Opening Ceremony 2024: Ein Appell an unser Denkvermögen

Am 1. Oktober fand die jährliche Eröffnungszeremonie für die neuen Studierenden an der Leuphana Universität statt. Neben wissenschaftlichen Talks und musikalischen Intermezzos gab es wohlwollende und zugleich mahnende Worte von Christian Brei, Sascha Spoun und Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch zu hören: Selbst denken sei die Devise, stetige Seitenhiebe gegen ChatGPT und co. inklusive.

Mit leichter Verspätung startete die diesjährige “Opening Ceremony” der Leuphana Universität im Auditorium des Zentralgebäudes um 10:18 Uhr. Ursache für die Verspätung, die zu einer Abänderung des Programmplans führte, waren die nicht enden wollenden Ströme an Erstsemestlerinnen (Erstis), die aus beiden Eingängen in den bis oben hin gefüllten Saal mündeten. Die Platzwahl gestaltete sich in diesem Jahr als schwierig, denn bei rund 1.400 erwarteten Studierenden und nur 1.100 Plätzen im Libeskind-Auditorium bekam nicht jede*r einen Sitzplatz. Die restlichen Studierenden mussten einen Livestream der Zeremonie im dem Foyer des Zentralgebäudes verfolgen.

Eingestimmt wurde das Publikum durch den obligatorischen musikalischen Auftakt durch Univeritätsmusikdirektorin Rebecca Lang am Klavier und die Violinistin Azadeh Maghsoodi. Die ersten Worte des Vormittags beanspruchte der Vizepräsident der Universität, Christian Brei, für sich. Mit ein paar offenen Fragen richtete er sich direkt an das Publikum und forderte zum Nachdenken über die eigene Zukunft auf: Wie stellen sich die Studierenden ihr neues Leben vor, mit welchen Erwartungen kommen sie an die Uni, wie bringt man sich in solchen ungewissen Zeiten ein?

Bis oben hin besetzt: An die 1.400 Studierende schauen bei der Eröffnungszeremonie der Opening Week 2024 zu.

Intelligenz – Titel und Schwerpunkt der Opening Week 2024

Nachdenken war auch das Stichwort für die folgende Rede von Sascha Spoun, die sich insbesondere mit dem Titel und Themenschwerpunkt der diesjährigen Opening Week befasste: “Intelligence”. Ziel der Studierenden während der Eröffnungswoche solle es sein, der Intelligenz auf die Spur zu kommen und das Potenzial des Menschen in Gesellschaften und seiner Umwelt zu begreifen und mitzugestalten – so schreibt es die Leuphana selbst auf ihrer Webseite zur Opening Week 2024. Das Motto Intelligenz teilt sich dabei in vier Unterkategorien, nach denen die verschiedenen Projektgruppen diese und kommende Woche arbeiten werden: Maschinen, Natur, Mensch und Gesellschaft.

Souverän, aber auch nicht zu sparsam mit der Verwendung von Floskeln und Buzzwords, betonte Spoun vor dem Publikum die Relevanz des Hinterfragens und der eigenen Neugierde und appellierte zugleich an unser Denkvermögen, welches wir nicht der Künstlichen Intelligenz überlassen sollten. Mit Phrasen wie “a stage for your curiosity” oder “a frame for questioning” erklärte er den Campus der Leuphana als Ort des Kritischen Denkens: ein Bild, das während keiner Opening Week fehlen darf.

Mit dem unterschwelligen KI-Bashing sollte es auch im zweiten Teil seiner Rede weitergehen, in welchem sich Spoun mit dem Begriff der Imagination auseinandersetzte. “Imagination is indispensable.”, unterstrich Spoun mit einer gut platzierten Redepause. Sie ermögliche es uns, die Welt in einem neuen Licht zu sehen und sie gebe uns neue Fähigkeiten und Möglichkeiten an die Hand, die Welt mitzugestalten. Künstliche Intelligenz hingegen habe diese dem Menschen angeborene Fähigkeit nicht: Sie sei sehr gut darin, Zusammenhänge zwischen Datenpunkten zu erkennen, könne sich aber nichts darunter vorstellen.

