Über die Kletteraktivistin Cécile Lecomte. Ich besuche Cécile Lecomte in ihrem Zuhause, einer Bauwagensiedlung in Lüneburg. Es ist einer der seltenen Tage, an denen sie dort anzutreffen ist. Die junge Französin ist viel unterwegs. Cécile ist Vollzeitaktivistin, im Kampf gegen Atomkraft, Gentechnik, Globalisierung, Konsum – kurzum für eine bessere Welt. Ihr „Arbeitsgebiet“ ist über den Köpfen der Menschen: in Bäumen, Bahnhofshallen, an Strommasten … manchmal tagelang. Schon als Kind klettert sie zusammen mit ihrer Familie, später gewinnt sie Wettbewerbe. Beim Bergsteigen erfährt sie ein Gefühl der Freiheit, der Kreativität, und wie es ist, als Mensch den Naturgewalten gegenüberzustehen. Doch das die Natur die Lebensgrundlage des Menschen ist, vergesse dieser zu oft, kritisiert Cecile: „Was will der Mensch denn ohne die Natur anfangen?“ Die zunehmende Zerstörung der Umwelt erweckt in ihr politisches Interesse. Während ihres BWL Studiums in Frankreich hinterfragt sie das Postulat Wirtschaftswachstum, 2004 beginnt sie mit dem Aktionsklettern.
Als Paradox empfindet Cecile den gesellschaftlichen Umgang mit Risiken. „Bergsteigen, das ist eine andere Perspektive als diese ultrasichere Gesellschaft“, sagt sie. „Unsere Gesellschaft lässt zu, dass Millionen Menschen gegen ihren Willen Risiken eingehen müssen, wie bei der Atomkraft. Andererseits lassen viele ihre Kinder kaum noch alleine rausgehen, aus Angst ihnen könnte was passieren!“ Ihre waghalsigen Aktionen werden oft als krank oder verrückt abgestempelt. Jedoch weiß sie immer, welches Risiko sie eingeht und was passieren kann. Zumindest beim Klettern.
Anders ergeht es ihr mit Polizei und Justiz. Lüneburgs Polizeipräsident Friedrich Niehörster bezeichnet sie vor der Kamera des NDR als einen „Störfaktor“. Gerade nach Lüneburg gezogen, wird sie polizeilich überwacht, zur „Gefahrenabwehr“: Sie könnte am Tag X über den Gleisen hängen. Es folgt die Festnahme im Herbst 2006, Cécile wird vom Fahrrad gestürzt, schlägt mit dem Kopf auf und hat Erinnerungslücken. Vor dem Castortransport 2008 folgt erneut mehrtägiger Langzeitgewahrsam, rein präventiv.
Meistens ist Cecile kein rechtliches Vergehen vorzuwerfen, sondern lediglich Ordnungswidrigkeiten. Es sind vielmehr die ungeschriebenen Gesetze und Normen, gegen die sie verstößt. Wenn sie etwa in Frankfurt mehr Lust hat, auf ein Hochhaus zu klettern, als einen Einkaufsbummel zu machen, „Juristisch war das nicht verboten“, so die Aktivistin. 2009: Zwölf Stunden Gewahrsam in Gießen (Schlafentzug und Zwangsentkleidung inklusive), weil sie die Fassade des Landgerichtes erkletterte und mit Kreide beschrieb. Die Tatsache, dass das Vorgehen des Landgerichtes im Nachhinein als rechtswidrig eingestuft wurde, stellt den Glauben an den deutschen Rechtsstaat nur teilweise wieder her.
Doch die Härte, mit der gegen Cécile vorgegangen wird, zeigt ihr auch die Effektivität ihrer Aktionen. 2008 hat alleine ihre Kletteraktion den Castorzug für sieben Stunden aufgehalten. Das Medienecho ist enorm, längst ist sie zu einem Symbol des zivilen Widerstands geworden. Resignieren und aufgeben sind für Cecile nie Alternativen gewesen. Sie wehrt sich mit den Waffen des Systems, eignet sich juristisches Wissen an und führt ihren Prozess selbst. Manchmal sind zur Unterstützung Clowns mit Luftschlangen im Publikum, ein kreativer Beitrag, um die Drohgebärden der Justiz zu untergraben. Unterstützung erhält sie auch von der „Bewegungsstiftung“. Diese vermittelt Paten an Cecile, die sie finanziell unterstützen und das Leben als Vollzeitaktivistin ermöglichen. So wird sie auch weiterhin von Demo zu Gerichtsprozess reisen, klettern, schreiben und übersetzen.
Von Judith Trechsler