wikimedia commons – CC BY-SA 4.0 – Afranz1982 – Ortsschild von Lützerath

Lützerath – warum das Dorf für die Kohle geräumt wird

Lützerath ist ein kleines Dorf an der Abbruchkante eines Tagebaus von RWE. Der verlassene Ort im Rheinland wurde von Aktivist:innen besetzt, die dort in den letzten Jahren eine Utopie des solidarischen Zusammenlebens versuchten. Am Mittwoch begann nun die Räumung durch die Polizei. Dabei wird die Kohle, die darunter liegt, laut einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht gebraucht, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Stattdessen rückt Deutschlands Kurs auf das 1,5 Grad Ziel in weite Ferne.

wikimedia commons – CC BY-SA 4.0 – Afranz1982 – Ortsschild von Lützerath
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Die Räumung der letzten Tage

Seit Mittwoch, dem 11.01. am frühen Morgen ist die Polizei in Lützerath im Einsatz. Auf dem Gelände, das offiziell dem Energiekonzern RWE gehört, hatten die Aktivisten Barrikaden gebaut und Konstruktionen aus Baumstämmen (Mono- und Tripods) errichtet, auf denen einige von ihnen ausharrten. Letztere verlangsamen das Vorrücken der Polizei, da sie durch Spezialisten geräumt werden müssen. Damit keine weiteren Aktivist:innen in das Dorf gelangen können, wurde von den Einsatzkräften ein eineinhalb Kilometer langer Zaun aufgestellt, der Lützerath umgibt. Aktivist:innen klagen an, dass ihre Sanitäts- und Versorgungsstrukturen geräumt wurden. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Besetzer:innen ein Tunnelsystem gegraben haben, indem sich zwei Menschen aufhalten, wodurch das Vorankommen des schweren Einsatzgeräts verhindert wird.

Die Eindrücke des ersten Tages der Räumung sind von beiden Seiten gemischt. Die Polizei zeigt sich erfreutüber Besetzer:innen, die das Gelände nach Aufforderung freiwillig verlassen. Die Besetzer:innen teilen Videos von Aktivist:innen, die von Baumhäusern musizieren, aber auch von der Polizei, die Schmerzgriffe einsetzt und sich, nicht wie angekündigt, an eine deeskalative und transparente Räumung halte, sondern auch in der Nacht räumen würde. Die Einsatzkräfte wiederum beklagten den Einsatz von Gewalt, nachdem am Mittwoch ein Molotowcocktail flog. Außerdem kritisieren Journalist:innen, dass die Polizei die Presse von einigen Räumungen ausschloss.

An einer Großdemo am Samstag wurden die Aktivist:innen von Protestierenden aus dem ganzen Land unterstützt. Laut Polizei demonstrierten 15.000 Personen, laut Veranstalter:innen mehr als doppelt so viele gegen die Räumung. Auf einer Kundgebung sprachen unter anderem prominente Unterstützer:innen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer. Als mehrere hundert Personen aus dem Demonstrationszug ausbrachen und auf die Abbruchkante und das Dorf Lützerath zugingen, um die Absperrungen zu durchbrechen, kam es zum Einsatz von Gewalt seitens der Polizei, um sie daran zu hindern. Es wurden Wasserwerfer, Pfefferspray, Hunde und Pferde eingesetzt. Das Bündnis Lützerath bleibt spricht von teils schwerverletzten Protestierenden.

Kann Lützi bleiben?

Während Aktivist:innen noch hoffnungsvoll Eilanträge gegen das Aufenthaltsverbot auf dem Gelände stellten, die abgelehnt wurden, sieht die Situation für einen Räumungsstopp schlecht aus: Dass Lützeraths abgebaggert werden darf, wurde letzten März vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Aachen beschlossen. Nach einem Gutachten sei der Abbau der Kohle unter Lützerath  erforderlich, um die Energieversorgung zu sichern. Dieses Urteil kann nicht mehr angefochten werden.

