Univativ Filmkritik: Vice – das lauwarme Leinwandportrait eines Kriegsverbrechers

Clever inszeniert, sehr unterhaltsam und kurzweilig. Rhetorisch brilliant, aber wo bleibt der Inhalt?

Es gibt gute Gründe, einen Film über den ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney zu drehen. Zunächst gilt er für viele Kenner amerikanischer Politik als mächtigster Vizepräsident der Geschichte. Trotz seines eher symbolischen Amtes war er stets im Tagesgeschäft von George W. Bush präsent. Er gilt als einer der bekanntesten Neo-Konservativen (Neo-Cons) und ist neben Richard Perle einer der Architekten des „War on Terror“ und des Irakkrieges. Zudem hatte er ein ereignisreiches Leben: 5 Herzinfarkte, eine homosexuelle Tochter und gleichzeitig Vorsitz der republikanischen Partei und den Status als einer der meist gehassten amerikanischen Politiker. Am Ende seiner Amtszeit hatte er eine Zustimmungsquote von 13%. Der Film hat also die besten Voraussetzungen eine hochinteressante und brisante Geschichte zu erzählen. Das gelingt dem Film leider nicht.

Dabei hatte der Film sehr viel Potential. Der Regisseur Adam MacKay nimmt sich nach The Big Short, ein fast großartiger Film über die Finanzkrise 2008, wieder ein hochbrisantes Thema bzw. Figur vor, und schafft es auch in Vice, das Thema unterhaltsam in Spielfilmform aufzubereiten.

Film ist Rhetorik. Nicht nur das. Film kombiniert Bild, Klang, und Wort und ist damit das ultimative Medium der Rhetorik. Und Adam McKay ist ein äußerst fähiger Rhetoriker, der das Medium Film im vollen Umfang ausnutzt. McKay spielt auch in Vice wieder mit Genrekonventionen, und benutzt die Stimme des Erzählers, um direkt mit dem Zuschauer zu kommunizieren. Stellenweise unterbricht er den Handlungfluss und präsentiert dem Zuschauer eine Metapher. Dadurch kann er komplexe Sachverhalte direkt und leicht verdaulich erklären. So schafft es McKay Exposition humorvoll und eingänglich zu verpacken. Insofern ist der Film ein erfolgreicher Mix zwischen Videoessay und Spielfilm. McKays Experimentierfreudigkeit trägt nicht immer Früchte. Teilweise verrennt er sich zu sehr in Metaphern, und einige seiner Metaphern sind derart plump, dass einem vorkommt, als würden sie einem mit dem Holzhammer übergezogen. Nichtsdestotrotz ist das Ergebnis ein kurzweiliger, unterhaltsamer Film.

Die andere Stärke des Films ist die Schauspielleistung, sowie die unglaubliche Transformation in die Rolle des ehemaligen Vizepräsidenten von Christian Bale. Die Besetzung der Hauptrolle kommt etwas unerwartet: Christian Bale nahm über 18 kg zu und trainierte seinen Nacken, um dem ehemaligen Vizepräsidenten ähnlich zu sehen. Sowohl Christian Bale, als auch die meisten anderen Darsteller im Film schaffen es, in ihre Rollen zu verschwinden. Viele mussten über 4 Stunden täglich geschminkt werden, um ihren Rollen erstaunlich ähnlich auszusehen. Die äußerlichen Verwandlungen blieben nicht unbelohnt: Vice erhielt 2019 einen Oscar für die beste Schminke und Frisur.

(c) Universum Film

Inhaltlich fällt der Film aber leider flach. Die Charaktere bleiben eindimensional, und die politische Analyse des Films ist einseitig und oberflächlich. Hier kommen die Vorurteile von „liberal Hollywood“ zum Vorschein, denn auf der einen Seite dämonisiert der Film Cheney über die Maße hinaus, so dass Cheney zu einer Karikatur wird, die selbst in einem Bond-Film fragwürdig wäre. Zum anderen unterschlägt der Film den Umfang seiner Verbrechen, und die Tragweite der Verschwörung der Gruppe von Neo-Konservativen um Cheney. Nicht erwähnt werden in dem Film u.a. die Rolle des Think Tanks PNAC (Project for the New American Century), die „Clean Break“-Papiere, nur um einige wenige Dinge zu nennen. Diese Dichotomie bringt der Film auf den Punkt in einer frühen Szene, in der Cheney seinen damaligen Chef und späteren Mitverschwörer Donald Rumsfeld fragt: „Woran glauben wir denn eigentlich?“, woraufhin dieser schallend lacht, und ihm dann die Tür vor der Nase zuknallt. Diese Szene wäre selbst für einen Bond-Bösewicht zu lächerlich. Damit suggeriert der Film, dass Dick Cheney und seine Bande an Neo-Cons nur von Machthunger getrieben wurden, und verschwendet eine Gelegenheit die Philosophie und Beweggründe der Neokonservativen näher zu beleuchten. Statt sinnvoller Kritik und Erforschung der tatsächlichen Hintergründe zieht McKay es vor, die Charaktere bis zur Karikatur zu überzeichnen, damit die politischen Gegner sich moralisch überlegen fühlen können. Ganz toll.

Vice ist clever inszeniert, überzeugend gespielt, und rhetorisch brilliant, inhaltlich kann der Film aber nicht überzeugen, und gleicht eher einem Saturday Night Live Sketch, als einem ernstzunehmenden politischen Biopic.


Autoren: Tobias Schaffrath und Steven Haener

Titelbild: (c) Universum Films

Der deutsche Filmstart war am 24. Januar 2019. In Lüneburg läuft dieser Film im Scala Programmkino. Die Spielzeiten, wahlweise auch mit englischem Originalton, findet ihr hier.