Uwis – es geht auch ohne Schuhe

Weltbild eines Uwi / (C) flickr - Gwendal Uguen
Weltbild eines Uwi / (C) flickr – Gwendal Uguen

Unsere Welt steht am Abgrund. Was vielen gar nicht bewusst ist, saugen wir gleich mit der Muttermilch des ersten Semesters auf. Das Ende naht! Wir befinden uns am Rand einer globalen Katastrophe! Der Mensch ist der Schwarze Tod unseres Zeitalters, welches wir in typisch humaner Selbstüberschätzung auch noch nach uns benennen mussten, Anthropozän! Klingt nach einer ansteckenden Krankheit. Oder Darmkrebs. Unsere Umwelt wird mit Füßen getreten, verschmutze Seen und Meere und gequälte Tiere sind die traurigen Abdrücke unseres hiesigen Daseins. Aber wir werden schon sehen, was wir davon haben! Die Rechnung kommt zum Schluss!

So oder ähnlich dramatisch lauten die gängigen Statements von Studierenden der Umweltwissenschaften. Und um sich nicht die gleichen faschistoiden Stiefel anzuziehen, verzichtet unsereins lieber gleich auf Schuhe. Frohen Gemüts stampft der gemeine Uwi barfuß über den Campus und nimmt dabei alles mit, was der Boden an Keimen und Dreck herzugeben hat. Aber was ist an Schuhen eigentlich verkehrt? Haben sich nicht Jahrtausende der Evolution vollzogen, haben nicht unsere Vorfahren endlos viele Tierknochen knacken müssen, um endlich das Hirn zu erlangen, dass es ihnen erlaubt sich Schuhe aus Tierfellen zu nähen?

An Dramatik jedenfalls mangelt es uns nicht. Wenn dazu dann noch die Wissenschaft kommt, gibt das dem Ganzen den Rest. Faire Diskussionen sind von hier ab Geschichte, denn gewappnet mit der argumentativen Schlagkraft der Forschung sind wir herkömmlichen Menschen mindestens genauso überlegen, wie der T-34 einer Kaffeemaschine. Was bleibt, ist die Tränen der reumütigen Unwissenden zu trocknen, welche sich mit lautem Seufzer in unsere Arme fallen lassen, ihren falschen Weg eingestehen und zum Zeichen des Danks ihre Schuhe von sich werfen, um in Freiheit ihren neuen (nun etwas steinigeren) Weg zu gehen. Es ist schön verirrte Schafe auf den rechten Weg zu führen. Leider kommt das ziemlich selten vor. Eigentlich nie.

Denn ein gängiges Problem der Uwis, neben ihrem fehlenden Schuhwerk, sind leider auch mangelnde Hygiene (Wasserverschwendung!), saubere Kleidung (Wasserverschwendung!) und die filzigen Vogelnester in den Haaren, welche aus Gründen des Artenschutzes nicht von dort entfernt werden dürfen. Auch die gängige Kleiderwahl unsereins sorgt für Kopfschütteln und verstörte Blicke. Den gemeinen Uwi erkennt man neben dem fehlenden Schuhwerk vor allem daran, dass er aussieht, als ob er vor langer Zeit in einen Altkleidercontainer gefallen wäre und seitdem nicht mehr herausgefunden hat. Und dann wundern wir uns noch, dass uns keiner glaubt. Gut, dass es die Bäume gibt. In ihnen finden wir immer verständnisvolle Zuhörer, die sich gegen unsere liebevolle Zwangsumarmungen nicht wehren können.

Die Mär von einer besseren Welt

Einer der gravierenden Nachteile dieses Studiengangs ist, dass irgendwann einfach alles scheiße ist. Überall nur Gift und Chemikalien, Artensterben und ertrinkende Eisbären. Wir sehen sogar Probleme, wo es noch gar keine gibt. Ob dabei in China oder vor der eigenen Haustür gekehrt wird, spielt keine Rolle. Schuld ist immer der Mensch, der in seiner Gier die Umwelt den Götzen des Wirtschaftswachstums opfert. In unserer Welt wird der gemeine Mitmensch automatisch durch Unwissenheit und Ignoranz zum Sünder einer verkorksten, kapitalistischen Großkonzernwelt. Das Schöne daran ist, dass wir uns moralisch aus diesem Sündenpfuhl erheben und zwischen Bioladen und Protestcamp unsere eigene Version der Auferstehung leben. Wir reduzieren eben nicht nur unseren globalen Fußabdruck, sondern auch unsere Mitmenschen.

Als Altlast der vergangenen 68er Hippie-Glorie fällt es uns heute leider schwer unseren Platz in der Welt zu finden. Freie Liebe ist außer Mode, Drogenkonsum in weiten Teilen der Gesellschaft geachtet und irgendwie auch so richtig nichts, wofür sich noch gut demonstrieren lässt. Vergangen sind die Tage von studentischen Massenbewegungen, welche als intellektuelle Elite das Establishment anprangerten. Was uns noch bleibt, ist Atomkraft, die industrielle Landwirtschaft und Konzerne wie Monsanto. Ohne die wären wir nichts. Im Ernst, hat sich schon irgendjemand überlegt, dass wir ohne die ganzen Umweltsünder absolut arbeitslos wären? Statt ihnen also die Gleise wegzuschottern, sollten wir lieber mal ein bisschen Dankbarkeit zeigen. Wie wäre es denn mal mit Blumen, statt Protesten? Die fanden die 68er Vorbilder schließlich auch schon gut.

Arbeitsplatz Kristallkugel

Auf die gängige Frage „Und was macht man dann so?“, welche sich mit der Präzision einer Atomuhr unserer Studienwahl anschließt, wissen wir übrigens selbst keine rechte Antwort. Denn irgendwie studieren wir alles und so ziemlich nichts. Unsere Jobvorstellung könnte in etwa so aussehen: „Guten Tag, ich habe von allem ein bisschen Ahnung, von nichts richtig, aber ich mag Pferde.“ Was genau qualifiziert uns eigentlich? Das wir notorische Besserwisser sind? Altklug und voller Vorurteile gegenüber BWLern? Vielleicht braucht es ja noch Luhmann-bewanderte Landschaftsgärtner.

Was bleibt, ist die seit 47 Jahren bewährte Tradition von Unverständnis, Intoleranz und unausgegoren Weltverbessererphantasien. Dass so viel Distanz zur realen Welt automatisch zu einer gewissen Vereinsamung führt ist nur konsequent. Wenn ihr das nächste Mal einen Uwi seht, der etwas desorientiert und barfuß durch die Gegend läuft, schenkt ihm doch bitte ein paar nette Worte, wir werden es euch danken. Bäume können sich zwar nicht wehren, geben aber auch schlechte Gesprächspartner ab. Aber lasst euch um Himmelswillen nicht in Diskussionen verwickeln, denn glaubt mir, ihr könnt nur verlieren. Und wenn ihr zufällig noch ein paar Schuhe übrig habt…

Autor: Andreas Hußendörfer