Radbruch – Heideidylle oder Pampaflop?

Die kleine Unbekannte: Zu Besuch in Radbruch, Hauptstadt der Gegend um Radbruch herum.

Auf halber Strecke zwischen Hamburg, von Schleswig-Holsteinern liebevoll als „Perle des Südens“ bezeichnet, und der von einfallslosen Tagestouristen (man hofft zumindest für sie, dass es Tagestouristen sind) überlaufenen Stadt Lüneburg liegt die Ortschaft Radbruch. Setzt man sich in den Metronom, der immer so gleichmäßig-pünktlich ist, nun ja, wie Maurer eben, besteht eine gewisse Chance, dass der Zug auch in Radbruch hält. Nur eine gewisse Chance, denn es halten nicht alle Metronome in Radbruch, einige fahren auch nach Bremen.

Rattert man also abends nach langem Tag von Hamburg heim nach Lüneburg und hat leider den langsamen Metronom erwischt, denkt man sich schon mal melancholisch-müde an die Fensterschreibe gelehnt: „Was für dumme Wichser haben eigentlich dieses beschissene Kackdorf gegründet, und es dann auch noch Radbruch genannt und warum hält der scheiß Metronom da?“ Weniger cholerisch veranlagte Menschen würden sich wohl mit einem „Die halbe Stunde mehr nach Hause ist es mir allemal wert, nicht in Radbruch zu wohnen“, begnügen.

Leider verändern sich Wörter und insbesondere Ortsbezeichnungen im Laufe der Zeit – wussten Sie beispielsweise, dass der Name Berlin aus der Verniedlichung von Bär – Bärchen – Bärlein – Berlin entstanden ist, was darin begründet liegt, dass an der Stelle des heutigen Berlin der damals größte Bären- zucht- und Umschlagsplatz (ja genau, dort wurden ganze Bärenzuchten umgeschlagen) Preußens beheimatet war? – und so kommt es unausweichlich zu viel zu langen Satzeinschüben. Auf jeden Fall hieß Radbruch nicht schon immer Radbruch, eine Tatsache, die für den Verlauf dieser Geschichte aber unvorteilhaft ist, daher muss dieses Detail unerwähnt bleiben.

Radbruch, das 8 m ü. NHN liegt und von Word nicht rot unterkringelt wird, hat in Wirklichkeit eine ganz andere Entstehungsgeschichte, die, obwohl alt, mit ein wenig an die Hand genommenen Nachdenkens eine Moral beinhaltet, die aktueller nicht sein könnte.

Allein der Name spricht Bände. Radbruch, aus dem Prä-Rechtschreibreformistischen Ratbruch „einen (guten) Rat brechen, nicht mehr einhalten.“ Da früher die meisten Neusiedler aufgrund der geringen Lebenserwartung recht jung waren, lief ein solcher Ratbruch Radbruch betreffend dann wohl in etwa so ab: „Digga, siedel mal nicht genau da. Da ist absolut nichts.“ – Ratbruch – „Carpe diem“ (das damalige Yolo) – Radbruch. Aber so ist Radbruch natürlich nicht entstanden, aber so ähnlich. Aber davon handelt dieser Text nicht. Dieser Text handelt vom heutigen Radbruch und nicht von dessen Geschichte! Denn zwischen 1933 und 1945, ach, was soll der Geiz, zwischen 1252 (erste Erwähnung des Ortes als Rotersbrug) und 2018, ist in Radbruch nichts passiert!

Was also ist Radbruch nun? Radbruch ist…, tja.  Vieles. Der personifizierte – oder locofizierte? –  Status-Quo-Effekt, der Ihnen sicher schon einmal am Bahnhofskiosk beim Durchblättern von einem dieser Ratgeber à la „Die Kunst des klaren Denkens: 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen“ (Spiegel-Bestseller) aufgefallen ist und daher hinlänglich bekannt sein wollte.

Doch das wahre, unverfälschte Radbruch kann man eigentlich nicht beschreiben, kann nicht einfach einen Text darüber verfassen. Man muss es mit eigenen Augen besuchen. Denn bei allem, was Radbruch ist oder nicht ist, ist es auf jeden Fall eine Reise wert.

 

Titelbild: (C) flickr – darkday. Bild nicht in Radbruch aufgenommen aber mindestens so seelenlos.

Ernst Jordan

dont wait for me, if i care bout anything, anywhere losin myself, i get the stares what im lookin at, wasnt there (wasnt there)

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