Angelehnt an das fehlende Denkvermögen von großen Sprachmodellen wie ChatGPT waren die gelungenen Abschlussworte, die Spoun an die neuen Studierenden richtete. Er betonte, dass es einfach sei, eine Meinung zu haben, da man diese blind von anderen übernehmen könne. Eine eigene Meinung zu formen sei hingegen eine Herausforderung und man müsse diese ständig neu hinterfragen. Dazu sagte Spoun treffend: “Forming an opinion is hard work. […] And without imagination we are unable to recognize that we are wrong”.

Wissenschaftlicher Talk mit Marina Weisband

Nach den einleitenden Reden folgte der erste von zwei wissenschaftlichen Vorträgen, ein Gespräch zwischen Christian Brei und der Psychologin und öffentlichen Intellektuellen Marina Weisband. Obwohl Vizepräsident Brei Fragen zur Intelligenz stellte, derer sich bereits Spoun teilweise in seiner Rede angenommen hatte, schaffte es Weisband, wohl auch begründet durch ihren wissenschaftlichen Hintergrund, dem Gespräch neue Facetten beizufügen.

So wollte sich die Psychologin unter anderem nicht auf eine genaue Definition von Intelligenz einlassen, da diese Frage für die Wissenschaft bis heute ein ungelöstes Rätsel bleibt. Methoden wie der IQ-Test seien eine sehr eingeschränkte und auch einschränkende Weise, die Intelligenz von Menschen zu messen und viele Prozesse, die Intelligenz ausmachen würden, seien gar nicht mit diesem Test messbar.

Zur Frage, was es bräuchte, um wirklich intelligent zu sein, entgegnete Weisband: “just curiosity.” – Nur Neugierde. Wenn man nur die Erwartungen anderer erfüllen möchte, würde man stets unglücklich leben und auch nicht intelligent handeln. In einer Anekdote verwies sie auf ihre Schulzeit, in der sie “zu viel” über Koalas gelernt hätte, da sie selbst die Motivation entwickelte, mehr über diese Tiere zu erfahren. Die Neugierde solle es sein, die uns zum Lernen antreibt, und nicht die Noten oder der Erwartungsdruck, ausgelöst durch andere.

Natürlich durfte auch in diesem Talk das Thema KI nicht fehlen, in welchem Christian Brei gegen Ende folgende Frage stellte: “Do we need a new Enlightenment?” – Brauchen wir eine neue Aufklärung, insbesondere in Hinblick auf die Nutzung von KI-Software? Die Psychologin antwortete abwägend, dass wir vor einem Umbruch stehen und die Digitalisierung der letzte große Schritt der Informationsverbreitung nach dem Buchdruck gewesen sei und die KI nun die nächste Ebene dieser Entwicklung darstellen könnte. Für Weisband ist KI ein zweischneidiges Schwert, da sie zum einen als ein “Tool” für produktive Prozesse sinnvoll eingesetzt werden kann, zum anderen seien die Gefahren wie die Verbreitung von Fehlinformationen oder die zunehmende Ersetzung von Arbeitspersonal durch KI eine große Gefahr für unsere Gesellschaft. Für Weisband seien KI-Systeme wie “Stochastische Papageien”, die herausragend gut analysieren und wiederholen, aber die generierten Inhalte selbst nicht verstehen können – eine Anlehnung an Elena Esposito.

Oberbürgermeisterin Kalisch stellt sich vor und Talk über KI-Anwendung in der Medizin

Was neben den zahlreichen Floskeln ebenfalls nicht auf einer Opening Week der Leuphana fehlen darf, ist die Willkommens-Rede der Oberbürgermeisterin Lüneburgs Claudia Kalisch, die um einen Zeitslot spontan nach vorne verschoben werden musste. Selbst Absolventin der Umweltwissenschaften an der Universität Lüneburg, damals noch ohne das Branding als Leuphana, richtete sie den Fokus ihrer Rede ebenfalls auf die Omnipräsenz von KI und betonte zu Beginn, dass diese Rede nicht von ChatGPT verfasst worden sei. Zentraler Punkt ihrer Rede bildete das Schlagwort “Social intelligence”, mit welchem sie betonte, dass wir uns nicht von KI oder anderen unser Denken abnehmen lassen sollen, da unsere Demokratie nur funktioniere, wenn wir miteinander interagieren und zusammenarbeiten – Eigenschaften, die eine KI höchstens imitieren kann.

Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch während ihrer Willkommens-Rede auf der Opening Ceremony 2024.

 

Der zweite Talk des Vormittags war ein Trialog zwischen den fragestellenden Leuphana-Professor*innen Ricardo Usbeck und Sylvia Haider, die mit Nils Schweingruber, dem Geschäftsführer von “Innovative Digitale Medizin”, über KI-Anwendungen in der Medizin redeten. Schweingruber, in seinem vorherigen Beruf als Arzt auf der Intensivstation tätig, entwickelte ein Großes Sprachmodell mit dem Namen ARGO, das nun im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zum Einsatz kommt. Die primäre Funktion der KI ist die Ausstellung von Entlassungsbriefen, wodurch der Arbeitsalltag der Angestellten erleichtert werden soll. Insgesamt stellte der zweite Talk ein gutes Kontrastprogramm zur restlichen Zeremonie dar, da hier konkret über die Einsatzmöglichkeiten von KI, aber auch über die Gefahren und Herausforderungen anhand eines greifbaren Beispiels debattiert wurde.

Ein gelungener Abschluss

Den Schluss der Veranstaltung bildete, neben einer weiteren Rede mit dem Thema “Constitutional Making” und der Relevanz zur Offenheit im Diskurs mit anderen, eine letzte Anmoderation des Vizepräsidenten Breis, der einigen der Erstsemestler*innen die Frage stellte, warum sie ausgerechnet an der Leuphana und nicht an einer anderen Universität studieren wollen – Ein gekonnter Kunstgriff, um das Publikum aus der Trance zu befreien, in die manche der Studierenden nach über anderthalb Stunden Talks und Reden gefallen waren, auch weil der Vizepräsident dieses Mal nicht vor der Menge, sondern mittendrin moderierte, wodurch der Blick des Publikums zwangsläufig wandern musste.

Die Interessenvielfalt der neuen Studierenden an der Leuphana wurde schon bei den vier befragten Studierenden deutlich. Eine Studentin aus Namibia betonte den sozialen Aspekt des Studiums als ausschlaggebenden Faktor für ihre Wahl. Sie sieht ihr Studium in Deutschland als Chance, neue Perspektiven kennenzulernen. Eine Lüneburgerin, bisher als Angestellte und DJ tätig, wagt gerne den Sprung ins kalte Wasser und ist stets motiviert, neue Menschen kennenzulernen. Ein Student aus der Nähe von Bienbüttel hob den einzigartigen Charakter der juristischen Ausbildung an der Leuphana hervor und betonte die Möglichkeit des interdisziplinären Arbeitens. Schließlich äußerte ein Studierender aus der Region seinen Wunsch, im ökologischen und ökonomischen Sektor tätig zu werden, mit dem Ziel, durch sein Nachhaltigkeitsstudium Veränderungen in Wirtschaft und Produktion zu bewirken.

Die AStA-Sprecher*innen Denise und Emil sprechen Themen an, die den Studierenden wichtig sind.

Zu guter Letzt stellten sich die neuen Sprecher*innen des AStA den neuen Studierenden vor und sprachen dabei Themen an, mit denen sich viele der Neuankömmlinge wahrscheinlich auseinandersetzen müssen: Steigende Mietpreise und ein zu geringes Bafög, das Studierende zum Arbeiten gehen zwingt. Der steigende Anteil faschistischer und rechtsextremistischer Meinungen im Land wurde ebenfalls thematisiert und mit der Botschaft “We are proud that fachists don’t feel comfortable here” abmoderiert.

Die AStA-Sprecher*innen appellierten zudem an die Erstsemestler*innen, aktiv am Campusleben teilzunehmen und sich für die Universität und die Stadt zu engagieren. Für einen gelungenen Start in das Studierendenleben wird ebenfalls gesorgt: Die Ersti-Party findet am nächsten Freitag statt, der Vorverkauf startet am 8. Oktober.


Fotos: Fynn Latendorf