Einzig aber alles andere als artig: Marit Persiel, ehemalige Leuphana-Studentin, bringt ihr selbstgeschriebenes Ein-Frau-Theaterstück „Minor Swing“ auf die Bühne.
„Da es gleich ins Jahr 1943 geht, bitte alle Handys ausstellen.“ Für das Anfertigen von Notizen eher kontraproduktiv, für das Stück jedoch umso vorteilhafter. Denn „Minor Swing“ bringt zwar auch die düstere Realität der Nazizeit auf die Bühne, ist jedoch vor allem ein Plädoyer für das Jetzt, dafür, den Moment gänzlich frei zu leben.
Bereits zehn Minuten vor Einlass ist klar: Hier gibt es gleich etwas Besonderes zu sehen. Denn vor dem Eingang des Hansen hat sich eine Menschentraube gebildet, neben einigen Älteren warten vornehmlich Studierende auf die „Weltpremiere des Ein-Frau-Theaterstücks“, bei dem Marit Persiel Autorin, Regisseurin und einzige Darstellerin in einem ist.
Das gleichzeitig bedrückende und vor Lebenslust strotzende Stück „Minor Swing“ handelt von Micky, einer jungen Hamburger Verkäuferin, die gemeinsam mit Freunden den Swing liebt und lebt. Denn Swing ist für sie mehr als Musik, Swing ist ein Lebensgefühl, das im krassen Gegensatz zu Gehorsam und Unterordnung der NS-Zeit steht. Und mit dieser Ideologie geraten die Freunde immer wieder in Konflikt, ohne sich jedoch ihrer Lebensweise und Freigeistigkeit berauben zu lassen.
Wohl der Tatsache geschuldet, dass Marit ihr Stück alleine auf und über die Bühne bringen muss, ist das spartanische Bühnenbild. Lediglich ein Tisch mit Lampe darauf und Stuhl dahinter befinden sich auf der Bühne. Ob nun absichtlich oder nicht, das Bühnenbild passt zur Botschaft des Stücks: Pomp, große Ideologie oder martialische Gestik, das alles ist den Swing-Jugendlichen fremd. Für sie geht es um die Musik und den Tanz. Das trifft auf Micky zu, aber ohne Zweifel auch auf Marit, die ihre Rolle sichtlich mit Leidenschaft spielt und mit ihrer Bühnenpräsenz die Kulissen fast gänzlich verschwinden lässt.
Die zunehmende Unterdrückung durch die Nazis verdeutlicht die Zahl der beneidenswert guten Tanzeinlagen Mickys. Sind sie zu Beginn häufig und ungetrübt, und spielen Micky und ihre Freunde Swing-Musik noch offen im Park, werden sie im Laufe des Stückes immer weniger und werden ersetzt durch Anklagen gegen die Unfreiheit der herrschenden Gesellschaftsordnung, die Micky teils an sich selbst, teils ans Publikum richtet. Da Marit zwangsläufig sowohl den Part der Schauspielerin, als auch den Part der Erzählerin übernehmen muss, fällt es stellenweise schwer, sie als im Moment wirkende Person statt als Berichterstatterin zu sehen. Besonders am Ende wünscht man sich die Leichtigkeit, den wilden Tanz und die mitreißende Musik zurück, statt sich der brutalen Realität der Nazizeit aussetzen zu müssen. Doch dass Freiheit nun mal besser ist als einengende Ideologie, ist eben neben der Selbstbestimmtheit der Frau auch eine der Kernthesen des Stücks.
Fazit: Ein spannendes, ungewöhnliches Stück, das mit Herzblut geschrieben und geschauspielert wurde und in keiner Minute gelangweilt hat. Mit einer Dreiviertelstunde Spielzeit hätte es lediglich etwas länger ausfallen können. Dafür konnte man Marit nach dem Stück bei einem Sekt noch die ein oder andere Frage stellen.
(Wer sich jetzt ärgert, das Stück nicht selbst gesehen zu haben, hat noch mal Glück gehabt: Wegen des großen Interesses gibt es am 06.04. einen Zusatztermin.)
Autor: Ernst Jordan, mit Material von Marit Persiel