Wie Flüchtlingen in Deutschland das Recht auf ein würdevolles Leben verwehrt bleibt. Hand aufs Herz: Was wissen wir schon über Flüchtlinge, die in Deutschland leben? Seit Mitte der 1990er Jahre ist in der Politik nahezu gar nichts mehr von ihnen zu hören. Schlägt man die Zeitung auf oder denkt an die jüngsten Wahlkampfthemen, ist dort nicht von Menschen die Rede, die, von Krieg und Elend verfolgt, Asyl in Deutschland suchen. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für sich und ihre Familie, um endlich legal arbeiten und in Frieden leben zu können.
Jährlich kommen noch immer rund 20.000 Asylsuchende nach Deutschland. Viele leben seit über zehn Jahren hier, kommen aber über den Status „geduldet“ nicht hinaus. Jeden Tag müssen ganze Familien damit rechnen, abgeschoben zu werden. Im schlimmsten Fall werden dabei Kinder in ein Land geschickt, das ihnen fremd ist, dessen Sprache sie nicht sprechen und in welchem sie keinerlei Zukunftschancen haben.
UNIVATIV traf Pastorin Fanny Dethloff, Flüchtlings- und Menschenrechtsbeauftragte der Nordelbischen Kirche Hamburg sowie Bundesbeauftragte von Kirchenasyl und sprach mit ihr über die Situation von Asylbewerbern in Deutschland.
„Im Grunde kann man in Deutschland nur Asyl beantragen, wenn man mit einem Fallschirm eingesegelt kommt“, erklärt Dethloff. Die Grenzen Deutschlands sind nach einer Änderung des Grundgesetzes im Jahre 1993 nach außen hin faktisch dicht: Wer aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, kann sich nicht mehr auf ein Asylrecht berufen. Da Deutschland heute nur noch von sicheren Drittstaaten umgeben ist, ist eine Einwanderung praktisch unmöglich.
Wie gelangen Flüchtlinge dann über die Grenzen? Die meisten kommen mit Hilfe von Schleppern und müssen ihren Anreiseweg streng geheim halten, um nicht in eines der Länder, über welche sie gekommen sind, abgeschoben zu werden. Andere werden von in Deutschland lebenden Verwandten eingeladen, um dann hier Asyl zu beantragen.
Laut Dethloff gleicht das deutsche Asylverfahren einem einzigen „Unglaubwürdig-machen“ der Asylsuchenden. „Durch manipulative Fragetechniken wird in einer Art Schnellverfahren versucht, die Menschen wieder loszuwerden.“ Oftmals kommen sie schwer traumatisiert und auf geheimen Wegen nach Deutschland. Direkt nach der Ankunft müssen die Flüchtlinge inquisitorische Fragen über ihren Anreiseweg, ihr Heimatland, ihre Papiere und ihre Beweggründe über sich ergehen lassen. „Diese Art von Fragetechnik lässt die Asylsuchenden schlichtweg verstummen. Keiner kann über traumatische Erlebnisse sofort sprechen und die Flüchtlinge haben Angst davor, gleich wieder abgeschoben zu werden, weil sie die falschen Antworten gegeben haben. Deswegen werden sie dann als ‚unglaubwürdig’ abgestempelt und direkt in die Asylbewerberunterkunft gesetzt“, so die Pastorin.
Stattdessen müsse man ihnen vielmehr Zeit, Raum und Verständnis bieten, damit sie mit ihren wahren Beweggründen für die Flucht herausrücken. Oftmals setzen Ausländerbehörden bei allein reisenden Minderjährigen ein fiktives Alter an. Krieg, Hunger und traumatische Erlebnisse lassen Kinder altern, woraufhin 15-Jährige – ob sie Papiere haben oder nicht – oftmals als Erwachsene eingestuft werden. Dadurch wird ihnen eine Sonderbehandlung verwehrt.
„Mit diesem Asylverfahren versucht man, die Leute zu verunsichern“, sagt Fanny Dethloff. Man zeigt ihnen, dass sie nicht gewollt sind und besser freiwillig gehen sollten. Eine Rückkehr in ihr Heimatland stellt für sie aber keine Alternative dar. Viele tauchen daher ab und verdienen sich ihr Geld als „Illegalisierte“ in Restaurantküchen oder auf dem Bau. Dass sie trotzdem ein Recht auf vernünftige Entlohnung und einen Unfallschutz durch den Arbeitgeber haben, wissen die meisten nicht. Oder sie trauen sich nicht, ihre Rechte geltend zu machen. Einige Arbeitgeber nutzen das aus und machen sie zu „modernen Sklaven.“ Viel zu groß ist die Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. So zögern viele von ihnen auch lange, bevor sie einen Arzt aufsuchen. Dabei gibt es viele Ärzte, die bereit sind, Flüchtlinge unentgeltlich zu behandeln. Ärzte machen sich, entgegen der allgemeinen Befürchtung, nicht strafbar, wenn sie „Illegalisierte“ behandeln, erklärt Frau Dethloff: „Humanitäre Hilfe ist niemals strafbar.“ Trotzdem haben Organisationen wie Kirchenasyl und Proasyl in Deutschland immer wieder mit Anzeigen wegen „Unterstützung illegalen Aufenthalts“ zu kämpfen.
