Das Studi-Schauspiel fand zum wiederholten Mal im Sommer 2024 statt – eine Kooperation zwischen dem Lüneburger Theater und Studierenden. Ein kleines Ensemble erprobte innerhalb von zwei Wochen ein eigenes Stück. Die entstandenen Texte zu teilen, erscheint nun wichtiger denn je. Das Stück behandelt verschiedene Krisen, allen voran: den Rechtsruck. Am 23.02. ist Bundestagswahl und die Umfragewerte spiegeln ein gespaltenes Deutschland wider.
Das Studi-Schauspiel-Ensemble 2024 tauchte unter dem Arbeitstitel „Sie haben etwas anderes erwartet“ tief in die Auseinandersetzung mit Falk Richters Stück Fear (deutsch: Angst) ein. Das Stück fängt die aufgeladene Stimmung der 2010er-Jahre ein – den Unmut über die Flüchtlingsbewegung, die hitzigen Debatten um Merkels Politik und die zunehmend radikaleren Pegida-Demonstrationen. 2015 uraufgeführt und 2016 überarbeitet, ist es heute aktueller denn je.
Begleitet von eigenen Texten, Musik und selbstgeschriebenen Songs fand das Studi-Schauspiel seine ganz eigene Melodie. Um Expertenwissen einzubeziehen, trafen sich die Studierenden mit dem Rechtsextremismus-Beauftragten Lüneburgs, Dominique Haas. In einem gemeinsamen Interview mit ihm und der theaterpädagogischen Leitung Jan-Phillip Walter Heinzel, ergaben sich neue Einblicke. Besonders in der Umgebung von Lüneburg, in den kleinen Städten und Dörfern, sei das Aufkommen rechtsextremistischen Gedankenguts hoch.
Auf der Website des Landkreis Lüneburgs steht passend dazu zusammengefasst: „Auch im Landkreis Lüneburg existiert Rechtsextremismus. Dieser tritt zum einen in der Gestalt extrem rechter Gruppen, wie Völkische Siedler oder Reichsbürger, auf. Zum anderen zeigt er sich ideologisch: immer dann, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, Sexualität oder Geschlecht abgewertet werden. Rechtsextreme Ideologie gefährdet Einzelne im Konkreten und Demokratie im Allgemeinen.“
Zeitgleich zu den ersten Aufführungen des Studi-Schauspiels fanden die Europawahlen statt. Während der Premiere riefen die Studierenden dazu auf, ihre Stimme unbedingt zu nutzen. Die Message ist eindeutig: „Geht wählen, gegen rechts!“. Nach der Wahl wurde klar: Die AfD-Zustimmung vor allem unter den 16–24-Jährigen ist besonders hoch. Boomer sei Dank – sie haben uns gerettet, europaweit. Obwohl große Teile Lüneburgs der linken Bubble angehören, werden auch in Niedersachsen rechte Stimmen immer lauter.
Schon die zweite Aufführung des Studi-Schauspiels fühlte sich nach den einschneidenden Ergebnissen ganz anders an als die Premiere. Das, was die Studierenden da auf der Bühne sagen, entwickelte sich immer mehr zur Realität.
Wie umgehen mit dieser Angst? Dieser Ungewissheit?
Trotz des schwer zu verdauenden Stück-Inhalts war das Publikum begeistert. Viele nahmen das Gesehene mit nachhause, teilten es mit Freund*innen, Familie, WG-Mitbewohner*innen. Einige kamen ein zweites Mal in die Vorstellung. Sie berichteten über intensive Gespräche, die „Fear“ angestoßen hatte. Mehrfach wurde nach der Textfassung von „Sie haben etwas anderes erwartet“ gefragt, um das Gesehene noch einmal selbst nachlesen zu können.
Zum Teil basiert das Stück auf dem Original von Falk Richter. Ein anderer großer Teil ist selbst verfasst und kann unter dem folgenden Link nachgelesen werden. Die Studierenden trugen ihren Teil dazu bei, um eine Stimme auf der Bühne zu finden und der Verzweiflung Tatendrang entgegenzusetzen. Was können wir tun?
Ihre Antwort: Wir können ins Gespräch kommen. Wir können zuhören. Wir können versuchen, aufzuklären. Wir können unserer geteilten Angst Raum geben und dabei nicht vergessen optimistisch zu bleiben.
Was ist die Alternative zur Alternative?
Am 23.02.2025 findet die vorgezogene Bundestagswahl statt. Seit der letzten Aufführung des Studi-Schauspiels hat sich politisch weltweit viel verändert. Angesichts der angespannten Lage – vom Ukraine-Krieg über den Nahost-Konflikt bis hin zu einem neu gewählten ‚Sheriff‘ im Westen – verspüren viele Hoffnungslosigkeit. Doch gerade jetzt gilt: Nicht wählen ist auch keine Option.
Der Rechtsruck, der sich bereits bei den Europawahlen 2024 deutlich zeigte, hat sich weiter verstärkt. Die AfD konnte ihre Zustimmungswerte in mehreren Bundesländern ausbauen, vor allem in Ostdeutschland. Doch es bleibt kein ostdeutscher Einzelfall. Gleichzeitig geriet die Ampel-Koalition zunehmend unter Druck: Wirtschaftliche Unsicherheiten, innenpolitische Differenzen und die anhaltende Unzufriedenheit in der Bevölkerung führten zu einer Regierungskrise, die schließlich zur Auflösung des Bundestages führte.
Diese Entwicklungen sind kein isoliertes deutsches Phänomen. In vielen europäischen Ländern erstarken rechtspopulistische und nationalistische Parteien. Frankreich, die Niederlande, Italien – überall haben rechte Kräfte an Einfluss gewonnen. Die Gründe dafür sind vielfältig: wirtschaftliche Unsicherheiten, Migrationsdebatten und ein wachsendes Misstrauen gegenüber etablierten Parteien.
Gerade für junge Menschen bedeutet diese politische Lage eine Herausforderung. Die Ergebnisse der letzten Wahlen haben gezeigt, dass viele Erstwähler*innen nach rechts tendieren. Soziale Medien, Fake News und gezielte Desinformation spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Wie kann man dieser Entwicklung begegnen? Die Studierenden des Studi-Schauspiels haben mit ihrem Stück „Sie haben etwas anderes erwartet“ eine klare Antwort formuliert: Den Dialog suchen, aufklären, aktiv werden. Demokratie lebt von Beteiligung – und genau deshalb ist es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen mit den politischen Entwicklungen auseinandersetzen und ihre Stimme nutzen. Denn jetzt entscheidet sich, in welche Richtung sich Deutschland entwickelt.
Foto: t&w / Hans-Jürgen Wege