Theater Lüneburg - Pressefoto - Jochen Quast - Yvonne, Prinzessin von Burgund

Theater Lüneburg inszeniert ‚Yvonne, Prinzessin von Burgund‘ neu – Ein Stück über Macht, Schweigen und Schuld

1935 von Witold Gombrowicz geschrieben, 2025 vom Theater Lüneburg neu interpretiert: Kann die modernisierte Inszenierung eines Stückes so funktionieren, dass sie auch aktuelle Themen und gesellschaftliche Debatten anspricht? Aus der Kritik am höfischen Getue wird die Kritik an der Unsichtbarkeit von Femiziden und Gewalt an Frauen.

Das Licht wird gedimmt, die Unterhaltungen im Saal ebben ab. Eine junge Frau, sie trägt ein korallfarbenes Kleid, betritt die Bühne, macht den Mund auf und… sagt nichts. Sie probiert es erneut, diesmal mit mehr Nachdruck. Durch das Mikrofon kann man sie scharf einatmen hören. Doch wieder bringt sie die Worte, die ihr auf der Zunge liegen, nicht über die Lippen. Ein Raunen links im Publikum: „Stimmt, sie spricht ja nicht.”

Sie ist Yvonne. Die Bühne gehört zum Theater Lüneburg. Und soeben hat das Stück ‘Yvonne, Prinzessin von Burgund’ begonnen. Es handelt von einer jungen Bürgerlichen, die selten bis gar nicht spricht und deshalb als apathisch, als andersartig und fremd von ihren Mitmenschen wahrgenommen wird. Yvonne wird verspottet, verhöhnt und gedemütigt, doch sagt nach wie vor nichts. Nicht, dass ihr das viel geholfen hätte. Ihr werden Gedanken zugedacht, Meinungen in den Mund gelegt und alles, was sie tut, wird entweder ignoriert oder missinterpretiert. Der Prinz fängt an, sie zu umwerben, so wie er es nennt. Weil ihm langweilig ist. Weil er mit Yvonne an seiner Seite immer etwas zu Lachen hätte. Nicht mit ihr, sondern über sie. Er unterscheidet sich nicht von ihren anderen Mobber*innen.

Als ich die Beschreibung des Stückes zum ersten Mal gelesen habe, wurde ich wütend. Schon wieder musste eine Frau für die Gesellschaftskritik eines männlichen Autors (Witold Gombrowicz) beide Wangen hinhalten. Ihre Wehrlosigkeit mache sie erhaben? Sie sei der Spiegel, der die verkommenen Persönlichkeiten ihrer Mitmenschen ans Tageslicht bringe? Als notwendiger Gegenpol würde Yvonnes Gegenwart die Hofgesellschaft mit ihren Marotten und Gepflogenheiten zu einer grotesken Farce mutieren lassen? Na klar, wie Künstler nackte Frauenbilder malten und dann behaupteten, die Nacktheit stünde für die Offenlegung der Wahrheit. Wer’s glaubt.

Doch zurück zu Yvonne. Denn in der Inszenierung des Theaters Lüneburg wird einiges in Kontext gesetzt. Yvonne wird zu einer Stimme unter vielen anderen misshandelten Frauen und Opfern von Femiziden. Kathrin Mayr, die Regisseurin, möchte den Fokus weglenken von den Fragen: Warum unternimmt Yvonne nichts?, Weshalb sagt sie nichts gegen die Schikane? Auch in unserer Gesellschaft wird durch solche Fragen die Schuld dem Opfer zugeschrieben: Was hatte sie an?, Wieso hat sie nicht ‘nein’ gesagt?, Warum hat sie sich nicht gewehrt?.

Stattdessen sollen sich die Zuschauer*innen den Handlungshintergründen der Täter*innen, der Hofgesellschaft zuwenden. Ganz in weiß gekleidet, vor einem weißen Bühnenbild, spielen sie mit überbordenden Gesten, Unmengen von Text, in dem sich selten etwas Gehaltvolles verbirgt, und dramatischen Gefühlsausbrüchen ihr Spiel. Yvonne steht in jeder Hinsicht dazu im Kontrast. Als Zuschauer*in soll man lachen, über das Lustige, über das absurde Getue der Hofgesellschaft. Man merkt, wieviel Spaß die Schauspieler*innen selbst beim Spielen haben. Doch muss man auch schlucken, bei den Geheimnissen, die nach und nach ans Licht kommen, je mehr die Launen am Hof eskalieren.

In der dramaturgischen Einführung heißt es: „Einem wird das Lachen im Halse stecken bleiben”, und genau das passiert vielen der Zuschauer*innen, wie sie im Nachgespräch erzählen. Selbst habe ich immer geglaubt, wer ins Theater geht, muss mindestens drei Stunden still und schweigend ausharren, bloß keine Regung zeigen, um die Künstler*innen auf der Bühne nicht zu stören. Doch bei dem Nachgespräch erklären einige der Schauspieler*innen, sie würden sogar auf Reaktionen aus dem Publikum warten. So wird aus einem stummen Kunstwerk ein Stück zum Nachdenken und Reflektieren. Was wird in unserer Gesellschaft als normal angesehen? Was sagt das über uns aus? Weshalb ist das Unbekannte für so viele Menschen so beängstigend?
Kein leichtes Unterfangen, darauf eine Antwort zu finden.


Die gelungene Aufarbeitung und Inszenierung von ‘Yvonne, Prinzessin von Burgund’ ist noch bis zum 09. Januar 2026 im Theater Lüneburg zu sehen. Infos über genauere Termine und Tickets unter https://www.theater-lueneburg.de/yvonne-prinzessin-von-burgund


Foto: Jochen Quast