Warum man sich nach dem Stöbern nicht besser fühlt Jeder kennt es: das Briefgeheimnis. Verankert in Artikel 10 unseres deutschen Grundgesetzbuches schützt es uns vor Indiskretion. Aber hält sich auch jeder daran? Und was sind die Folgen bei Verletzung des Briefgeheimnisses?
Nun, im 17. Jahrhundert wurde man für derlei Vergehen noch mit Landesverweisung und Staupenschlag bestraft. Bei Letzterem musste ein Verurteilter für diese unehrbare Strafe Schläge am Pranger erdulden, die ihm mit Reisigbündeln, sogenannten „Staupen“, zugefügt wurden. In diesen Staupen waren zudem oft kleine Metallstücke eingearbeitet. Heutzutage liegt ein Straftatbestand vor, wenn ein verschlossenes Schriftstück gegen Kenntnisnahme Dritter unrechtmäßig geöffnet wird. Bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder ein Bußgeld können anfallen, wenn man sich beim Stöbern erwischen lässt.
Und ein schneller Blick in den elektronischen Posteingang vom Kollegen? Auch die E-Mail-Spionage ist verboten! Unbefugtes Lesen fremder Mails fällt unter das Brief- bzw. Postgeheimnis. So berichtet das Onlinemagazin für Telekommunikation und Internet von einem Urteil im Jahre 2005, in dem das Oberlandesgericht Karlsruhe einem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter einer Universität in Baden-Württemberg zu Recht verhalf, als der diese verklagte. Die Uni hatte zwei Jahre zuvor angeordnet, alle eingehenden beziehungsweise ausgehenden Mails des Ausgestoßenen herauszufiltern. Weder das Opfer noch seine Kontaktpersonen wurden darüber informiert. Lediglich eine Sperrung der E-Mails wäre legitim gewesen. Jedoch auch dieses nur bei einem triftigen Grund, wie beispielsweise der Schutz vor einer Virus-Attacke, so das Landesgericht Karlsruhe.
E-Mails und „verschlossene Schriftstücke“ wie Briefe sind also tabu. Bleibt noch das Handy? Das ist ja nicht direkt „verschlossen“. Ist es moralisch zu vertreten, fremde Kurzmitteilungen zu lesen? „Nein! Natürlich nicht!“, werden jetzt einige im Brustton der Überzeugung rufen. Aber mal ganz ehrlich: Was tun, wenn der Freund ein wenig zu häufig, scheinbar beiläufig, von der Ex berichtet? Offensichtlich herrscht jedoch reger SMS-Verkehr mit „Jemandem“ und auf konkrete Nachfrage bekommt man nichts außer einer abwehrenden Handbewegung und einem verschmitzten Grinsen. Da ist die Neugier schon groß und die Verlockung süß, wenn das Handy dank männlicher Unachtsamkeit unbewacht herumliegt. Was auch tun, wenn der Partner so verschlossen und introvertiert ist, dass augenscheinlich gar keine andere Möglichkeit besteht, als auf Privatermittlung zu gehen, um die Beziehung zu retten? Vielleicht müsste frau gar nicht stöbern, wenn mann von vornherein etwas offener wäre und durch Kommunikation sämtliches Misstrauen im Keime erstickt werden könnte. Schnüffeln oder nicht schnüffeln – das ist hier wohl die zentrale Frage.
Für gesetzestreue Anti-Schnüffler ist die Antwort eindeutig: Finger weg von fremden Handys, Briefen und PCs. Stellt sich der Verdacht als unwahr heraus, ist die Scham zu Recht groß. Bestätigt sich die Vermutung, ergeht es einem auch nicht besser, denn so ist man nicht nur hinter einen Vertrauensmissbrauch gekommen, sondern hat selbst einen begangen.
Wie peinlich Stöbern sein kann, zeigt der Fall meiner Großmutter. Die fand eine ominöse Nummer im Jackett ihres Ehemannes und war von neugierigem Misstrauen ganz besessen. Nach unzähligen, erfolglosen Anrufen und einer in der Zwischenzeit völlig verzweifelten Oma stellte sich heraus, dass die gefundene Zahlenkombination keine Telefon- sondern eine Kontonummer war. Nämlich die meines Großvaters. Der hat im zunehmenden Alter Schwierigkeiten mit seinem Zahlengedächtnis. Zugegeben, hier wurde nicht in Schriftstücken sondern in Jackentaschen gewühlt.
Aber gibt es nicht auch Situationen, in denen eine Verletzung des Briefgeheimnisses zu entschuldigen wäre? Folgende könnte so eine sein:
Meine Friseurin hat durch unerlaubtes Briefeöffnen bei einem Besuch ihrer Schwester deren Schulden aufgedeckt. Die hatte sich ihre neue Gitarre durch einen Kredit finanziert. Bedauerlicherweise war die Rückzahlung noch nicht ganz durchdacht. So flatterten nach und nach die Mahnungen ins Haus, die dort ungeöffnet gesammelt wurden. Die Schuldnerin frönte währenddessen ihren musikalischen Neigungen und verschloss die Augen vor der Wahrheit. Nach einem handfesten Familienkrach sprangen erfreulicherweise die Eltern ein und regelten den finanziellen Engpass.
Offensichtlich bewegen wir uns trotz gesetzlicher Reglementierung in einer undurchsichtigen Grauzone. Schließlich hat meine Friseurin ihrer Schwester einen Gefallen getan und sie vor einer eventuellen Anzeige bewahrt. Trotzdem hat sie gegen das Gesetz verstoßen. Meine Großmutter hätte sich viel Ärger erspart, wenn sie auf die Schnüffelei verzichtet hätte. Allerdings wäre dann auch nicht der frische Wind in das etwas eingestaubte Eheleben geweht, den die kleine „Nummernkrise“ ausgelöst hat.
Letzten Endes muss jeder selbst entscheiden, ob das Schnüffeln mit dem eigenem Gewissen vereinbar ist oder ob man doch lieber nach der Devise lebt: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!
Annika Höppner