Handwerkliches Können ist keine Frage des Geschlechts. Lisa steht in meinem Zimmer. Auf dem Boden sind Dübel und Schrauben verteilt. Ich knie auf dem Boden und schlage Nägel in das Holz eines Schubladenschränkchens. Angestrengt schaut Lisa auf das Papier in ihren Händen und lässt dann resigniert den Blick schweifen, während ich die schon montierten Schubladen in den Schrank einschiebe. Erleichtert schnaufe ich und betrachte mein Werk. Derweil hat sich Lisa zu den Schrauben vorgetastet und bewegt ein Päckchen von ihnen in der Hand. Ich suche den Boden ab. Aha, da ist er. Ich reiche Lisa den Schraubenzieher. Doch diese schüttelt vehement den Kopf. „Ich hab’ so etwas noch nie gemacht“, sagt sie bestimmt. Ich schaue sie ungläubig an. „Das ist doch nur ein Schraubenzieher. Komm her. Das ist ganz leicht. Und leg die blöde Bauanleitung weg! Die brauchen wir nicht.“ Unter meinem guten Zureden, Zeigen und gelegentlichem Eingreifen, schafft Lisa es dann doch, die Schrauben einzudrehen, die Scharniere und die Rückwand zu befestigen und die Tür in den Schrank einzusetzen. Das war doch gar nicht schwer!
„Sowas mach’ ich nicht. Ich bin eine Frau. Für solche Arbeiten gibt es Männer.“ Bei diesem Satz fallen mir vor Schreck fast die Ohren ab. Wie bitte? Ich muss erst einmal nach Luft schnappen und mir auf so etwas eine Antwort überlegen. „Aber ich bin doch auch eine Frau“, entfährt es mir. Mhm..war das jetzt auf die gleiche Art sexistisch und platt? Bin ich denn eine? Lisa steht immer noch da. Sie schaut mich an, als müsste sie mir jetzt etwas klarmachen, was alle um mich herum schon lange wissen. „Andrea …“, sie seufzt und macht eine Pause. Ihre Augen streifen leicht die Decke. „Du bist eine Lesbe.“ Was soll das heißen? Bin ich Angehörige eines dritten Geschlechts, oder sind Lesben einfach die besseren Männer?
Unumstritten ist, dass ich unsere gesamte Wohnung mit meinen eigenen Händen renoviert habe. Ich habe mich daran gemacht, Tapeten abzureißen, Wände zu verputzen, neue Tapeten anzukleben und zu streichen, habe mit Hilfe meiner Freundin Waschbecken und Spülkasten montiert, Leitungen abgeklemmt und Löcher in die Wand gebohrt, Türen und Regale abgeschliffen und lackiert. Unumstritten ist auch, dass ich zurzeit lange Haare habe, mich jeden Morgen schminke, selbst wenn ich den ganzen Tag zu Hause sitze. Ich trage, wenn auch selten, Röcke und Kleider. Aber selbst unter solchen Umständen hat die Lesbe von Welt den Akkuschrauber immer in der Handtasche, während sie versucht die Welt mit Yogitee, Dinkelkeksen und Fußball in lila Latzhosen ein kleines bisschen besser zu machen.
Frauen, die zu betont feminin sind, werden in der Szene eher belächelt, wenn sie es nicht durch einen sehr bestimmten Charakter wieder wettmachen. Lesben lieben starke, kluge, kreative, unabhängige, abenteuerlustige Frauen. Was Männern manchmal Angst zu machen scheint, finden wir unwiderstehlich. Unumstritten ist, eine Lesben nervt ihre monatliche Periode genauso wie ihre Freundin und weiß, was es heißt, dem allgemeinen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt zu sein, sich komplett zu enthaaren. Aber Vorsicht, auch Frauen, die Frauen lieben, können wahnsinnig abschätzig sein. Da wird dann über Frauen und die neusten Eroberungen geredet wie beim Stammtisch im Wirtshaus.
Was bin ich nun? Eine Frau mit männlichem Anteil, ein besserer Mann oder einfach eine Lesbe? Ich denke, auch das hat wieder etwas mit Lebensumständen und gelebten Rollen zu tun. Für mich ist es nicht sinnvoll, mich zu sehr vom männlichen Geschlecht abzugrenzen. Warum auch? Letztendlich möchte ich die Frau, die mich fasziniert, beeindrucken, und sie mich. Da in dieser Gleichung keine Männer vorkommen, nehme ich sie eigentlich gar nicht wirklich als Variable für mein Bild von mir wahr. Vielleicht führt das zu dieser anderen Lebenseinstellung, die einen Gedanken wie Lisas Äußerung vollkommen absurd klingen lässt.
Nun Mädels, ich kann mich auf keinen starken Mann verlassen. Ich muss mein Sofa schon selbst aus dem fünften Stock runterschleppen, die Glühbirne wechseln und den Toaster reparieren. Das ist nichts, was mir Angst macht, denn der Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Not macht erfinderisch und zeigt uns allen unsere verborgenen Talente. Ja, und Menschen sind wir ja alle irgendwie – egal ob Mann, Frau oder Lesbe.
Von A.U.