Kirchenasyl schreitet immer dann ein, wenn eine Familie oder Einzelperson abgeschoben werden soll. Durch Gespräche, Therapien und psychologische Betreuung werden Beweise und Gründe für ein Recht auf Aufenthalt gesucht und fast immer auch gefunden. „In 90 Prozent der Fälle können wir beweisen, dass die Behörden nicht gut gearbeitet haben“, betont die Flüchtlingsbeauftragte Dethloff. So konnten beispielsweise kurdischen Frauen schwerwiegende Traumata attestiert werden. Bei der Flucht aus türkischem Gebiet war es Anfang der 1990er Jahre zu Massenvergewaltigungen auf Polizei- und Militärbehörden gekommen. Mit diesem Tatbestand erwirkte Kirchenasyl eine Abschiebesperre der kurdischen Familien.
Andere haben weniger Glück. Obwohl viele von ihnen schon seit über zehn Jahren in Deutschland leben, ihre Kinder hier geboren wurden und zur Schule gehen, sitzt Menschen mit dem Status „geduldet“ die Angst im Nacken, jeden Tag abgeschoben werden zu können. Ein Bleiberecht erhält nur, wer durch ein Beschäftigungsverhältnis seinen Lebensunterhalt eigenständig bestreiten kann. In der heutigen Zeit gibt es aber schon für viele Deutsche wenig Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz. Wie sollen da Menschen, deren Duldung jeweils nur um drei Monate verlängert wird, einen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz finden?
Ein Beispiel: Die Familie K. aus dem Kosovo lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Alle sprechen gut Deutsch, die jüngsten Kinder wurden in Deutschland geboren, die beiden Älteren sind mit Deutschen liiert. Herr K. hat sich jahrelang gemeinnützig engagiert, aufgrund seines Duldungs-Status jedoch nie einen festen Arbeitsplatz erhalten. Nun soll die Familie abgeschoben werden. „Man lässt sie über Bürokratiehürden stolpern“, so Dethloff. Auf der einen Seite fordern Politiker, Migranten sollen sich assimilieren, auf der anderen Seite wird ihnen die Anpassung verwehrt. „Man kann nicht erwarten, dass sich ein Mensch anpasst und einfügt, wenn man ihm stets das Gefühl vermittelt, er sei unerwünscht.“
So geriet auch ein junger in Bayern lebender Türke auf die schiefe Bahn, nachdem die Integration „gescheitert“ war. Die Strafe für dieses „Scheitern“ war die Abschiebung in sein „Heimatland“, dessen Sprache er nicht spricht und in welchem er keinerlei Bezugspersonen hat.
In Lüneburg leben ca. 40 Erwachsene Asylbewerber und 60 Kinder verschiedenster Nationalitäten in zwei Wohncontainern im Meisterweg. Das Gelände ist von einem Stacheldrahtzaun umgeben, auf den Fluren der Container steht Rattengift.* Dieses Umfeld macht die Forderung nach Assimilation aussichtslos.
„Es muss sich grundlegend etwas ändern“, meint Dethloff. „Solange Flüchtlinge und Asylsuchende abgeschottet ‚aufbewahrt’ werden und ihnen eine Integration durch ungeeignete Verfahren verwehrt wird, können sie und die Deutschen nicht aufeinander zugehen.“ Ein bisschen weniger Bürokratie und dafür ein normalerer Umgang wäre wünschenswert. Dann wäre es vielleicht auch eines Tages so, dass ein Kind aus Bosnien gleiche Chancen wie ein deutsches hätte und die jüngsten Verbrechen nicht mehr betont oft von „Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ begangen würden. Dann müsste die gesamte Familie Y. aus dem Iran auch nicht abgeschoben werden, wenn ihr Sprössling Ajdin gemeinsam mit Torsten ein Strafdelikt begangen hat, weil es die nach wie vor geltende Sippenhaft nun mal so fordert. Bis dahin setzt sich Kirchenasyl dafür ein, möglichst vielen Flüchtlingen einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen und würdevoll zu gestalten.
Von Mirja Hammer
*Mehr Infos auf den Seiten des AStA-Antira-Referats (http://www.asta-lueneburg.de/referate0/antira/)