Die Notwendigkeit, die Kohle unter Lützerath abzubauen, ist jedoch umstritten. Die aktuellen Pläne der Räumung Lützeraths fußen auf einem Deal zwischen den (je von Minister:innen der Grünen geleiteten) Wirtschaftsministerien auf Bundes- und nordrhein-westfälischer Landesebene, sowie RWE im Oktober 2022. Vor dem Hintergrund der Gasknappheit durch den Krieg in der Ukraine beschlossen die Minister:innen damals einen Kompromiss mit einem der größten CO2 Emittenten Deutschlands. RWE sicherte zu, bereits 2030, statt bis 2038, aus der Kohle auszusteigen und darf dafür die Kohle unter Lützerath abbaggern. Das heißt, dass fünf weitere Dörfer, die noch bewohnt sind, nicht zwangsgeräumt werden müssen. Laut den Grünen bedeute das eine erhebliche Reduktion der CO2-Emissionen und hätte eine Vorbildfunktion für andere Konzerne, früher aus der Kohle auszusteigen; außerdem sei das 1,5 Grad Ziel, durch andere klimapolitische Maßnahmen weiterhin erreichbar. Als größtes Argument für die Räumung Lützeraths wird jedoch immer wieder die Versorgungssicherheit in einer Gasknappheit durch den Angriffskrieg Russlands angeführt.

Das Gutachten, auf dem das Urteil des OVG fußt, kommt zu genau diesem Schluss. Die Kohle unter Lützerath sei notwendig, um sie Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Andere Studien, unter anderem vom DIW, kommen jedoch zu anderen Ergebnissen. Die vorhandenen Vorräte an Kohle würden schon jetzt ausreichen für die Versorgung – auch in der Gaskrise. Ein Abbaggern Lützeraths in der Klimakrise sei daher nicht gerechtfertigt. Die Ergebnisse des Gutachtens des OVG fielen knapp aus und die Gaspreise am Markt stabilisieren sich wieder. Es ist daher fragwürdig, ob die Kohle unter Lützerath wirklich benötigt wird, um die Stromversorgung auch während eines russischen Gasembargos zu sichern.

Eine Welle der Solidarität

Genau dies ist die Kritik der Aktivist:innen der Klimabewegung. Die Kohle unter Lützerath diene nicht der Versorgungssicherheit, sondern der Sicherung der Profite RWEs. Neben der Kritik an der Notwendigkeit, Lützerath abzubaggern, ist das kleine Dorf im Rheinland zu einem klimapolitischen Symbol geworden. Aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, aus Wissenschaft und Kultur, auf den sozialen Netzwerken und in den Medien erfährt Lützerath Unterstützung. Scientist for future spricht sich mit der Unterstützung mehrerer hundert Wissenschaftler:innen für ein Moratorium der Räumung aus, denn diese würde aus „politischen“, nicht wirtschaftlich notwendigen Gründen stattfinden. Eine Pause der Räumung und einen Dialog fordern auch 200 Prominente, die auch an die globale Verantwortung in dieser klimapolitischen Angelegenheit appellieren.

Der entstehende Rückhalt zeigt, dass eine wachsende gesellschaftliche Mehrheit einen Weg des globalen Klimaschutzes unterstützt. Die Haltung der Grünen Regierung in dieser Causa wird bereits als „Gesichtsverlust“ bezeichnet. Ihr Einsatz für das Pariser Klimaabkommen und ihr Bewusstsein für eine internationalen, postkolonialen Verantwortung im Kampf gegen den CO2 Ausstoß durch fossile Energieversorgung sind fragwürdig geworden. Die offenen Briefe, die Solidaritätsdemonstrationen in vielen Städten und die tausenden Beiträge unter dem Hashtag #Lützibleibt zeigen, dass sich an dem kleinen Dorf Lützerath der Kampf für Klimagerechtigkeit in Deutschland neu entfacht hat. Die Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer zieht das Fazit, dass die beindruckende Zahl an Protestierenden und die gewaltvollen Bilder von der Demonstration am Samstag „Klimadebatten in diesem Land verändern“ und daher politische Entscheidungen beeinflussen werden. Die Wirkung der Proteste gegen die Räumung Lützeraths zeigt neue Dimensionen des Widerstands gegen klimaschädliche Politik und Deals mit der dreckigen Kohleindustrie.


Foto: wikimedia commons – CC BY-SA 4.0 – Afranz1982 – Ortsschild von Lützerath