Überflieger

Auf der Überholspur zum Bachelor. Wir sind ständig damit konfrontiert. Einerseits, weil wir es uns selbst fragen, andererseits, weil unser Umfeld, seien es Eltern, Freunde oder Verwandte, es wissen will. Gemeint ist die Frage: Wo will ich/willst du eigentlich hin? Gleichgültig bei dieser Fragestellung ist, ob der Gefragte einen Studiengang wie BWL oder VWL studiert, oder sich für etwas „Ausgefalleneres“ wie Kulturwissenschaften oder Umweltwissenschaften entschieden hat.

Die Möglichkeiten, die wir haben, sind vielfältig. Das Leben läuft voran und so laufen auch wir durch die Uni und bereiten uns hier auf unser weiteres Leben vor. Zeit zum Verschnaufen bleibt wenig. Schon zu Beginn des Studiums müssen wichtige Dinge geklärt werden. Wohin ins Ausland? Wo mache ich mein erstes Praktikum? Was muss ich eigentlich leisten, damit ich auf dem Arbeitsmarkt bestehen kann?

Straff, durchgeplant, ohne Lücke, einem roten Faden folgend – all das sind Attribute, die einen vermeintlich perfekten Lebenslauf beschreiben. Der perfekte Absolvent hat nicht nur gute Noten, sondern mit einem abgeschlossenen Bachelor im Alter von 22 Jahren auch noch einen Auslandsaufenthalt in der Tasche, praktische Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen gesammelt und hat sich in der Studienzeit sozial engagiert.

Vor einiger Zeit war es noch so, dass man ein Studium begann und sich erst einmal treiben ließ. Passte das Fach nicht, so wechselte man. Einmal, vielleicht auch zweimal, um dann nach zwölf oder 13 Semestern einen Abschluss zu machen. Darüber, was ein Personaler zu den vermeintlichen Lücken im Lebenslauf sagen würde, machte man sich wenig Gedanken. Die Studierenden damals ließen ihr Leben laufen. Sie hetzen nicht von einem Projekt zum nächsten. So blieb auch genug Zeit, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Nach einem dreijährigen Bachelorstudium ist es nicht verwunderlich, dass sich manch einer gehetzt fühlt und keine Zeit hat, mal nach zu denken, tief Luft zu holen und sich zu fragen: Was will ich eigentlich? Doch darum geht es in dieser Lebensphase – herauszufinden, was man wirklich will. Und das braucht Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Viele Studierende wirken heutzutage zunehmend gejagt. Sie bewegen sich mit einer hohen Geschwindigkeit auf der Straße des Lebens, fragen sich häufiger, wohin als nächstes, anstatt auszuharren und sich umzuschauen. Sie befinden sich auf der Überholspur. Doch ist ein Leben auf der Überholspur überhaupt erstrebenswert?

Stellt man sich das Leben wie eine Reise in eine fremde Stadt vor, so ist es unsinnig, sich nur auf der Autobahn aufzuhalten. Um die Stadt richtig kennen zu lernen, ist es essentiell mal in kleine Seitenstraßen oder gar Sackgassen zu gehen. Das kleine Café oder eine nette Boutique findet nur derjenige, der sich traut auch mal in unbekannte Straßen und Ecken zu schauen, und dann überrascht wird. Das wichtigste hierbei ist doch, einfach mal inne zu halten, sich umzusehen. Wenn eine schöne Straße erblickt wird, einfach abbiegen und sie von Nahem kennen lernen. Das funktioniert jedoch nur mit gedrosseltem Tempo. Wer sich mit 180 Sachen auf der Überholspur des Lebens befindet, hat wenig Chancen, den Blickwinkel zu wechseln. Dazu ist es viel wichtiger, mal anzuhalten und den Ausblick zu genießen.

Die Frage ist aber, ob dafür noch Zeit ist. Erleben will jeder etwas; bloß studieren reicht den meisten Studierenden heute nicht mehr. Dies ist auch nachvollziehbar, aber mehr als wünschenswert ist es doch, hierfür mehr Zeit zu haben, um die Freiräume des Lebens erkunden zu können.

Von Steffi Nitsche