokrastiniere meine Uni-Arbeit häufiger mal. Jede Arbeitssitzung wird mit einem Scroll eingeleitet – vielleicht auch zwei oder drei mehr. Wie aus Reflex geht mein erster Griff zwischen zwei Aufgaben zum Handy und in zwei unreflektierten touches bin ich auf Instagram gelandet.

Dabei langweile ich mich auf dieser App immer öfter. Natürlich schaue ich gerne die Posts und Stories meiner Freunde und den vereinzelten Influencer*innen, die ich noch Teil an meiner Aufmerksamkeit haben lasse. Aber ich konsumiere so viel Content auf dieser App, dass ich den Gewollten oft schon leer geschaut habe. Ich öffne die App in Erwartung auf ein Foto von einem neuen Tattoo, das meine alte Mitbewohnerin gestochen hat und bekomme einen recycelten Tumblr Post angezeigt, den ich schon 20-mal gesehen habe. Meine alte Mitbewohnerin kann eben nur so viele Tattoos stechen. Aber warum schließe ich die App dann nicht mehr? Warum artet jedes Öffnen aus in eine 15-minütige Scroll-Session, bis mir mein Handy die App wieder sperrt, obwohl ich aktiv merke, dass mich der Content nicht mehr anspricht?

Die Antwort ist eine, die ich mir nur ungern eingestehe: Ich bin süchtig. Und leider bin ich auch nicht die Einzige, die seit Jahren „mal wieder drauf achten will, weniger am Handy zu sein“.  Trotzdem habe ich bis jetzt noch niemanden getroffen, der/die tatsächlich irgendeine langfristig wirksame Strategie gefunden hat, dagegen vorzugehen. Das könnte vor allem daran liegen, dass wir nicht wirklich selbst an unserer Sucht schuld sind. Naja, wenigstens teilweise.

Soziale Medienkonzerne haben ein fundamentales Interesse daran, uns süchtig zu machen. Je länger wir auf der Plattform verbringen, desto mehr Daten produzieren und hinterlegen wir, desto mehr Geld macht die Plattform mit uns. Statt jetzt in Empörung auszuarten ziehe ich lieber einen resignierten Vergleich, der vielleicht zu weniger Frustration mit mir selbst führt.

Beim Glücksspiel wird bei Süchtigen oft von einer Art Flow gesprochen, in denen einen das Spielen versetzt. Entscheidungen werden blitzschnell getroffen, oft werden Gewinner-Kartenblätter aus Versehen zu schnell abgeworfen und in dieser Geschwindigkeit entsteht eine Art beruhigende Trance. Das hat mich sehr an mein scrollendes Ich erinnert: Sprechen mich die ersten paar Sekunden des Videos nicht an, wische ich sofort weiter.

Hersteller der Glücksspielautomaten versuchen in der Entwicklung alles, um diesen Flow nicht zu unterbrechen. So wurden zum Beispiel Münzschlitze mit Magnetstreifenkarten getauscht, damit beim Versuch mit der Münze den Schlitz zu treffen, kein Moment der Reflektion entstehen kann. Jede Unterbrechung des Flows ist eine Option, das Spiel doch abzubrechen.

Ähnlich werden auch Social Media-Plattformen weiterentwickelt. Das Offensichtlichste war die Einführung des sogenannten Endlos-Scrolls: Egal wie weit ich wische, ich erreiche den Boden meines Feeds nicht mehr. Nach Inhalten von meinen Abonnements wird mir fremder Content vorgeschlagen, damit ich nicht in meinem Scroll Flow unterbrochen werde. Wo früher noch eine aktive Entscheidung nötig war, um auf weiteren Content zu stoßen ist jetzt nur noch Flow.

Der Endlos-Scroll ist nur eine von vielen perfektionierten technischen Features von Instagram. Man kann sich sicher sein, dass jede Funktionalität genau an dem Ort vorzufinden ist, wo ich sie am wahrscheinlichsten benutze. Instagram hat die Datenmassen, um sowas statistisch zu analysieren.

So zwingen mich die technischen Mittel, auf der App zu verweilen. Dazu kommen noch soziale Faktoren, wie der Drang sich zu vergleichen und positive soziale Affirmationen. Instagram macht mich süchtig, denn Instagram will mich süchtig haben. Entsprechend ist es auch so schwer, sich von einer Plattform zu lösen, die Millionen investiert, mich davon abzuhalten.

Ich habe mich jetzt dazu entschieden, trotzig zu sein. Glücklicherweise ist Instagram noch nicht so durchoptimiert wie Glücksspielautomaten.  Es gibt noch Unterbrechungen von meinem Flow. Gerade achte ich sehr drauf, diese Unterbrechungen als Moment der Reflektion zu nutzen und mein sinnloses Wischen zu beenden. Das funktioniert überraschend gut. Auch die Bestätigung, dass ich nicht allein Schuld habe und es wirklich schwierig ist, mich von meiner Instagram-Gewohnheit zu lösen, hat mir sehr geholfen.

Und jetzt tu‘ ich zum Schluss so, als würde ich nicht gleich trotzdem wieder Instagram öffnen. Ich habe jetzt schon lange am Laptop gesessen für diesen Artikel, vielleicht gibt es schon wieder was Neues, kann ja nur kurz mal nachschauen…


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